Gießen: „Rigoletto“, Giuseppe Verdi

Das Stadttheater Gießen wuchert mit seinen Pfunden. Zu seinem festen Ensemble zählen gerade einmal sieben Sänger. Aus ihren Reihen lassen sich aber erstaunlicherweise die drei Hauptpartien von Verdis Rigoletto, nämlich die Titelfigur, der Herzog und Gilda, und dazu noch die beiden wichtigsten Nebenfiguren, Sparafucile und Maddalena besetzen. Die musikalische Qualität des Abends zeigt, daß die Intendanz hier das passende Stück zu den Fähigkeiten der Stammkräfte ausgesucht hat. Schon seit einigen Jahren imponiert in Gießener Aufführungen Grga Peroš mit seinem warm timbrierten Bariton, der sich mit seiner klangsatten Mittellage und der mühelosen Höhe als ideal für Mozarts Kavalierrollen erwiesen hat. In der letzten Spielzeit zeichnete er in Tosca ein differenziertes Porträt des Scarpia, den er mit seiner (fast zu) schön klingenden Stimme als enttäuschten Liebenden porträtierte. Zugleich ließ er Potential für das dramatische italienische Repertoire erkennen. Das Theater Gießen gönnt seinem Hausbariton in dieser Spielzeit noch den Eugen Onegin. Daß der Rigoletto ganz wesentlich seinetwegen angesetzt worden ist, zeigt sich an der Verschiebung der Premiere um eine Woche. Peroš war erkrankt, und da es „seine“ Partie ist, wollte man ihn nicht durch einen Einspringer ersetzen. Das Warten hat sich gelohnt. Der wieder genesene Bariton erfüllt die in ihn gesetzten Erwartungen auf das Schönste. Sein Porträt des unglücklichen Hofnarren bietet die ganze Bandbreite von bösartigem Spott für des Herzogs Höflinge über besorgte Warmherzigkeit gegenüber seiner Tochter, ängstliche Sorge nach ihrer Entführung und brennende Rachegefühlen nach ihrer Schändung bis zur ergreifenden Verzweiflung über ihre Ermordung am Ende.

Grga Peroš (Rigoletto), Chor und Extrachor / © Christian Schuller

Auch die übrige Besetzung macht dem kleinen mittelhessischen Haus Ehre. Annika Gerhards beginnt die Gilda zurückhaltend mit edelherbem Timbre, erweist sich als koloratursicher und hat genügend Reserven für dramatische Glut im dritten Aufzug. Michael Ha als Herzog vermag es nicht immer, seinen zu metallischer Spinto-Emphase neigenden Tenor zu bändigen. Richtig wohl fühlt er sich bei kräftigen Spitzentönen, die er saftig in den Zuschauersaal schmettert. Er weiß aber auch um die leiseren und eleganteren Töne, welche diese Rolle erfordert. Dabei gelingt ihm manche zurückgenommene Phrase. Mitunter verrutscht dabei aber die Intonation nach unten.

Als Sparafucile beeindruckt der kurzfristig für den erkrankten Clarke Ruth eingesprungene Matthias Wippich mit gefährlicher Baßschwärze und singt gelegentlich Jana Marković an die Wand, die mit warmem Mezzo eine auch stimmlich attraktive Maddalena gibt. Aus den Nebenrollen ragt Jared Ice als Monterone mit kernigem Baß heraus.

Andreas Schüller betont mit dem gut aufgelegten Orchester den trügerisch beschwingten Duktus der Partitur. Die kleinere Besetzung hebt dabei die Farben der Holzbläser hervor. Die Streicher präsentieren sich mit schlankem Klang, der sich mit klug dosiertem Vibrato angenehm unsentimental gibt. Nachdem die Trompete ihre Premierennervosität zum Beginn der Ouvertüre überwunden hat, gefällt das Blech mit vollem, aber nicht plärrendem Sound. Auch der Chor zeigt sich in guter Verfassung und trägt so zum musikalischen Erfolg bei.

Annika Gerhards (Gilda), Michael Ha (Herzog von Mantua) / © Christian Schuller

Die Inszenierung von Amy Stebbins erweist sich werkdienlich und erzählt ohne Regiemätzchen flüssig und spannend einfach nur die Geschichte. Belén Montoliú hat dazu in einer Art mehrflügeligem, bühnenhohem Paravent aus Holzgittern eine Kulisse erstellt, die mit ihrer Beweglichkeit und dem Wechsel weniger Requisiten ohne Umbaupausen mal als Palast des Herzogs, mal als Behausung Rigolettos und mal als Gasse vor Sparafuciles Haus erscheint. Montoliú zeichnet auch für die Kostüme verantwortlich und versetzt die Handlung mit moderner Kleidung in die Gegenwart. Rigoletto, bei dem man auf den werkadäquaten Buckel verzichtet hat, trägt einen dunklen Anzug, gelegentlich auch rollengerecht dazu eine Narrenkappe, die Anzüge der Höflinge sind in hellen Farben gehalten, der Herzog erscheint mit fellbesetztem, weißem Mantel ein wenig extravaganter. Gilda trägt zunächst ein bodenlanges schwarzes Kleid. Daran ist eine überlange rote Schleppe befestigt, mit deren Ende sie anfangs sinnfällig regelrecht in der Wohnung angekettet ist. Später wickelt Rigoletto sie darin ein. So wird die Schleppe zum Symbol seines verzweifelten Versuchs, die Tochter an sich zu binden. Am Ende wird die Ermordete von der Bühne abtreten, während Rigoletto nur noch den roten Stoff in den Händen hält. Weiterer Deutungen enthält sich das Produktionsteam, so daß diese Inszenierung vom Premierenpublikum wohlwollend aufgenommen wird.

Grga Peroš (Rigoletto), Annika Gerhards (Gilda) / © Christian Schuller

Wieder einmal zeigt das Stadttheater Gießen, zu welchen Leistungen ein kleines Haus mit klugem Einsatz seiner Bordmittel fähig ist. Mit dieser Premiere ist der Saisonauftakt in der Musiktheatersparte glücklich gelungen.

Michael Demel, 31. Oktober 2023


Rigoletto
Melodramma von Giuseppe Verdi

Stadttheater Gießen

Premiere am 29. Oktober 2023

Inszenierung: Amy Stebbins
Musikalische Leitung: Andreas Schüller
Philharmonisches Orchester Gießen

Weitere Termine: 5. und 24. November, 1., 15., 23. und 30. Dezember 2023 sowie 23. Februar 2024