Alma Mahler, Gustav Mahler und Schubert mit Erika Baikoff
Am Nachmittag des 26. Juni gab es einen bemerkenswerten Liederabend, den die amerikanische Sopranistin Erika Baikoff und Daniel Heide mit einem abwechslungsreichen Programm gestalteten. Es begann mit vier Liedern von Alma Mahler, von der überhaupt nur 17 Lieder bekannt sind und die äußerst selten zu hören sind. Gleich im ersten Lied, nach dem Gedicht von Rainer Maria Rilke Leise weht ein erstes Blühn, wurde einer der Vorzüge der Sängerin, seit Herbst 2024 im Ensemble der Münchner Staatsoper, deutlich. Sie verfügt über ein sehr gut gestütztes piano, das sich auch in den Höhen schön entfaltet, was zur Lyrik der Alma-Mahler-Lieder bestens passte. Außerdem beeindruckte erneut, wie gekonnt sich der inzwischen in die erste Riege der Liedbegleiter aufgestiegene Pianist der Sängerin anpasste und wie gut beide sich aufeinander abgestimmt haben. Mit der Gruppe der Rückert-Lieder von Gustav Mahler hatten sie sich an teilweise schwere Kost herangewagt. Die vier eher lyrischen Lieder, Ich atmet’ einen linden Duft, dasneckische Blicke mir nicht in die Lieder, Liebst du um Schönheit mitschön aufblühenden Melodiebögen und Ich bin der Welt abhanden gekommen, gelangen auch deshalb überzeugend, weil die Sängerin ihren volltimbrierten Sopran mit ausgeglichenem Legato intonationsrein durch alle Lagen zu führen weiß. Dagegen wirkte die schwere Dramatik in der letzten Strophe von Um Mitternacht doch etwasaufgesetzt. Bei aller mehr als nur soliden Stimmtechnik der jungen Künstlerin störte in der Vortragsweise, dass sie allzu häufig die Augen schloss, und das nicht nur an Stellen, wo es um innere Vorgänge ging. Mit geschlossenen Augen lässt sich nur schwer der nötige Kontakt zum Publikum herstellen. Sie singt doch nicht allein und für sich, sondern sie will sich anderen, hier dem Publikum, mitteilen. So kam ihre natürliche, freundliche Ausstrahlung viel zu selten zur Geltung.

Nach der Pause eröffnete das nicht häufig zu hörende Heimliches Lieben eine Grupperecht unterschiedlicher Schubert-Lieder. Hier fiel die gute Textverständlichkeit der Sängerin auf, bei Sopranen keine Selbstverständlichkeit. So machte die zunächst vergeblich erscheinende Suche nach der geliebten Alinde einfach Spaß, während in dem überlangen (19 Strophen!) Lied Viola dieunterschiedlichen Stimmungen gut herausgearbeitet wurden; auch der Vortrag der ebenfalls „leichteren“ Lieder An Silvia und Im Frühling gefiel. Die gruselige Ballade Der Zwerg, mit dem der Abend beendet wurde, das schwermütige Des Fischers Liebesglück und das endzeitliche Auflösung schienen nicht so recht zu einer noch so jungen Sängerin zu passen; hier fehlte außerdem eine das Verständnis fördernde, deutlichere Deklamation.
Das Publikum spendete den beiden Künstlern begeisterten Applaus, für den sie sich mit drei Zugaben bedankten, mit Schuberts Frühlingsglaube und Nacht und Träume sowie Lilacs (Flieder) von Sergej Rachmaninow (GE).
