Lüttich: „La clemenza di Tito“, Wolfgang Amadeus Mozart

Besuchte Aufführung: 21. Mai 2019

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Wenn die Opera Royal in Liege Mozarts „Clemenza di Tito“ herausbringt, dann erwartet man eigentlich ein großes Historienspektakel mit Tempel, Palästen und wallenden Togen. Erstaunlicher Weise geht das Ausstattungs- und Regieteam Cécile Roussat und Julien Lubek einen ganz anderen Weg und interpretiert diese Oper als Geschichte über die menschliche Evolution, der von der tierischen Leidenschaft zur menschlichen Vernunft führt. Herausgekommen ist eine Inszenierung, die optisch an Phil Collins „Tarzan“-Musical erinnert.

Das Regieteam bringt einen Urzeitdschungel aus Tüll und Lianen auf die Bühne, in deren Zentrum sich ein riesiger Baum befindet. Schon bei der Ouvertüre tummeln sich einige Urviecher über die Bühne. Später sorgt eine achtköpfige Akrobatengruppe für wilde Aktionen.

Wenn die Artisten Saltos schlagen, sich aus dem Bühnenturm abseilen oder in bester Parcour-Manier durch die Landschaft springen, kann man nur staunen. Ganz so akrobatisch sind die Sänger hier nicht gefordert, aber auch sie sind als mythologische Wesen kostümiert. Titus ist ein Zentaur, Sesto ein Satyr, Servilia eine Ziege und Annio ein weiß-goldgeflügeltes Wesen. Er verfügt zwar nur über eine Schwinge, darf aber trotzdem die Bühne überfliegen.

So phantasievoll das alles aussieht, so bleibt die Personenführung doch konventionell und die Solisten hätten sich genauso gut in einem antiken Szenario bewegen können. Nach der Pause lüftet sich der Dschungel, und zentrale Spielstätte ist nur noch ein Steinpodest. Zwar gibt es auch hier optisch starke Lösungen, doch der Dschungel-Zauber des ersten Aktes ist verflogen.

Ist man Liege sonst hochkarätige und fulminante Sängerbesetzungen gewohnt, so muss man bei dieser Produktion große Abstriche machen. Die größte Enttäuschung ist Patrizia Ciofi, die eigentlich der Star des Abends sein sollte, als Vitellia. In der Tiefe, die diese Partie nun einmal benötigt, versagt sie vollständig, die Höhe klingt flach und farblos. Man fragt sich, ob die Sängerin lediglich indisponiert ist, was aber nicht angesagt wird oder ob sie sich in einer Stimmkrise befindet? Dass sie an diesem Abend auf der Bühne steht ist, umso verwunderlicher, da die Aufführung live im Internet übertragen wird. Auch Veronica Cangemi verstört als Servilia mit vielen Schärfen in der Höhe.

Bezeichnend für das sängerische Niveau ist, dass es den ersten Szenenapplaus nach 50 Minuten gibt, und zwar für Anna Bonitatibus, die einen hörenswerten Sesto singt. Die Stimme klingt rund und spricht in allen Lagen sauber an. Zudem gleiten ihr die Koloraturen geläufig durch die Kehle, und sie besitzt auch das nötige dramatische Feuer. Etwas lyrischer, aber genauso zuverlässig, legt Cecilia Molinri den Annio an.

Auch der Titus von Leonardo Cortellazzi kann nicht vollständig überzeugen. Er hat zwar alle Töne für diese Rolle, klingt in der Höhe aber eng. Zudem bräuchte diese Partie einen Sänger, dessen Stimme mehr Farbe und Charakter besitzt. Immerhin verfügt er über eine schöne Mittellage und ein gutes Piano.

Recht brav kommt Thomas Rösner am Pult des Orchesters der Opera Royal daher. Wahrscheinlich nimmt er Rücksicht auf die Fähigkeiten der Sängerinnen und Sänger, jedoch klingt Mozarts Musik in ihrer dynamischen Bandbreite sehr eingeschränkt und auch die Tempi wirken eher betulich.

Zum Abschluss der Saison ist in Liege eine Koproduktion mit der Oper Frankfurt zu erleben: Bellinis „I Puritani“ wird vom 16. bis 28. Juni gespielt. Vincent Boussard führt in den Bühnenbildern von Johannes Leiacker Regie.

Rudolf Hermes, 27.5.2019

Bilder (c) Opera Royal de Wallonie