Als Koproduktion mit der Opéra national de Lorraine in Nancy, dem Theater St. Gallen und der Opera Ballet Vlaanderen ist die hierzulande selten gespielte Belcanto-Oper und damit die wohl berühmteste Liebesgeschichte der Literatur nun auch auf die Magdeburger Bühne gekommen. Romeo und Giulietta haben sich bei Bellini und seinem Librettisten Felice Romani schon längere Zeit vor Beginn der Handlung unsterblich ineinander verliebt, obwohl sich ihre Familien, die Capuleti und die Montecchi, in einer Dauerfehde befinden. Die Neuinszenierung der Regisseurin Pınar Karabulut, der Bühnenbildnerin Michaela Flück und der Kostümbildnerin Teresa Vergho verzichtet auf alles historisch Anmutende und wirkt mit künstlichen, unnatürlichen Bewegungen und Gesten der Protagonisten merkwürdig abgehoben und abstrahiert. Alles spielt sich auf einer kahlen Bühne ab, die meist in diffuses, rotes Licht getaucht ist; in der Mitte steht eine Art Podest mit höhenverstellbarem Deckel.

Romeo, bei Bellini eine „Hosenrolle“, trägt hier zwar Hosen, wirkt aber durch Kleidung und Frisur fast wie eine Zwillingsschwester Giuliettas und ist damit klar als Frau gekennzeichnet. Die tragische Liebe der beiden lesbischen (?) Frauen muss sich gegen die Männerwelt behaupten. Dass sich dies alles jedenfalls im 2. Akt im „Wilden Westen“ abspielen soll, darauf deutet einiges hin: Die lebensgroßen fünf Pferde, die sich wie im Karussell um das runde Podest drehen, einsame Kakteen und das alberne „High-Noon-Duell“ von Romeo und Tebaldo mit Spielzeugpistolen. Eine echte Personenführung während der langen Arien und Ensembles findet praktisch nicht statt. Stattdessen muss der in blauer Einheitskleidung auftretende Herrenchor anfangs ebenfalls albern wirkende choreografische Übungen wie in einem Gymnastikstudio ausführen; auch die Solistinnen, vor allem Giulietta müssen sich meist mit unnatürlichen Gesten abmühen. Der Schluss, der eigentlich in der Familiengruft der Capuletis verortet ist, wirkt ebenfalls merkwürdig abstrahiert, wenn die scheintote Giulietta nicht aufgebahrt ist, sondern wie eine Statue auf dem Podest steht.

Erfreulicherweise gibt die feministisch ausgerichtete Inszenierung der Musik angemessenen Raum, sodass man sich auf die niveauvolle Verwirklichung durch das Magdeburger Opern-Ensemble konzentrieren konnte. Mit Sebastiano Rolli hatte man einen Gastdirigenten am Pult, der seine vielfältigen Erfahrungen im italienischen Belcanto-Fach einbrachte. Er sorgte mit temperamentvollem Schwung und präziser Zeichengebung dafür, dass die Magdeburgische Philharmonie (auch mit ausgezeichneten Instrumental-Soli wie Horn, Harfe oder Klarinette) die lyrischen Szenen tonschön auskostete und die Arien-Schlüsse und Finali mit dem nötigen Elan musizierte.
Aus dem Ensemble ist zuerst als Romeo Weronika Rabek zu nennen, die bisher eher in kleineren Rollen zu erleben war. Ihr kräftiger, angenehm timbrierter und stilsicher geführter Mezzosopran gefiel ebenso wie ihr trotz der inszenatorischen Begrenzungen glaubhaftes Spiel. Ihre Giulietta war die junge Schottin Rosha Fitzhowle, die ihrem Repertoire nun auch diese dankbare Partie hinzufügen konnte. Sie beeindruckte erneut mit ihrem klaren, durchgehend intonationsreinen Sopran, den sie höhensicher mit feinstem Legato durch alle Lagen führte. Tebaldo war der polnische Sänger Adrian Domarecki, dessen Vorzüge deutlich im lyrischen Bereich liegen; wenn es dramatischer wurde, neigte der Tenor zum unnötigen Forcieren. Wie gewohnt füllte Johannes Stermann mit voluminösem Bass die Vaterrolle des Capellio aus. Der substanzreiche Bariton von Giorgi Mtchedlishvili passte gut zur Rolle des Lorenzo, dessen unmögliche Kostümierung dem Sänger nicht anzulasten ist. Klangmächtig und weitgehend ausgewogen war der von Martin Wagner einstudierte Opernchor des Theaters Magdeburg.

Wie immer war das Magdeburger Publikum von der Premiere sehr angetan und spendete starken Beifall für alle Mitwirkenden, dem sich das Regieteam allerdings nicht stellte.
Gerhard Eckels, 26. Januar 2025
I Capuleti e i Montecchi
Oper von Vincenzo Bellini
Theater Magdeburg
Premiere am 25. Januar 2025
Regie: Pınar Karabulut
Musikalische Leitung: Sebastiano Rolli
Magdeburgische Philharmonie
Weitere Vorstellungen: 1., 9. Februar, 9. März, 5., 13. April und 23. Mai 2025