Bad Oldesloe: „Talkin‘ about Barbara – 17th Century Jazz“, Laila Salome Fischer und Il Giratempo

Für Liebhaber der Renaissance- und Barockmusik, zumal in reizvollen und unerwarteten Bearbeitungen, ist sie schon längst kein Geheimtip mehr – Laila Salome Fischer ist gerade in Norddeutschland als vielseitige Solistin aus zahlreichen Opern und Operetten oder auch von Liederabenden bekannt. Ihre jüngst erschienene CD „Scenes of Horror“ mit barocken Arien ist mehrfach glänzend besprochen worden; die Einspielung ist das Ergebnis einer klangfarbenprächtigen Zusammenarbeit mit dem Ensemble „Il Giratempo“.

Wie diese allesamt phantastischen Musiker es schaffen, frühbarocke Dramatik mit New Yorker Jazz-Sound auf Glücklichste zu vereinen, konnte man am 15. August 2024 in der Peter-Paul-Kirche in Bad Oldesloe bei Lübeck hören. Die Mezzosopranistin mit der wandelbaren Stimme legte mit dem Saxophonisten Markus Mehl (Jazzsaxophon), Frauke Hesse (Viola da Gamba) Vanessa Heinisch (Theorbe) und Max Volbers (Cembalo und Blockflöte) ein erfrischendes, ungewöhnliches und ja mitreißendes Programm hin. Das war vor allem der erst in jüngster Zeit zu angemessenem, wenngleich spätem Ruhm gekommenen venezianischen Komponistin Barbara Strozzi gewidmet, weswegen der Abend auch „Talkin´ about Barbara – 17th Century Jazz“ übertitelt war. Diese Musikerin, die sich an Begabung nicht hinter Größen wie Monteverdi oder Cavalli verstecken mußte, empfand ihr Schicksal stets als unglücklich, was sich auch in vielen ihrer Werke widerspiegelt. Aber man hatte in Bad Oldesloe den Eindruck, daß die Komponistin, die gerade die vokale Kammermusik ihrer Zeit entscheiden mitprägte und bereicherte, lächelnd von einer der Emporen herabsah, mit den Worten „Ecco! Come funziona il liberalismo!“ auf den Lippen – „Na also! So funktioniert Liberalität!“, und zwar im Sinne einer geschlechtlichen Gleichberechtigung wie der Verbindung völlig unterschiedlicher Musikstile und von Instrumenten, die man selten so im Ensemble hört.

© Andreas Ströbl

Von Barbara Strozzi erklangen zu Herzen gehende Lieder und Arien, wie Lagrime mie, der Klage um eine unglückliche Liebe, und E pazzo il mio cor, in der sich der Ärger um die eigene emotionale Angreifbarkeit hörbar Luft macht; in Amor dormiglione wird der Liebesgott an seine Aufgabe erinnert und Sete pur fastidioso spiegelt wiederum die bittere Erkenntnis, daß statt Liebe am Ende nur Zorn zu ernten ist. Dem verschmähten Liebhaber wird Dummheit unterstellt, das „stupido“ singt die Sopranistin tatsächlich wie einen gehässigen Vorwurf. Kein leichtes Programm, und Laila Salome Fischer, die abwechselnd mit den beiden Herren den Abend humorvoll und charmant moderierte, gab diesen Äußerungen einer verletzten Seele mit Schluchzen, zornigen Ausbrüchen und einer lebendigen Mimik einen ergreifenden und unmittelbaren Ausdruck – das Saxophon von Magnus Mehl jammerte und klagte mit der Sängerin um die Wette.

Leichtfüßig-tänzerisch kam nach dem innigen Liebeslied Amarilli mia bella das lebensfrohe Al fonte, al prato daher – beide Stücke stammen aus der Feder von Giulio Caccini, der nicht nur Zeitgenosse Monteverdis, sondern auch wie dieser an der Entwicklung der neuzeitlichen Oper beteiligt war. Der große Wegbereiter selbst durfte selbstverständlich nicht fehlen und so erklangen von Monteverdi Illustratevi, o cieli aus seiner Odysseus-Oper und das tränenrührende Addio, Roma aus seiner Krönung der Poppea – nur ein grober Klotz hätte bei Laila Salomes Fischers Vortrag nicht schlucken müssen.

Auch Cipriano de Rores Ancor che col partire ist ein Liebeslied voller Schmerz, aber auch aufrichtigem Bekenntnis; nicht nur in diesem Stück spielte Magnus Mehl virtuos mit spröden Dissonanzen und geschmeidigen Auflösungen, durchbrach die rauhen Töne durch sanfte Linien. Charakteristisch für sein Spiel sind kurz und trocken angeblasene Töne, die Spannungen aufbauen, um dann wieder in einen weicheren Duktus überzugehen.

Veni creator spiritus ist ja ein uralter Hymnus von Hrabanus Maurus aus dem 9. Jahrhundert, aber hier zeigte sich die Begabung des Ensembles, selbst frühmittelalterliche Tonsprache mit der Moderne zu verbinden. Aus sakraler Wurzel – Laila Salome Fischer schritt singend langsam vom Westportal in den Chorraum – ergab sich ein reiches Spektrum an musikalischen Linien, die von Gambe, Theorbe und Blockflöte aufgenommen und variiert wurden. So entstanden immer wieder, wie Magnus Mehl es ausdrückte, vielschichtige Klangflächen, die unterschiedliche Stimmungen erzeugten.

Bernardo Storaces Ciacona, eigentlich als Füllstück mit Improvisationen gedacht, geriet zum Höhepunkt des Abends, weil alle Ensemblemitglieder ihr Können unter Beweis stellen durften. Neben dem kaum zu bändigenden Markus Mehl mit zuweilen an einen Klezmer-Ton erinnernden Passagen glänzte vor allem Max Volbers mit atemberaubenden Läufen auf dem Cembalo; Vanessa Heinischs Theorbe zauberte elegante Klänge, die manchmal an ein Vivaldi-Mandolinenkonzert denken ließen. Frauke Hesse entlockte der Gambe neben entschiedenen Strichen sanfte Seufzer – vor der Pause hatte sie nach dem Reißen einer Saite bereits bewiesen, daß man da eben einfach souverän weiterspielen kann, wenngleich die Künstlerin es nicht nötig hatte, wie Paganini den Naturdarm zuvor zu präparieren.

Ohne Zugabe entließ das begeisterte Publikum die sympathischen Musiker natürlich nicht und so gab es als Abschluß das berühmte Sí dolce è’l tormento von Monteverdi. Beim Hinausgehen waren sich auch diejenigen einig, die weder einen Zugang zum Barock noch zum Jazz haben: In das hier virtuos und mit größter Spielfreude präsentierte Kind der beiden ungleichen Eltern muß man sich einfach verlieben!

Andreas Ströbl, 16. August 2024


„Talkin´ about Barbara – 17th Century Jazz“
Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals

15. August 2024

Peter-Paul-Kirche, Bad Oldesloe

Mezzosopran: Laila Salome Fischer
Jazzsaxophon: Magnus Mehl
Ensemble Il Giratempo