Schubert und Beethoven mit dem Mandelring Quartett
Am Nachmittag des 27. Juni trat das 1983 gegründete und längst international etablierte Mandelring Quartett (Sebastian Schmidt, Nanette Schmidt, Andreas Willwohl, Bernhard Schmidt) mit einem Programmauf, das überraschend mit „Vier komischen Ländlern in D-Dur für zwei Violinen“ von Franz Schubert begann. Die beiden Violinisten wechselten sich in der Führung ab, so dass von jeder der beiden Geigen die Triller und Intervallsprünge zu hören waren, die die Nähe zum volkstümlichen Jodeln oder Juchzen zeigten – ein schönes Beispiel dafür, dass das, was man heute Cross-over nennt, zu Beethovens und Schuberts Zeit überhaupt kein Problem war. Dem ungewöhnlichen Beginn folgte Schuberts „Rosamunde-Quartett“, dessen Name auf das bekannte Thema im Andante zurückgeht, das der Zwischenaktmusik zum Schauspiel „Rosamunde“ entnommen ist. In der insgesamt gelungenen Interpretation des Mandelring Quartetts fiel besonders die erfolgreiche Bemühung um Schönklang auf, ohne dabei zu vernachlässigen, dass es in den dramatischen Phasen auch einmal schroff klingen darf. In allen Sätzen zeigte sich das hohe streicherische Können der Musiker, für die die vielen virtuosen Stellen kein Problem darstellten, indem sie diese präzise in die Interpretation der einzelnen Sätze einbrachten. Dass perfektes Zusammenspiel durch permanentes Aufeinander-Hören selbstverständliche Voraussetzung des Erfolgs ist, war jederzeit spürbar. Aber auch die Ausdeutung des musikalischen Gehalts des Rosamunde-Quartetts konnte fast durchgängig gefallen: Die meisterhaften Abwandlungen des Hauptthemas im Andante wurden gut herausgearbeitet; allerdings fehlte dem Satz nach meinem Geschmack die nötige Ruhe, so dass der kompositorisch beabsichtigt unruhige Mittelteil zu überhastet klang. Im Menuetto wurdeeine ausgesprochen geheimnisvolle Stimmung erzeugt, die sich im Trio in schwingende Kantilenen auflöste. In den allgemeinen Schönklang des Finales (Allegro moderato) passten sich die virtuos servierten Triolenläufe der 1. Violine und der Viola bestens ein, so dass ein brillanter Abschluss gelang.

Nach der Pause erklang die „Ouvertüre c-Moll D 8A“ von Franz Schubert, die er als 14-Jähriger komponiert und für Streichquartett gesetzt hat. Hier und im folgenden „Rasumowsky“-Quartett C-Dur op. 59 Nr.3 von Ludwig van Beethoven bewährten sich die oben beschriebenen Vorzüge des Quartetts aufs Beste. In der sich dramatisch zuspitzenden, geradezu stürmischen Ouvertüre wurde verdeutlicht, dass das melodische Seitenthema bereits typischer Schubert ist. Im Beethoven-Quartett zeigte sich nach der vom Komponisten erstmalig in Quartetten eingesetzten, nicht nur für damalige Zeit fast schon dissonant klingenden Introduzione – Andante con moto das Allegro vivace trotz der vielen Kontraste und der rasenden Läufe in allen Stimmen als durchaus spielerisch elegant. Im Andante con moto quasi Allegretto mischten sich in die fließende Bewegung um ein melancholisches Moll-Thema nervöse Einwürfe, die mit den vielen reizvollen Pizzikati des Cellos eine gewollt unruhige Stimmung hervorriefen. Anders als in anderen Werken Beethovens, in denen meist ein Scherzo steht, wirkt hier das Menuetto grazioso wie eine Rückerinnerung an das Rokoko; der Mittelteil kommt dagegen wie gewohnt etwas schroff daher. Das Quartett findet schließlich im Finale (Allegro molto) mit der grandiosen Fuge einen mitreißendes Ende. Hier übertrieb das Mandelring Quartett allerdings, indem es mit der ungemein sicheren Technik ein so schnelles Tempo wählte, dass daraus eine wilde Hetzjagd wurde; darunter litt die Durchhörbarkeit deutlich. Das Publikum bejubelte das überaus virtuose Ende mit starkem Applaus. Zur Beruhigung gab es als Zugabe vom „Vater aller Streichquartette“ Joseph Haydn das gegen die Aufregungen im Beethoven-Quartett schlichte Adagio seines allerersten Streichquartetts (GE).
Schuberts „Winterreise“ mit Ilker Arcayürek
Eine Sternstunde des Liedgesangs erlebte man am 27. Juni. Zwei Tage vorher bereits als „Einspringer“ für den Zyklus Die Schöne Müllerin gefeiert, bot Ilker Arcayürek, diesmal mit Ammiel Bushakevitz am Klavier, eine überwältigende Interpretation von Franz Schuberts Winterreise. Wie der Sänger mit den von Schubert selbst genannten „schauerlichen“ Liedern umging, das hatte großes Format, wozu die dichte gemeinsame Gestaltung beider Künstler entscheidend beitrug. Die tieftraurige Stimmung des Zyklus trafen sie sofort: Mit seinem eigen timbrierten, durch alle Lagen intonationsrein geführten Tenor zeigte Arcayürek wieder, über welch breit gefächerte Tonpalette er verfügt. So wurde jedes Lied für sich zu einem kleinen besonderen Drama oder einer herben Erinnerung.

