Leipzig: „Götterdämmerung“

Vorstellung am 14.04.2019

TRAILER

Man muss ja nicht alles verstehen…

Oft kündigt ein Scheinwerferkegel auf dem Zwischenvorhang vor Beginn der Vorstellung Unheil an: Eine Indisposition, einen technischen Defekt, eine Absage. Nicht so gestern Abend in Leipzig. Da wurde für einmal vor der Vorstellung eine erfreuliche Nachricht verkündet, nämlich dass der Sänger des Hagen, Sebastian Pilgrim, vor gut zwei Stunden Vater einer Tochter geworden sei und deshalb emotional vielleicht ein wenig mitgenommen wirken könnte. Nun, Herrn Pilgrim kann man nicht nur zu seiner Vaterschaft beglückwünschen sondern auch zu seiner Interpretation des finsteren Bösewichts. Mit profundem, subtil eingesetztem Bass und subtilem, sarkastisch-fiesem Spiel gab er den Hagen. Zurückhaltend, aufmerksam darauf lauernd, ob seine Intrigen auch funktionieren.

Sie tun es – alle tappen sie in seine Fallen, lassen sich von ihm manipulieren. Zuerst natürlich die Gibichungen, Hagens Halbbruder Gunther und seine Schwester Gutrune. Gunther wird in der Inszenierung von Rosamund Gilmore als von einem manischen Sauberkeitsfanatismus geprägter, psychisch angeschlagener und alkoholabhängiger Waschlappen gezeigt. Tuomas Pursio macht das hervorragend, große Schauspielkunst ist das, dazu kommt sein ausdrucksstarker Bariton. Wunderbar. Neben Hagen und Waltraute einer der wenigen Charaktere an diesem Abend, der auch darstellerisch echtes, unverwechselbares Profil erhält. Gutrune wird von Gabriela Scherer mit ebenmäßigem Sopran und sicherer Intonation gesungen. Sie macht das Bestmögliche aus dieser eher undankbaren Rolle, wird von allen herumgeschoben, ja gar von Gunther und Hagen in einer Vitrine wie eine zu verkaufende Ware ausgestellt. Erst nach Siegfrieds Tod erkennt sie die Täuschungen und wird richtiggehend rebellisch. In Hagens Falle tappen aber vor allem auch die Hauptpersonen der GÖTTERDÄMMERUNG, der Wälsungenspross und vermeintlich unbesiegbare Held Siegfried und Wotans Lieblingstochter Brünnhilde. Ian Storey singt den Siegfried mit markantem, beinahe baritonal gefärbtem und leicht belegtem, standhaftem Tenor. Darstellerisch jedoch bleibt er dem Helden alles Erdenkliche schuldig. Er bewegt sich wie ein alter, sehr müde gewordener Mann und nicht wie ein zu neuen Taten aufbrechender Held. Keine Emphase, keine Begeisterung, keine Neugierde.

Immerhin verfügt er über die stimmliche Stamina für die anspruchsvolle Partie, doch kein Vergleich mit Thomas Mohrs umwerfenden Titelhelden am Abend zuvor in SIEGFRIED. Lise Lindstrom, weltweit gefeiert als Brünnhilde, Salome, Elektra, Turandot, Färberin, hat mich mit ihrer Brünnhilde gestern Abend nicht restlos überzeugt. Sicher, sie verfügt über die Kraft für die Partie, doch fehlt ihr das mitreißende Leuchten und Glühen; ihre Stimme schien müde, in der Höhe oft etwas belegt und metallisch, mit ausgeprägtem Vibrato und wackeliger Intonation bei lange gehaltenen Tönen. Sie hatte wahrscheinlich nicht ihren besten Abend. Kann man auch nicht erwarten, dass eine Sängerin immer auf Knopfdruck eine perfekte Leistung abliefert. Von der Erscheinung her wäre sie eine perfekte Brünnhilde, agil, blendend aussehend mit der roten Mähne, Liebende und Rebellische zugleich. Selbst im Schlussgesang Starke Scheite schichtet mir dort stellte sich die erhoffte Gänsehaut nicht ein. Solide – ja, emotional mitreißend –nein. Da war zum Beispiel die Waltraute von Ensemblemitglied Kathrin Göring ein ganz anderes Kaliber. Hier kamen die Emotionen hoch, eine glühende Intensität, das war stimmlich und darstellerisch ein Auftritt der Extraklasse, von Eindringlichkeit kaum zu überbieten und man wunderte sich, dass Brünnhilde Waltrautes Flehen nach Rückgabe des Rings an die Rheintöchter nicht umgehend Folge leistete. Kathrin Göring sang auch noch die zweite Norn in der Anfangsszene des Prologs mit Karin Lovelius als 1. Norn und Olena Tokar als 3. Norn. Ein exzellentes Trio. Wunderbar erfrischend klang auch das andere Damen-Trio, nämlich das der Rheintöchter mit Magdalena Hinterdobler, Sandra Maxheimer und Sandra Fechner. Martin Winkler hatte einen eindringlichen Auftritt als (ebenfalls von Hagen getäuschter) Alberich.

