Frankfurt, Konzert: „Wiener Symphoniker“ unter Jaap van Zweden

Beethoven war fasziniert von Goethes Trauerspiel, so sehr, dass er eine Schauspielmusik komponierte, die 1810 erstmals erklang. Die wuchtig düster beginnende Ouvertüre, die am Ende in ein  Licht des Triumphs führt, zählt zu den besonders beliebten Werken Beethovens. Sie stand am Beginn des Pro Arte Gastspiels mit den Wiener Symphonikern und ihrem Gastdirigenten Jaap van Zweden. Und der Einstieg geriet wunderbar überzeugend. Wie ein Preisboxer mit wuchtigem Körpereinsatz setzte van Zweden seine Energie in die äußerst ruppig gespielten Auftakt Akkorde. Was folgte, war ein Kurzdrama in zehn Minuten mit mächtigem Ende. Schroff und mit nicht ermüdender Offensive meißelte van Zweden Beethovens bezwingende Musik als zeitloses Bekenntnis in den Saal. Nach der Nacht des Kampfes kehrt das Licht zurück. Die Wiener Symphoniker trumpften mit großer Klangfülle auf und beschenkten die Zuhörer bereits am Beginn mit einer herausragenden Leistung. Begeisterung im Saal!

(c) Simon Fowler

1805 war Beethoven in einer intensiven Schaffensphase. Er arbeitete an seinen Sinfonien fünf und sechs. Hinzu kam dann sein viertes Klavierkonzert, welches erkennbar symphonisch gestaltet ist. Zart ist der Beginn und ungewöhnlich. Das Klavier beginnt traumverhangen, die Ruhe vor dem Sturm der Revolution. Voller Erhabenheit und Größe entwickelt sich der Eingangssatz. Im deutlichen Kontrast dazu steht der kantable zweite Satz, der aber auch Unruhe in sich birgt, wie es die Streicher deutlich formulieren. Das beschließende Rondo wird mit Pauken und Trompeten zu einer entschiedenen kraftstrotzenden Geste ausgestaltet.

Das Frankfurter Publikum durfte sich auf eine große Künstlerin am Klavier freuen. Die bezaubernde Beatrice Rana, noch in unvergesslicher Erinnerung mit Schumanns Klavierkonzert, zeigte auch bei Beethoven einen hoch individuellen Zugang, der über technisches Virtuosentum weit hinaus ging. Die begnadete Italienerin spielt mit einer derart tiefen Reife im Ausdruck, als würde eine am Ende ihres Lebens stehende Künstlerin auf ihr schöpferisches Leben zurückblicken. Ganz versunken in der Musik entstehen ihre Seelenklänge. Schon die zart gespielten Eingangsakkorde sind reinste Magie. In den endlosen Arpeggios zeigte sie eine bestechende Klarheit in der kompositorischen Struktur. Ihre Dynamik wirkte jederzeit völlig natürlich aus dem Moment entwickelt. Der Ansatz war mit staunenswerter Leichtigkeit auf den Klaviertasten  realisiert. Sorgsam und nicht zu freigiebig nutzte sie das Pedal. Zum Niederknien gerieten die leisen, innigen Momente. Voller Intimität und Anmut gestaltete Rana das Andante des Mittelsatzes und löste damit Zeit und Raum auf. Das beschließende Rondo war hoch energetisch und kraftstrotzendes Bekenntnis der Lebensfreude. An ihrer Seite bot ihr Jaap van Zweden mit den beherzt aufspielenden Wiener Symphonikern deutlich Paroli. Stilistisch treffsicher bot er einen feurig musizierten Orchesterpart, dabei immer seine Solistin sensibel begleitend.

Große Begeisterung im Publikum, die Beatrice Rana mit zwei Zugaben bedankte. Ein Traum in Tönen war der mit größter Sensibilität vorgetragene „Schwan“ aus dem „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saens.

Nach der Pause dann stand die D-Dur Sinfonie Nr. 2 von Johannes Brahms auf dem Programm. Noch einmal Brahms aus Wien, nachdem das gleiche Werk zwei Tage zuvor mit den Wiener Philharmonikern und Christian Thielemann erklang. Und der Unterschied war groß, sowohl zwischen Orchester und dem jeweiligen Dirigenten. Bei den Wiener Philharmonikern mit Thielemann war Brahms als reifer Mann mit Rauschebart zu erleben. Erhaben und groß.

(c) Stefan Olah

Im deutlichsten Kontrast dazu standen die Wiener Symphoniker, die das Werk mit entfesselter Dynamik sehr viel jugendlicher spielten. Mit Jaap van Zweden war der junge attraktive Brahms, noch bartlos, zu erleben. Wie oft mag Jaap van Zweden dieses Werk als ehemaliger Konzertmeister des Concertgebouw Orkest Amsterdam gespielt haben? Brahms ist ein wichtiger Eckpfeiler seines Repertoires. Mit starker Energie und intensiver Körpersprache vergrub sich van Zweden in Brahms Meisterwerk. Es war schon erstaunlich und ein besonderes Erlebnis, dass van Zweden keine Orchestergruppe betonte, wie es etwa Thielemann mit der Bevorzugung der Streicher tat. In einem fortwährenden aufgekratzten Espressivo durften alle Musiker sich deutlich Gehör verschaffen. Ein völlig losgelöster Brahms, sehr pointiert im Rhythmus und der individuellen Betonung, dabei jederzeit überschäumend. Wie anders wirkt diese Musik, wenn sie derart losgelöst und ungehemmt zu hören ist. Die Wiener Symphoniker fühlten sich hörbar wohl mit diesem unwiderstehlichen Interpretationsansatz und begeisterten solistisch und als Kollektiv. Das jubelnde Finale wurde vom Publikum heftig akklamiert. Als Zugabe nochmals Brahms mit dessen unverwüstlichem fünften ungarischen Tanz.

Dirk Schauß, 3. März 2023


Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 02. März 2023

Ludwig van Beethoven

Ouvertüre zu „Egmont“ op. 84

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58

Johannes Brahms

Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Beatrice Rana, Klavier

Wiener Symphoniker

Jaap van Zweden, Leitung