Es seien nur einige der 24 Lieder besonders erwähnt: Überwog noch die Trauer über den Verlust der Liebsten in Gute Nacht, blitzten in Die Wetterfahne durchaus ironisch gesetzte Spitzen auf – in der mit Arpeggien versetzten Klavierbegleitung ebenso wie mit passenden Akzenten wie z.B. bei „… reiche Braut“. Der Lindenbaum entwickelte sich spannend vom zarten schlichten p-Gesang bis zum kurz aufwallenden, dramatischen „…die kalten Winde bliesen…“, um wieder in Ruhe auszuklingen. Feinstes Legato nutzte der Sänger im schmerzhaften Wasserflut, besonders eindringlich gelang Auf dem Flusse. Sehr gut war die Hinführung des Klaviers auf „Es brennt mir unter beiden Sohlen“ in Rückblick; in Irrlicht deutete der Sänger fast opernhaft auf „Bin gewohnt das irre Gehen…“, während in Frühlingstraum lyrische und dramatische Strophen wunderbar kontrastierten. Mit Die Post kehrt nach einem fröhlichen hoffnungsvollen Moment bei den Interpreten die Resignation zurück, Letzte Hoffnung lebte besonders durch die differenzierte Gestaltung einiger Textwiederholungen einzelner Liedzeilen; in Täuschung setzte der Pianist dramatische Kontraste gegenüber dem lyrischen Gesang, im Der Wegweiser begeisterte der stark reflektierte Schluss besonders. Die äußerst intensive Gestaltung von Der Leiermann erzwang eine ungewohnt lange Ruhepause, bevor tosender, stehender Applaus einsetzte. Selten hört man eine so dichte, spannungsvolle Interpretation dieses Liederkreises (ME).
Schumann, Brahms, Dvorak u.a. mit Nikola Hillebrand und Patricia Nolz
Einen interessanten Liederabend mit Duetten von Henry Purcell bis zu Max Reger erlebte man am 28. Juni. Die deutsche Sopranistin Nikola Hillebrand und die an diesem Abend bei der Schubertiade debütierende österreichische Mezzosopranistin Patricia Nolz stellten eine gelungene Mischung von Duetten vor, am Flügel unterstützt von Malcolm Martineau,einem der arrivierten Pianisten. Mit drei Liedern des „Vollenders des englischen Barock“ Henry Purcell eröffneten sie das Konzert. Schienen die Sängerinnen in mit dem flotten Sound the trumpet und Lost is my quiet noch die Ausgewogenheit der Stimmen akustisch auszuloten, gefiel das lustig rübergebrachte What can we poor females do? uneingeschränkt. Bei Liedern von Robert Schumann verbanden sich die Stimmen besonders gut in Liebesgram; bei dem schlichten Volkslied Wenn ich ein Vöglein wär arbeiteten sie die Steigerung in der 3. Strophe sicher heraus und mit Erste Begegnung hörte und sah man, welchen Spaß alle drei Interpreten daran hatten. Marcolm Martineau bewies wieder sein gutes Gespür für sichere Unterstützung der Sängerinnen. Seine einfühlsamen Vor- und Nachspiele kamen besonders bei drei Duetten von Max Reger zur Geltung, in denen der kräftige Sopran und der volltimbrierte Mezzo höchst verschlungene Melodien gekonnt und intonationsrein zelebrierten: Sichere Ruhe strahlte Abendlied aus, intensiv gestaltet kamen Waldesstille und Sommernacht an. Von Johannes Brahms erklangen außer dem fröhlich ironisch gestalteten, publikumswirksamen Duett Die Schwestern das mit accelerandi und ritardandi differenziert dargebotene Die Boten der Liebe, das in schönem piano gesungene Weg der Liebe II, eindringlich Klänge II sowie die in Rede und Gegenrede gesetzte, mitreißend präsentierte Walpurgisnacht.

Nach der Pause folgten vier Duette von Felix Mendelssohn-Bartholdy, in denen die gute Abstimmung der Sängerinnen in Bezug auf Phrasierung und Diktion noch deutlicher zum Tragen kam: Ich wollt‘, meine Lieb‘ ergösse sich, der innige Gruß, das melancholische Herbstlied und das mit Inbrunst gesungene Volkslied. Als besondere Rarität schlossen sich vier Duette von Anton Rubinstein an: Das raffiniert gesetzte Frühlingsglaube, das schlicht Lied betitelte „Die Lotosblume ängstigt…“ mit einem tollen Nachspiel, das spannende Sang das Vöglein und das in Ruhe ausmusizierte Wandrers Nachtlied. Beschlossen wurde das Konzert mit sechs Duetten aus den „Mährischen Duette“ von Antonin Dvorák: Da begeisterten die Interpreten vor allem mit dem lockeren Ich schwimm‘ dir davon, dem heiteren Der kleine Acker, dem ernsthaften Fliege, Vöglein und dem entzückend ausgespielten Grüne, du Gras!.
