Aufführung am 6.04.2018
Vor einer Wiederentdeckung steht die zuletzt eher selten gespielte Oper „Martha oder Der Markt von Richmond“ von Friedrich von Flotow. Das romantisch-komische Werk in vier Akten, das seine Uraufführung im Jahr 1847 am Wiener Kärntnertortheater erlebte, wurde im Vorjahr anlässlich der Wiedereröffnung des Gärtnerplatztheaters in München in einer alten Loriot-Inszenierung gezeigt (der Online-Merker berichtete darüber im November 2017) und steht seit einigen Tagen in einer Neuinszenierung am Tiroler Landestheater in Innsbruck auf dem Spielplan.
Friedrich von Flotow (1812 – 1883) hatte ein inniges Verhältnis zu Wien. Sein Meisterwerk Martha war ein Auftragswerk der Wiener Hofoper und eroberte nach dem sensationellen Uraufführungserfolg die ganze Welt, wobei als zweite Bühne 1848 Weimar folgte, wo Franz Liszt mit diesem Werk seine Tätigkeit als Operndirigent begann. Es folgten innerhalb kurzer Zeit Aufführungen in Berlin, München, Schwerin und in Paris. Flotow lebte einige Jahre in Wien und war anlässlich seines 70. Geburtstags und der gleichzeitigen 500. Aufführung von „Martha“ Ehrengast der Wiener Hofoper.
Die Handlung von Flotows Meisterwerk, dessen Libretto von Wilhelm Friedrich (Pseudonym des Hamburger Dichters Friedrich Wilhelm Riese) stammt, in Kurzfassung: Als sich Lady Harriet Durham, ein Edelfräulein der englischen Königin, wieder einmal unendlich langweilt, kommt ihr die Idee, sich als Bauernmagd Martha zu verkleiden. Auf dem Markt von Richmond lässt sie sich mit ihrer Vertrauten Nancy vom reichen Pächter Plumkett und seinem Ziehbruder Lyonel engagieren. Naturgemäß erweisen sich die edlen Damen als wenig brauchbar für die Hausarbeit – doch umso geeigneter für anderes… Nach einigen peinlichen Zwischenfällen und Lyonels gesellschaftlichem Aufstieg – durch einen Ring wird er als Sohn des zu Unrecht verbannten Grafen Derby erkannt – kommt es zu einem Happyend zu viert. Lady Harriet schwört dem überraschten Lyonel ewige Treue. Dem „Himmelsglück“ steht nun nichts mehr im Wege.
Anette Leistenschneider verlegte die Handlung in die 1950er- und 1960er-Jahre, wobei sie eine temporeiche, flotte und witzige Inszenierung schuf, die nur ab und zu knapp an Klamauk vorbeischrammte. Dazu ein Zitat aus dem im Programmheft unter dem Titel „Die entstaubte „Martha“ abgedruckten Interview mit der Regisseurin: „Mir hat es eine große Freude bereitet, den Staub von diesem hübschen Stück zu pusten und es sowohl charmant-augenzwinkernd als auch romantisch-poetisch auf die Bühne zu stellen.“ Es ist ihr zur Freude des begeisterten Publikums eindrucksvoll gelungen.
Andreas Becker, ein Spezialist für Puppenbau, gestaltete die Bühne, wobei er auf britische Besonderheiten Wert legte. So waren auch zwei rote Telefonzellen, das Porter-Bier und ein Fish and Chips-Wagen wichtige Requisiten. Dass die britische Flagge als Bühnenvorhang ziemlich stark verschmutzt war, darf wohl als witzige Anspielung zur heutigen Situation Großbritanniens gedeutet werden. Da die Regisseurin in ihrer Inszenierung ein Puppenspiel mit einbaute, war Andreas Becker der ideale Partner, unterrichtet er doch am Figurentheater-Kolleg in Bochum.
Für die zum Teil sehr bunten und teils sehr eleganten Kostüme zeichnete Michael D. Zimmermann verantwortlich, für die kreative Lichtregie Ralph Kopp.
Ausgezeichnet besetzt war das große Sängerensemble: Die international sehr erfahrene Sopranistin Susanne Langbein, die ab 2010 Ensemblemitglied des Tiroler Landestheaters war und jetzt freischaffend tätig ist, war als Lady Harriet eine Idealbesetzung. Mit ihrer höhensicheren Stimme und ihrem reizend-charmantem Spiel begeisterte sie das Publikum von der ersten bis zur letzten Szene. Mit großer Innigkeit sang sie das Lied „Letzte Rose“.
Susanne Langbein als Lady Harriet alias Martha und Joshua Whitener als Lyonel (Copyright: Rupert Larl)
Eine exzellente Leistung, der die Münchner Mezzosopranistin Camilla Lehmeier als Nancy kaum nachstand. Auch sie war stimmlich und schauspielerisch erstklassig, wobei sie ihre Rolle als Vertraute von Lady Harriet stets augenzwinkernd spielte.
In der Rolle des Lyonel brillierte der amerikanische Tenor Joshua Whitener mit seiner lyrischen, ausdrucksstarken Stimme und durch die einfühlsame Darstellung seiner Rolle. Wehmütig und herzergreifend seine Interpretation der Arien „Martha, Martha, du entschwandest …“und „Ach, so fromm, ach, so traut“. Eindrucksvoll auch der Tiroler Bassbariton Andreas Mattersberger als reicher Pächter Plumkett. Mit kräftiger Stimme und selbstsicherem Auftreten versuchte er den Späßen der Damen Herr zu werden. Köstlich ironisch die Szene, als Plumkett und Lyonel die beiden Damen übers Knie legten und in Zeitlupentempo den Po versohlten.
Gleichfalls sehr humorvoll der Salzburger Bassist Johannes Maria Wimmer in der Darstellung von Lord Tristan Mickleford, Lady Harriets Vetter. Verkleidet als dralles Dienstmädchen, reizte er die Lachmuskeln des Publikums besonders stark. Mit viel Komik stattete auch der bulgarische Bass Stanislav Stambolov die Rolle des Richters zu Richmond aus. Zu nennen sind noch die drei Mägde Monika Duringer, Bernadette Müller und Alice Chinaglia, die gemeinsam mit dem Chor und Extrachor des Landestheaters Innsbruck (Einstudierung: Michel Roberge) ihren großen Auftritt auf dem Markt zu Richmond hatten, wo sich die Mägde auf humorvolle Art zur „Anstellung auf ein Jahr“ anboten. Als Puppenspielerin zeigte Ingrid Alber-Pahle ihr meisterliches Können.
Meisterlich auch das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung des südkoreanischen Dirigenten Seokwon Hong, dem es schon bei der Ouvertüre gelang, die klangschönen und ins Ohr gehenden Melodien des Komponisten in allen Nuancen wiederzugeben. Das restlos begeisterte Publikum dankte am Schluss allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Applaus.
Gratulation der Intendanz des Tiroler Landestheaters, dieses musikalische Meisterwerk, das zu den reizvollsten romantisch-komischen Opern des 19. Jahrhunderts zählt, wiederbelebt zu haben.
Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online