Krefeld: „Otello darf nicht platzen“

Premiere am 10.3.2018

Grandioses Musical – hinreissende Unterhaltung: 7 Sterne !

"Dio fulgor della bufera" mit Donner und Blitz im forte fortissimo des Originalklanges von Verdis OTELLO beginnt das Musical "OTELLO darf nicht platzen" – dazu winkt der Riesenchor des Theaters mit Wackelhänden wie in einer großen amerikanischen Revü-Nummer ins Publikum – natürlich in original klassischen Opernkostümen (der Riesenfundus des Krefelder Theaters lässt grüßen!). Alles erinnert irgendwie auf ganz wunderbare Weise an Otto Schenks Kultstücke, nämlich die Opernparodien Tosca auf dem Trampolin.

Ja, liebe Opernfreunde, der vermeintliche Musica-Abend in Krefelder Stadttheater fängt wirklich sensationell an. Sind wir gar an der Scala -haben wir uns verlaufen? Und es wird noch toller, wenn nach der Pause auch noch der originale Verdi Schluss "Un bacio…" mit dem schönsten Liebesmotiv aller Zeiten – zwar klassisch aber mit durchaus Loriotschem Humor – gespielt wird. So umklammert die vielleicht schönste Oper Verdis ganz begnadet dieses herrliche Musical-Spektakel.

Der Originaltitel des Stücks Lend me a tenor hat nicht ansatzweise den doppelbödigen Sprachwitz der wunderbaren deutschen Übersetzung. Geht es doch hier vordergründig zwar um die Oper OTELLO, deren Premiere nicht platzen darf – hintergründig aber hat Autor Ken Ludwig bei seinem ursprünglichen Boulevard-Stück natürlich an den großen Tenor Big P. gedacht, von dem man ja auf die Frage "Singt er wirklich heute Abend?" regelmäßig (vor allem in späteren Jahren) die Antwort der Theaterleitung bekam "Natürlich, wenn er nicht geplatzt ist 😉 !"

Das Stück ist ursprünglich eine reine Komödie des Sprechtheaters; 1986 im West End Theatre in London uraufgeführt, erhielt es gleich neun (!) Nominierungen für den Tony Award und gewann anlässlich der Broadwayaufführung 1989 sogar den Preis für den besten Hauptdarsteller (Philip Bosco) und die beste Regie (Jerry Zaks). Der Siegeszug auch über deutsche Bühnen war gewaltig. Die legendäre Otto-Schenk-Produktion lief z.B. über 600 Mal in Wien. Es gibt eine schöne DVD.

Die deutsche Erstaufführung der Musicalversion fand erst 2014 in Leipzig statt. Die Musikalische Komödie Leipzig hatte es der Wiener Volksoper quasi vor der Nase weggeschnappt. Eigentlich hätte es durchaus auch den Titel "Der nackte Wahnsinn" (von M. Frayns) verdient. Geht es doch auch hier um Theater auf dem Theater, also um die Spielchen, Intrigen und amourösen Verwirrungen des Lebens, die sich im Klassiker auf der Bühne spiegeln. Seit "Kiss me Kate" von Cole Porter (1948), hat dieses Konstrukt für ewige köstliche Unterhaltung und immer herzlichen Theaterspass gesorgt.

Auch hier geht es um den Minikosmos Musiktheater. Es geht um jene Menschen, die sich dort auf, vor und hinter der Bühne versammelt haben. Hauptperson ist der große Startenor Tito Merelli, der anfangs im Krefelder Theaterfoyer (was für ein schöner Einfall) noch diverse Autogramme gibt. Siehe Bild unten !

Er wird – kurz vor der Otello-Premiere – sprichwörtliches Opfer seiner Fresssucht wird. Statt Tabletten gegen seine Verdauungsprobleme nimmt er aber diesmal versehentlich eine Handvoll Schlaftabletten. Dummerweise hatte man ihm ähnliche auch schon von der Theaterleitung wg. seiner Nervosität in den obligaten und stets präsenten Vino Rosso gemischt. Sowas haut selbst den stärksten Tenore aus den Schuhen.

