Wuppertal: Casus Kamioka – ein Schwanengesang

Ende einer Ära – das Opernhaus ist ruiniert, das Sprechtheater zerstört

Ein Kommentar vom Opernfreund-Herausgeber Peter Bilsing

Was können wir daraus lernen?

Toshiyuki Kamioka gab gerade sein letztes Konzert. Die damit verbundene Ära bleibt vielen Opernfreunden und auch mir eher negativ in Erinnerung, denn selbst seine zugegebner Maßen passablen Leistungen als GMD und auf dem Dirigentenpult können nicht darüber hinweg täuschen, daß er die nicht unbedeutende Wuppertaler Oper (gegründet immerhin schon 1905) quasi zerschlagen hat. Um des Ruhmes Willen, oder ob im Größenwahn – darüber lässt sich streiten.

Unter seiner maßgeblichen Verantwortung wurde auch ein Schauspielensemble aufgelöst, welches durchaus zu den besseren in NRW gehörte, und welches ich lieber besucht habe als z.B. das "große" Düsseldorfer Schauspielhaus. Aber Kamioka wollte ja kein Schauspiel mehr; – die ganze Kraft (und das Geld) sollte in ein neues Stagione-Prinzip fließen, um die "provinzielle" Oper zum Weltklassehaus zu machen. Kamioka versprach es und depperte Politiker glaubten ihm.

"Schau wie´s endet, sieh auf mich!"

singt Wotan in Wagners Ring. Die Wuppertaler Götterdämmerung ließ nicht lange auf sich warten. Seltsam, daß es fast alle Menschen, die etwas Ahnung vom Geschäft haben (Kritiker, Wirtschaftsforscher, Fachleute, Intendanten, Kulturwissenschaftler …etc.) schon relativ früh vorausgesagt hatten. "Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im bestehen sich wähnten!" (Wagner)

"Wahn, Wahn, überall Wahn"

tönt es in den Meistersingern. Doch Kamioka und seine politischen Gefolgsleute fuhren den Fliegenden Holländer vollen und sehenden Auges auf ein Riff.

Wuppertaler Oper auf Kamikaze-Kurs

schrieben wir am 13.11.14, als das Desaster nicht nur zu erkennen war, sondern das Schicksal schon seinen Lauf nahm. Es lohnt sich dies alles noch einmal wörtlich nach zu lesen:

Opernintendant und GMD Toshiyuki Kamioka dementiert heute per Pressemitteilung offiziell einen entsprechenden Artikel der Westdeutsche Zeitung vom 12.11.14 – darin lässt er aber verlauten: "Zusätzlich zu meiner Doppelbelastung in Wuppertal kommen immer mehr Anfragen als Dirigent, insbesondere aus Japan. Insofern muss ich darüber nachdenken dürfen, ob ich meinen Verpflichtungen als Opernintendant langfristig genügen kann. Auf jeden Fall werde ich diese über volle zwei Spielzeiten erfüllen. Dann muss man sehen." Auch dementiert er einen angeblichen Streit mit dem Orchester "Es gibt keinen Streit! – Atmosphärische Störungen kommen immer mal wieder bei der Zusammenarbeit in unserem Bereich vor. Dies wäre sicher kein Grund für mich, meinen Vertrag als Chefdirigent überstürzt auflösen zu wollen"

Und betreffend seine Zukunft als Opernintendant: "Wir haben bereits jetzt die Spielzeit 2015/16 größtenteils durchgeplant. Ich habe ein großartiges Team, und die beiden bisherigen Produktionen (Tosca und Don Giovanni) geben mir die größte Hoffnung, dass das neue Konzept (der Spielbetrieb im Blocksystem statt wie bisher verteilt über die Spielzeit) voll aufgeht. Standing ovations bei allen bisherigen Vorstellungen unserer Neuproduktionen sind ein untrügliches Zeichen, dass die szenische, sängerische und musikalische Qualität beim Publikum bestens ankommt."

Was soll man dazu sagen angesichts ausgesprochen mäßiger, eher schlechter Kritiken round about. Viele Kritiker verliefen sich ohnehin nicht in dieses neue Weltklasse-Haus. Also schrieb ich als offenen Brief:

Verehrter Intendant und GMD in Personalunion: Si tacuisses!

Sie führen allen Ernstes die paar lächerlichen Premieren Standing Ovations (ggf. ausgesuchte Hausmitglieder, oder Freunde Ihres Fan-Clubs), die es auch bei jedem Bretterbuden-Alternativfestival gibt, als Beleg für die Qualität und das Gelingen der ersten beiden Produktionen an?