Gnomenhaft und mit fieser Hinterhältigkeit versucht er seinen Sohn Hagen zum Raub des Ringes anzustiften, ohne zu merken, dass Hagens Halbschlaf nur vorgetäuscht ist und dieser in Wahrheit seinen Vater hinters Licht führt. Von Martin Winkler und Sebastian Pilgrim wird die Szene vortrefflich ausgespielt. Wenn man also von der Statik des Siegfried mal absieht, könnte man mit der Personenführung durch Rosamund Gilmore ganz zufrieden sein, wären da nicht wieder die Tänzer, welche als Götter, Bedienstete (mit putzigen Widderhörnchen), Bühnenarbeiter und schwarze Würmer ihr Unwesen in der Gibichungenhalle treiben. Denn ja, die gesamte GÖTTERDÄMMERUNG spielt in diesem Einheitsraum (von Carl Friedrich Oberle), wobei immerhin durch die spannende Lichtregie von Michael Röger einigermaßen abgegrenzte Schauplätze erahnt werden können. Durch ein riesiges Fenster blickt man auf eine Landschaft am Rhein. Die Szenen auf dem Brünnhildenfelsen spielen auf einem Balkon in der Gibichungenhalle. Viel Bühnennebel und einige rätselhaften Requisiten füllen oft diesen Raum. So wird im ersten Akt ein weißer Flügel von den Tänzern im Zeitlupentempo hereingerollt, von dem Siegfried ganz fasziniert ist, auf dem er dann am Ende auch aufgebahrt wird (nachdem er von Hagen erstochen lange auf einem erlegten Sechsender liegen musste). Auf diesen Flügel steigt dann auch Brünnhilde zu ihrem Schlussgesang, während die Tänzer darunter den gesamten Müll der vorangegangenen Abend des RINGS ablagern. Dies stellt meines Erachtens eine inszenatorische Todsünde dar, denn Höhepunkt-Arien oder -Szenen dürfen nicht mit wenig sinnfälligem Agieren im Hintergrund gestört werden, dies stellt einen Affront nicht nur gegenüber der Sängerin, sondern auch gegenüber dem Publikum dar, welches sich gerne auf diesen musikalischen Höhepunkt konzentriert hätte. Erstaunlich, dass der GMD und Intendant der Oper Leipzig, Ulf Schirmer, da nicht ein Veto eingelegt hatte. Am Ende dann versinkt der nun blutrot (oder eben feuerrot) leuchtende Flügel zusammen mit den Göttern und allem Personal in der Tiefe des Bühnenbodens, während schwarze Tücher vom Himmel fallen. Die Rheintöchter behändigen den verfluchten Ring gleich selbst, Hagen will ihn an sich reißen, doch die Rheintöchter stoßen ihn in den Rhein und folgen ihm mit waghalsigen Sprüngen ins Wasser. Nur einer von den mit schwarzen Ganzkörperstrümpfen getarnten Würmer-Tänzern scheint das ganze Weltuntergangs- und Erdenbrandszenario zu überleben.

Hoffnung oder Unheil? Immerhin hier wird ein Interpretationsansatz des Weltendramas Wagners spürbar. Hagens Mannen sind in an SA Sturmtruppen gemahnendes Beige gekleidet. Der Männerchor der Oper Leipzig singt diese Passage mit packender Vehemenz (Einstudierung Thomas Eitler-de Lint). Imposant dabei auch die extra für diese Aufführung angefertigten Stierhörner (haben die Ausmaße von Alphörnern, außer dass sie unten nicht gebogen sind und deshalb waagrecht geblasen werden müssen, dazu sind pro Horn zwei Mann von Nöten!). Imposant aber auch, was aus dem Graben zu hören ist. Das Gewandhausorchester unter Ulf Schirmer evoziert einen Wagnerklang, wie man ihn sich glühender, drängender und dräuender kaum vorstellen kann. Da wird (gerade auch bei Siegfrieds Tod) die akustische Schmerzgrenze zumindest geritzt – macht aber nichts, das fährt gewaltig ein. Daneben aber, wie schon am Abend zuvor, wieder ganz fein ausgearbeitete, transparente, fast kammermusikalische Passagen, die bis ins ppp das Ohr zum genauen Hinhören leiten. Diese GÖTTERDÄMMERUNG mit einer Aufführungsdauer von fünfeinhalb Stunden inklusive zweier Pausen, hat keine Längen oder Durchhänger, erklingt aus dem Graben mit soghafter Faszination und Spannung.

Kaspar Sannemann 16.4.2019

Bilder (c) Tom Schulze