Das ist große Chance für Max, den Assistent des Operndirektors, der schon lange von einer Karriere als Tenor träumt. Flugs schlüpft er in "Pavarottis" Originalkostüm, den er für tot hielt. Und singt danach – als unerkannter Double – unter rauschendem Publikumsjubel die Rolle seines Lebens.

Blöder Weise ist der Superstar-Tenor nicht tot, sondern versucht in seinem Zweitkostüm nun gewaltsam ins Theater zu gelangen, was die Polizei erfolgreich verhindert. Aber das Alles ist erst der Anfang einer verwirrenden Vierecksgeschichte

die mit den üblichen drei Paaren nach klassischem Prinzip abläuft, aber soviel Chaos, Verwirrung und Spannung in sich birgt, daß es den Zuschauer förmlich an die Sitze fesselt. Tempus fugit – die immerhin 2,5 Stunden (incl. Pause) vergehen wie im Flug.

Regisseur Ansgar Weigner, der das Stück auch schon in Bremerhaven (siehe unsere damalige Kritik) inszenierte, ist der ideale Regisseur. Er setzt alles bravourös – nicht nur mit dem Charme der großen Blake Edwards Filme – sondern höchst theaterkenntnisreich unterhaltsam bis in die Nebenrollen hinein feinsinnig durchdacht – in Szene. Die Anspielungen an Opern, bekannte Musicals und Theaterstücke sind so ungeheuer vielfältig, daß man sie nicht aufzählen kann und darf, denn Sie, liebe Theaterfreunde, sollten den Spass ja ohne vorherige Hinweise genießen – daher empfehle ich auch (ganz wichtig!!!) bitte lesen Sie den Inhalt nicht vorher durch: SPOILERGEFAHR! Sie verstehen das Stück auch ohne Vorbereitung…

Das Musical – Brad Carrol (Musik) und Peter Sham (Textbuch) – repräsentiert einen heutigen Cole-Porter-Stil und ist für Big Bands geradezu ein Träumchen. Es sprüht vor Originalität mit Songs im Stil der 50er. Das swingt und hat Melodie – wobei nicht nur George Gershwin und Cole Porter grüßen – auch Blues, Balladen- und Opernpathos finden sich in diversen Anklängen wieder. Und wenn die Operndiva (die grandiose Gabriela Kuhn) ihrem angebeteten Superstar im Hotelzimmer ein Sammelsurium aller großen Opernarien in Kurzform präsentiert, dann brüllt das Haus. Dann steppt der Publikums-Bär ;-). Dirigent Andreas Fellner und seine handverlesenen Musiker bringen einen souveränen Sound, die Microports sind endlich einmal perfekt eingemessen. Und überhaupt klappt an diesem sieben Sterne Abend wirklich alles und alles harmoniert superb.

Stern Nr.1 für die Regie, Nr.2 für die Band (im Programmheft unbenannte Mitglieder der Niederrheinischen Sinfoniker), einen weiteren für die phantasievollen Kostüme (Christian Robert Müller), Nr.4 für die ausgefuchste Choreografie (Andrea Danae Kingston), Nr.5 für den tollen Chor (Michael Preiser), Nr.6 für die drei superben Musical-Gäste in den Hauptrollen (Elena Otten/Maggie, Andrea Matthias Pagani/Tito und Lukas Witzel/Max) und den letzten vergibt der Rezensent an alle Mitglieder des Haus-Ensembles, die brillieren als habe man bisher immer schon auf dem Broadway agiert. Bravissimo!!!!!

Auf solch eine, auch noch qualitativ im der Spitzenliga spielende Produktion kann man stolz sein im kleinen, aber feinen Theater am Niederrhein. So begeistert man niveauvoll sein Publikum, bindet es und schafft die zum Überleben notwendige Identifikation. Ein großes Musical auf Broadway-Niveau.

Dank für die fabelhaften Fotos an Matthias Stutte (c)

Foto vom autogrammgebenden Tenor (c) Der Opernfreund

Peter Bilsing 11.3.2018

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