Standing Ovations – wie bitte? Heutzutage ist diese amerikanische Unsitte leider bei jeder Premiere, egal wo, anzutreffen. Was soll denn der Rest des Publikums machen, wenn vorne ein paar Zuschauer aufstehen? Da die hinteren nichts mehr sehen, müssen sie sich auch erheben, um den Künstlern ihren verdienten Applaus zu sichern. Das ist also ein teilweise unvermeidbarer Gruppenzwang, selbst wenn man zwei Meter groß ist.

Tatsache ist doch, daß Wuppertaler Premieren überregional erst gar nicht wahrgenommen wurden. Was waren das noch für Zeiten unter z.B. Meyer-Oertel wo man über große Wuppertaler Premieren (z.B. den phänomenalen Ring) in fast allen deutschen Zeitungs-Feuilletons etwas lesen konnte. Heuer liest man schon ein paar Kilometer von Wuppertal entfernt nichts mehr. Oder Kritisches. Beispiele? gerne:

Das renommierte OPERNNETZ, schrieb zu Don Giovanni "Mit den emotionalen Arien kann der Regisseur weniger anfangen, so dass sie schnell zum Rampensingen verkommen." weiter "so plätschert die Musik vor sich hin. Gerne hört man den Musikern zu, aber ergriffen wird man dadurch nicht." Fazit: "Die Zuschauer, das bekommt man über den Abend deutlich mit, fühlen sich gut unterhalten. Wie oberflächlich das ist, wird sich am nächsten Morgen zeigen. Dann hat man die Komödie womöglich schon wieder vergessen. Nachhaltigkeit scheint in Wuppertal derzeit keine große Rolle zu spielen."

Die regional meistgelesene Tageszeitung WAZ schrieb: "…so banal ist die abgründige Geschichte lange nicht interpretiert worden…"

Und zur TOSCA schrieb unser OPERNFREUND Puccini-Fachmann Martin Freitag "das konzentrierte Kammerspiel, das packende Psychodrama, findet nicht statt" weiter "Die Protagonisten bleiben recht papierene Opernklischees mit Stehen, Knien und Legen" Fazit: "Insgesamt die langweiligste „Tosca“ meines Lebens."

Unsere Opernfreund-Warnung anlässlich der Kritik von Rudolf Hermes: Achtung, der Besuch dieser Aufführung könnte ihrer Gesundheit schaden und ihr Seelenheil als Wagnerianer arg beschädigen wurde sogar im WDR zitiert.

Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal gerne die Sätze unseres leider schon verstorbenen Chefredakteurs, Dr. Manfred Langer, aus seinem Opernfreund-Artikel

Quo Vadis, Theaterstadt Wuppertal:

"Wenn jemand wie ihr Rezensent, der als ehemaliger Wuppertaler noch die Zeiten von Grischa Barfuß und Arno Wüstenhöfer erlebt hat, sich heute auf den weiter gewordenen Weg ins Tal macht, geschieht das nicht ohne Anwandlung von Trauer. Das erst 50 Jahre alte, unter Denkmalschutz stehende Schauspielhaus, damals Stolz der Bevölkerung, verkommt hinter einem Cinemaxx und ist wegen Baufälligkeit geschlossen; das Musiktheater wird zu einem Wanderzirkus. Seine organisatorischen Experimente nehmen kein Ende und sind schon wieder einmal Thema im Foyer. Die Kommentare gegenüber dem neuen Operndirektor Toshiyuki Kamioka fallen meistens nicht nett aus, vor allem nicht für seine fintenreich durchgesetzte Idee des Stagione-Betriebs ohne festes Sängerensemble. Der hat sich trotz der möglichen höheren Qualität und trotz des damit verbundenen Einsparpotenzials (noch weniger Aufführungen!) im deutschsprachigen Raum bislang nirgends durchgesetzt; denn das entspricht nicht den Erwartungen an die deutsche Theaterlandschaft. Aber ist Wuppertal noch Theaterstadt, Teil dieser Landschaft? Wo bleibt das beherzte Einschreiten des interessierten Teils der Bevölkerung? Der neue Operndirektor, der selbst auf drei Hochzeiten tanzte, hatte kein Problem damit, das Opernensemble fortzuschicken! In der nächsten Spielzeit will er mit einem erzkonservativen Programm das Publikum zusammenhalten. Wie will man das zusammen halten, wenn Opernspielpausen von über einem Monat eingelegt werden und drei Monate lang gar keine Neuproduktion vorgestellt wird? Nur weil man einige gut bekannte Solisten verpflichtet hat? Schaut man auf andere kleinere Theater in viel kleineren Städten, z.B. Bremerhaven, Gießen oder Heidelberg: da geht man genau den umgekehrten Weg und das mit großem Erfolg."

