Potsdam: „Friedrich II. – Mythos und Tragödie“

Umjubelte Welt-Uraufführung

Bei diesem knappen Zeitplan könnte man meinen, das Team von Spotlight-Musical hätte „Friedrich II. – Mythos und Tragödie“ aus aktuellem Anlass mal schnell nebenher gezaubert: In weniger als einem Jahr wurde das Stück komponiert und umgesetzt. Nur ein PR-Gag zum 300. Geburtstag des Preußenkönigs? Weit gefehlt!

Was den Zuschauer am Freitag abend in der Metropolishalle im Potsdamer Filmpark Babelsberg präsentiert wurde, war Musical vom Feinsten – made in Germany. Dass man ein so gewichtiges, urdeutsches Thema so frisch, ideenreich und mitreißend umsetzten kann, ist schon eine kleine Sensation.Viel Liebe steckte da drin. Man merkte vom ersten bis zum letzten Moment, wie gut die Crew recherchiert hatte, dass sie für Friedrich II. und seine Lebensgeschichte nur so vor Begeisterung brannte und dass hier ein Autorenteam sein gesammeltes Talent und Hirnschmalz aufgeboten hatte, um eine Story möglichst schillernd und inhaltsreich auf die Bühne zu brin- gen. Schon beim Szenenapplaus hörte man, dass fast alle Nummern voll ins Schwarze trafen.

Am Ende war das Publikum hingerissen und feierte das Stück und seine Darsteller mit minutenlangen Standing Ovations. Denn „Friedrich der II.“ hat einfach alles, was ein rundum beglückender Theaterabend braucht: Sehr starke Darsteller – dank einer echten Starbesetzung, intelligente Dramaturgie (Christoph Jilo), sprechende Bühnenbilder mit großem Flair für die verschiedenen Schauplätze (Christoph Weyers), fetzige Musik (von Dennis Martin und Marc Schubring) und sehr gute Dialoge (Wolfgang Adenberg). Sehr gelungen waren auch die Choreographien von Doris Marlis, die die Geschichte illustrierten, denn niemals stolperte der Plot über eine Tanzszene – im Gegenteil, das Stück bekam dadurch Schwung. Genauso war es bei den Kostümen: Sie wirkten sinnlich und anschaulich, aber niemals erdrückend (Ute Carow).

Friedrichs Leben wird in Rückblenden erzählt: Der greise König unterhält sich mit dem Schatten seines Jugendfreundes Katte, dessen tragischer Tod zum schicksalhaften Wendepunkt seines Lebens wurde. Dann erleben wir die Geschichte von Friedrichs konfliktreicher Jugend, das rebellische Aufbe- gehren eines sensiblen und künstlerisch veranlagten Menschen gegen einen übermächtigen, roh-pragmatischen Vater, der dem Jungen seine preußischen Ideale einzubleuen versucht. Ein großes Verdienst der Autoren war, dass sie die gegensätzlichen Charaktere und Lebensentwürfe Friedrichs und seines Vaters einander wertfrei gegenüber stellten, so wurde der unausweichliche Konflikt der Beiden nachvollziehbar und menschlich berührend. Heiko Stang verkörperte einen imposanten Friedrich Wilhelm I., der einem trotz seiner Härte niemals unsympathisch wurde, weshalb auch er am Ende riesigen Beifall erntete.

Tobias Bieri war der perfekte Kronprinz Friedrich: Blond gelockt und schön, stolz und heldisch doch sensibel und zerbrechlich zugleich. Er hat absolut das Zeug zum Charakterdarsteller und gab seinem Part unerwarteten Tief- gang. Eine wunderbare Fügung war auch, dass er und sein gealtertes Alter Ego sich so unheimlich ähnlich sahen, dass der Zuschauer sie sofort als eine Person begriff. Chris Murray war dieser mürrische „alte Fritz“, der im Stück über weite Strecken als Erzähler auftritt. Nach dem Bieri sich jugendlich-unschuldig durch den ersten Teil gerockt hatte, erlebte man mit Murray im zweiten Akt Friedrich den Großen auf dem Höhepunkt seiner Macht als vereinsamten Herrscher, der ohne es zu wollen, seinem Vater verheerend ähnlich geworden war. Für Murray ergab dies wunderbare Gelegenheiten, um alle Register seiner Schauspielkunst zu ziehen und eine baritenorale Stimmgewalt zu entfesseln, die beim Publikum für Gänsehaut und Begei- sterung sorgte. Allein wie diese beiden „Friedrichs“ zu einer Persönlichkeit verschmelzen konnten und die schicksalsbedingte Veränderung anschaulich machten, war faszinierend und sehenswert.

Und dann waren da noch der ebenso überzeugende, geradlinige Maximilian Mann als Leutnant Hans Hermann von Katte, der zu Friedrichs einzigem echten Freund wird und Elisabeth Hübert als Friedrichs sonnige Schwester Wilhelmine. Die Beiden spielten nicht unwesentliche Rollen und wurden außerdem in eine zarte Romanze verwickelt. Dazu kontrastierend wurden August der Starke (Petter Bjällö) und der Schrifsteller Voltaire (Léon van Leeuwenberg) als nicht ganz ernstzunehmende Zeitgenossen in Szene gesetzt. Ihre Showeinlagen peppten das Drama auf und waren inspiriert vom lustigen Dresdner Hofleben und der „kleinen heilen Welt“ der Dichter und Denker auf Schloss Sanssoucie. Schön war, dass diese Nummern doch nie den Bezug zur Tragik der Geschichte verloren – zum Beispiel, wenn Friedrich einen verhalten kritischen Gesprächspartner anherrscht, dass hier über alles diskutiert werden dürfe – außer Politik!

Etwas flach, weil 0815-sexy und ziemlich lieblos war allein die Verführungs- szene mit der Gräfin Orczelska (Isabel Trinkaus), deren Bekanntschaft der junge Friedrich am Dresdner Hof macht. Diese Episode hätte charmanter erzählt werden können. So schien es ein bisschen, als wollten die Autoren noch unbedingt einen Vamp in ihr Stück einbauen (dessen Fehlen vermut- lich niemand bemerkt hätte, da er die Familienfreundlichkeit des Abends unnötig schmälerte).

Doch eigentlich ist „Friedrich II. – Mythos und Tragödie“ sowieso nichts für kleine Kinder, zumal man hier die Hinrichtung Kattes, düstere Kriegsszenen und einige beklemmende Emotionen sieht. Vor allem ist es ein sehr intellek- tuelles Musical, dessen Witz im Umgang mit der Geschichte liegt – ein Stück, dass historische Gestalten zugänglich macht, Vorbildung erfordert und zum Nachforschen animiert. Und gerade von diesem leidenschaftlichen und offenherzigen Umgang mit dem mythenumrankten Friedrich II. war das Potsdamer Publikum so begeistert. Für Musicalfans ist der Besuch in Potsdam ein Muss: „Friedrich II.“ bietet lebenspralles Theater von höchster Qualität und Intensität. Nur bis zum 30. Juni!

Rosemarie Frühauf

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