Rheinland: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2023/24“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach der Mailänder Scala blicken wir heute auf die Theater im Rheinland: Theater Bonn, Oper Köln, Deutsche Oper am Rhein und in einem Seitenblick auf das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen.


Bestes Opernhaus:
Oper Bonn: Das Haus punktet mit einem spannenden Spielplan und Produktionen, die szenisch und musikalisch überzeugen.

Beste Produktion:
Moses und Aaron – Oper Bonn: Ein begeisternder, expressiver Abend, der musikalisch wie szenisch mitreißend ist. Der Oper Bonn ist mit dieser Produktion ein wahrer Kraftakt meisterlich gelungen, nicht zuletzt durch die atemberaubende Leistung der Protagonisten, allen voran Dietrich Henschel als Moses.

Größte Enttäuschung:
Strauss: Die Frau ohne Schatten – Oper Köln: Eine Inszenierung, die in Belanglosigkeit ertrinkt und offenkundig selbst die Sänger so langweilt, dass auch sie sich lieber das optisch nervig omnipräsente Riesenorchester anschauen. Wirklich eine vertane Chance.

Entdeckung des Jahres: Werner Egk: Columbus – Oper Bonn
Ein Werk, das zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist und durchaus Potential für weitere Produktionen hat.

Beste Gesangsleistung (Hauptrolle):

  • Ensemble:
    Hans-Peter König als Gurnemanz im Parsifal – Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf. Große Präsenz und enorme Textverständlichkeit machen dieses Rollenporträt so besonders.
  • Gast:
    Sebastian Kohlhepp als Idomeneo – Oper Köln. Eine echte Idealbesetzung für diese Rolle.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):

  • Ensemble:
    Kahnyiso Gwexane als Narraboth in Salome – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen: Ein phantastischer Nachwuchssänger, der sich in der kommenden Spielzeit auch endlich mit einer Hauptrolle (Rodolfo in La Bohème) präsentieren darf.
  • Gast:
    Agostina Smimmero als Ulrica in Un ballo in maschera – Oper Köln: Eine selten so zu hörende lodernde Tiefe, die für diese Rolle einfach ideal ist.

Nachwuchssänger des Jahres:
Laurence Kilsby in den Rollen Lucano / Soldato I / Famigliare II in Die Krönung der Poppea – Oper Köln: Man darf gespannt sein, wohin der Weg dieses wunderbaren Sängers noch führen wird.

Bestes Dirigat:
Axel Kober: Parsifal – Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf: Kober weiß einfach, wie er Wagner dirigieren muss. Ein Dirigat, das angenehm leicht und frisch ist und einem übertriebenen Pathos etwas entgegensetzt.

Beste Regie:
Lorenzo Fioroni – Moses und Aron – Oper Bonn: Dem Regisseur gelingt ein spannender und schlüssiger Zugriff auf dieses wahrlich nicht leichte Stück.

Bestes Bühnenbild:
Paul Zoller – Moses und Aron – Oper Bonn: Mal opulent, mal reduziert, mal in verstörender Perspektive, mal plakativ – Zoller schafft es immer passende und spannende Bilder für diese herausragende Produktion zu schaffen.

Beste Chorleistung:
Theater Bonn – Moses und Aron: Gerade in dieser, aber auch in allen anderen gesehenen Produktionen zeigt sich der Bonner Opernchor als kraftvoller und wunderbar homogener Klangkörper.

Größtes Ärgernis:
Die vermutlich an Orchestermusikerinnen versendeten Unterleibfotos des geschassten Kölner GMD Francois-Xavier Roth, die den Steuerzahler Dank gezahlter Abfindung 200.000 Euro kosten. Dass dieser brillante Dirigent wahrscheinlich mit dieser selten dämlichen Aktion seine Karriere quasi beendet hat, verleiht der ganzen Sache noch eine tragische menschliche Note. Aber die Oper, die Roth nach zwölf Jahren Sanierung hätte wiederöffnen sollen, ist ja ohnehin immer noch nicht fertig. In Köln ist halt einfach vieles ärgerlich.


Die Bilanz zog Sebastian Jakobs.