Berlin: „La cage aux folles“, Jerry Herman

Erstmals seit seiner langen Intendantenzeit verantwortet der Regisseur Barrie Kosky eine Neuproduktion am Haus als Gast. Das Stück über Toleranz und Mut zur Befreiung aus Konventionen ist wie geschaffen für den Australier, der das Genre der Operette und des Musicals mit spektakulären Erfolgen an der Behrenstraße wieder belebt hat. Vertraute Mitstreiter standen ihm zur Seite, vor allem der Choreograf Otto Pichler, der die Tanzszenen im Nachtclub La Cage aux Folles mit rasantem Tempo, aufgeheiztem Temperament und erotischem Raffinement gestaltet hat. Gleich zu Beginn sieht man exotische Vögel mit viel Federputz in ihren Käfigen, die von den Chorsolisten befreit werden, um sich danach tänzerisch auszutoben. Als Cagelles im Nachtclub mit Federboas sind sie schlicht umwerfend. Wie in vielen Inszenierungen Koskys ist manches wieder zu grell und überdreht, wenn die Tänzer und Chorsolisten anhaltend kreischen müssen, manches auch albern und im Timing überdehnt, vor allem in stummen Szenen mit akustischer Nonsens-Untermalung. Rufus Didwiszus’ Szene ist überbuntet, im Hintergrund von einem Vorhang mit einer Südsee-Malerei mit Papageien im Stil von Gauguin begrenzt. Pornografischen Anstrich hat das Wohnzimmer des Männerpaares Georges und Albin mit einer überdimensionalen Wandzeichnung der Schwulen-Ikone Tom of Finland und riesigen Phalli als Sitzmöbel und Bodenvasen.

(c) Monika Rittershaus

Die Kostüme von Klaus Bruns sind überwältigend in ihrer optischen Pracht und dem schier überbordenden Einfallsreichtum. Federn in allen Farben und Arten suggerieren eine südländische Atmosphäre, Gold und Silber stehen für den Glamour eines Großstadt-Varietés.

Glänzend besetzt ist das Protagonisten-Paar mit dem Nachtclubbetreiber Georges und seinem Lebensgefährten Albin, der als Dragqueen Zaza im Club auftritt und dessen Star ist. Stefan Kurt war dann auch Mittelpunkt der Aufführung mit einem herrlich lasziven Ton und reicher darstellerischer Palette. In verschiedenen Kostümierungen und Perücken war er mal Marlene, dann Quentin Crisp, Mary und sogar Queen Elizabeth samt ihrem Hofstaat. Stets spürte man hinter dem Glamour seiner Auftritte auch deren tragische Dimension. Den berühmten Hit „I am what I am“ präsentierte er mit Selbstbewusstsein als Schwulen-Hymne. Peter Renz war mit seiner langen Operettenerfahrung ein ungemein sympathischer Georges mit solidem Spieltenor, der als Conferencier des Nachtclubs im glitzernden Paillettenjacket gute Figur machte und die nostalgischen Melodien mit Charme servierte. Beiden Interpreten sind die stillen und berührenden Momente der Aufführung zu danken, welche zu deren schrill überdrehten Szenen einen wohltuenden Kontrast bildeten.

(c) Monika Rittershaus

Ein exaltierter Paradiesvogel war Daniel Daniela Ojeda Yrureta als spanisch parlierender und imponierend in den Spagat springender Butler Jacob, gern in Pink gekleidet und in tuntiger Allüre posierend. Georges’ Sohn Jean-Michel aus einer früheren Beziehung war mit Nicky Wuchinger als sehr heutiger Typ und Musical-Interpret besetzt. Als seine virtuos das Tanzbein schwingende Freundin Anne gefiel Maria-Danaé Bansen. Unauffällig blieben Tom-Erik Lie und Andreja Schneider als ihre Eltern. Mit Helmut Baumann als Restaurantbesitzerin Jacqueline stand eine Berliner Musical-Legende auf der Bühne, hatte er doch in der legendären Produktion des Stückes am Theater des Westens 1985 die Zaza verkörpert. Noch immer funktionieren Stimme und Auftritt angemessen.

Mit Koen Schoots stand ein Spezialist für dieses Genre am Pult des Orchesters der Komischen Oper Berlin, der die Musik mit Esprit und Verve servierte, sie nicht selten aber auch bis zur akustischen Schmerzgrenze aufdrehte. Die Produktion markiert ein neues Highlight im Repertoire des Hauses, wie die enthusiastische Aufnahme bewies.

Bernd Hoppe, 7. Februar 2023


Jerry Herman: La Cage aux Folles

Komische Oper Berlin

3. Februar 2023

Premiere am 28. Januar 2023

Inszenierung: Barrie Kosky

Musikalische Leitung: Koen Schoots

Orchester der KO Berlin