Nun ist Kamioka mit einem letzten Konzert abgetreten, oder soll ich schreiben abgetreten worden. Nein – er ging ja freiwillig! Die Kollegen vom OMM fassen alles noch einmal übersichtlich und aus lokalpatriotischer Sicht recht nett zusammen:

Es ist ein Abschied der besonderen Art: Da geht ein bei großen Teilen des Publikums außerordentlich beliebter Dirigent, der gleichzeitig als Opernintendant viel Zorn auf sich gezogen und Theatergeschichte im negativen Sinn geschrieben hat als der erste, der das bewährte deutsche Ensembletheatersystem ausgehebelt hat. Ansprachen und Ehrungen hat er sich anlässlich seines letzten Auftritts am Pult des Wuppertaler Sinfonieorchesters verbeten. So nahm die Ära Kamioka ein ziemlich unspektakuläres Ende.

Als Kamioka 2004 das Amt des Generalmusikdirektors in Wuppertal übernahm, erzeugte er eine Aufbruchsstimmung: Für das Orchester erwies er sich als großer Motivator, und plötzlich waren die Wuppertaler stolz auf ihr Orchester, das auf einmal so anders auftrat. Konzerte mit Kamioka und dessen charismatischer Art des Dirigierens wurden zum Ereignis. Die ersten Schatten auf der Lichtgestalt Kamioka wollte man da nicht recht zur Kenntnis nehmen: 2009 übernahm der umtriebige Japaner parallel zu seinem Wuppertaler Engagement noch die Position des Generalmusikdirektors am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken. Zwar sind solche Doppelbeschäftigungen in der Branche längst üblich, diese aber ging eindeutig zu Lasten der Wuppertaler Oper. Kamioka reduzierte seine Tätigkeit in Wuppertal auf einige Sinfoniekonzerte. Die Oper erhielt mit dem erfahrenen, bei Publikum wie Orchester aber wenig geliebten Hilary Griffith einen unscheinbaren Chefdirigenten, der sich nie aus Kamiokas Schatten befreien wollte und konnte.

Dem seinerzeitigen Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) war indes alles daran gelegen, Kamioka an Wuppertal zu binden – und so bot er ihm gleich auch noch das Amt des Opernintendanten an, ein Beispiel intransparenter Hinterzimmerpolitik, die sich über alle Bedenken hinweg setzte. Erkennbare Qualifikationen für diese Position brachte Kamioka nicht mit. Eher eilte ihm der Ruf voraus, an den Abläufen in der Oper wenig Interesse gezeigt zu haben. Über Konzepte scheinen der Bürgermeister und der Dirigent dabei gar nicht erst gesprochen zu haben, denn auch Jung, ein ausgewiesener Opernliebhaber, schien desavouiert über Kamiokas Ankündigung, fortan ohne festes Ensemble einen Stagione-Betrieb ausschließlich mit Gastsängern zu installieren. Ein Novum im deutschen Stadttheatersystem, das zu massiven Protesten gerade beim bürgerlichen Publikum führte. Kaum im Amt angekommen, reichte Kamioka auch schon wieder seine Demission ein: Angebote aus seiner japanischen Heimat seien nicht mit der Wuppertaler Doppelfunktion vereinbar, so die fadenscheinige Begründung. Der unerwartet heftige Proteststurm und ein zunehmend abkühlendes Verhältnis zum Orchester, das nach Fukushima wenig Interesse an einer Japan-Tournee zeigte, dürften die wahren Gründe gewesen sein.

(Stefan Schmöe – Online Musik Magazin)

Ein zum Abschluss noch einmal friedliche Zusammenfassung der Historie Kamioka. Doch kommen wir zurück zur Anfangsfrage: WAS KÖNNEN WIR DARAUS LERNEN?

Aus meiner Lieblingslektüre Molières "Der Menschenfeind" heraus und nach fast einem halben Jahrhundert vielseitiger Theatererfahrung muss ich heute leider sagen: NICHTS!

Schauen Sie nach Hagen – pars pro toto.

Foto (c) Wuppertaler Bühnen

Ihr Peter Bilsing – 22.6.16