Das interessierte Publikum dankte den Künstlern für diesen bereichernden Abend mit starkem Applaus, der mit zwei Zugaben erwidert wurde: Humperdincks Abendsegen und einem mitreißenden slawisch-ungarischen Czardas. Es ist der Schubertiade zu danken, dass hier immer wieder sonst nur selten aufgeführte Werke aus dem Bereich der Kammermusik und natürlich der Lieder vorgestellt werden (ME).
Haydn, Schumann und Mendelssohn Bartholdy mit Quatuor Modigliani und Novo Quartet
Das letzte Kammerkonzert der Juni-Schubertiade fand am Vormittag des 29. Juni im ausverkauften Angelika-Kaufmann-Saal statt. Zu Beginn spielte das inzwischen international zur ersten Garde der Streichquartette gehörende Quatuor Modigliani (Amaury Coeytaux, Loic Rio, Laurent Marfaing, Francois Kieffer) das Streichquartett op.77 Nr.2 von Joseph Haydn. Sein letztes Werk dieser Gattung erfuhr eine in sich geschlossene Interpretation durch das erfahrene Quartett. Die freundliche Grundstimmung im Allegro moderato wurdeebenso überzeugend getroffen wie das Presto-Tempoimflotten Menuet, das überhaupt keine tänzerischen Züge aufweist und damit bereits deutlich auf Beethovens Scherzi hindeutet. Über das in sich ruhende Andante mit schön servierten Soli aller Spieler kam es zum technisch anspruchsvollen Finale, in dem alle ihre hohe Virtuosität nachhaltig unter Beweis stellten.
Anschließend trat erstmalig bei der Schubertiade das dänische, 2018 gegründete Ovo Quartet (Kaya Kata Moller, Nikolai Vasili Nedergaard, Daniel Sledzinski, Signe Ebstrup Bitsch) auf, dem von der langsamen Einleitung im Andante espressivo an eine ungemein intensive Ausdeutung des Streichquartetts A-Dur op.41 Nr.3 von Robert Schumann gelang. Hier seien das in sich ruhende, mit leidenschaftlichen Einwürfen und entsprechenden Auseinandersetzungen angefüllte Adagio sowie das rasante, rhythmisch akzentuierte Finale hervorgehoben. Besonders positiv fiel auf, dass das junge Quartett trotz starker Tempowechsel stets geradezu perfekt zusammen spielte.

Nach der Pause spielten beide Quartette das Streichoktett Es-Dur op.20 des 16-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy, das zahlreiche Ähnlichkeiten mit seinen frühen Streicher-Sinfonien aufweist. Mit seinen romantisierenden Elem0enten geht das Oktett weit über die klassische Komponierweise hinaus und verlangt eine hohe streicherische Kompetenz, die die Künstler aus Frankreich und Dänemark überzeugend unter Beweis stellten. Unter Führung des Primgeigers des Quatuor Modigliani, der durch sichere Ausführung der vielen virtuosen Passagen imponierte, gelang eine begeisternde Interpretation des vielschichtigen Werks. Im 1. Satz, dem Allegro moderato con fuoco, verfielen die Streicher trotz des sinfonischen Charakters der Komposition niemals in zu starkes Spielen der typisch orchestralen Begleitfiguren und des durchgehenden Tremolos, was den beiden führenden Geigen doch akustische Probleme bereitet hätte. Im Andante gefiel der schön gewebte Streicherklang-Teppich, der der solistischen 1. Violine bereitet wurde. Die streicherischen Finessen wie Springbögen, Pizzikati und Triller-Verzierungen im dahin huschenden Scherzo, einer Vorwegnahme der Elfenklänge aus dem „Sommernachtstraum“, leiteten über in das Schluss-Presto mit seiner Fülle von Themen und einem Fugato wie einem Perpetuum mobile; hier gelang mit irrwitzigem Tempo eine hinreißende Ausdeutung – insgesamt ein wahrlich krönender Abschluss der diesjährigen Juni-Schubertiade in Schwarzenberg (GE).
Marion und Gerhard Eckels, 29. Juni 2025
Schubertiade 2025
Teil 2
Angelika-Kaufmann-Saal in Schwarzenberg (Vorarlberg)
21. bis 29. Juni 2025
Künstlerische Leitung: Gert Nachbauer
Weitere Schubertiaden: 10. – 14. Juli + 1. – 5. Oktober 2025 in Hohenems und 23. – 31. August 2025 in Schwarzenberg