Mönchengladbach: „La traviata“, Giuseppe Verdi

Am 6. März 1853 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt, fiel Verdis La traviata beim Publikum zunächst durch. Eine Kurtisane als Hauptfigur, die noch dazu an Tuberkulose stirbt – kein einfacher Stoff für einen Publikumserfolg. Erschwerend kam hinzu, dass auch die damalige Besetzung für den Misserfolg mitverantwortlich gemacht wurde. Trotz aller Kritik am Libretto war Giuseppe Verdi von der Geschichte überzeugt und nahm nach der Uraufführung nur geringfügige Änderungen vor. Eine kluge Entscheidung, denn heute zählt La traviata nicht nur zu den beliebtesten Opern Verdis, sondern auch zu den erfolgreichsten Opern weltweit. Auch das Theater Krefeld-Mönchengladbach eröffnete vor wenigen Tagen die Opernsaison 2024/25 in Mönchengladbach mit diesem Klassiker in einer überzeugenden Inszenierung.

© Matthias Stutte

Bereits im ersten Moment, in dem sich der Vorhang öffnet, steht Violetta „la traviata“ Valéry allein vor einem überdimensionalen, zerbrochenen Spiegel, der schräg über der Bühne hängt und der als zentrales Element die ersten beiden Akte bestimmt. In ihm spiegelt sich nicht nur die zerbrechliche Seele der Titelfigur, gleichzeitig gibt der Spiegel auch den Blick auf Violettas Leben frei. Dementsprechend wird der Spiegel am Ende der Ouvertüre ein wenig hochgefahren, und die Oper kann mit einem Fest der Pariser Gesellschaft beginnen. Doch schon dieses an sich fröhliche Fest hat eine bedrohliche Atmosphäre. Die Gäste sind ganz in Schwarz gekleidet, die Gesichter hell geschminkt und die feiernde Gesellschaft stark sexualisiert. Auch hier kommt dem bereits erwähnten Spiegel eine besondere Bedeutung zu, denn als eine Art „Spiegel der Gesellschaft“ wird dem Publikum das Treiben der feiernden Gesellschaft gleich aus mehreren Perspektiven serviert. Die Kostüme von Tatjana Ivschina sorgen dabei für das passende Zeitkolorit. Während Michiel Dijkema, der bei seiner ersten Arbeit am Niederrheinischen Gemeinschaftstheater sowohl für die Regie als auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, bereits in den ersten beiden Akten gekonnt Akzente setzt und seine Inszenierung bewusst auf Violetta fokussiert, ist der dritte Akt der Höhepunkt des Abends.

© Matthias Stutte

Der Spiegel ist verschwunden und Violetta liegt todkrank in ihrem Bett. Nur ihre Dienerin Annina ist mit ihr im Zimmer. Die Enge des kleinen Raumes wird geschickt symbolisiert, indem nur die vorderen Meter der Bühne genutzt werden. Der Rest ist von einem schwarzen Vorhang verdeckt. Dieser hebt sich nur kurz, als Violetta Annina nach dem Lärm vor dem Haus befragt. Annina erzählt ihr, dass der Pariser Karneval auf seinem Höhepunkt sei, und wie in Trance erscheinen Violetta in dichtem Nebel die Silhouetten der feiernden Gesellschaft. Doch dies scheint bereits mehr Fiebertraum als Wirklichkeit zu sein. Auch eine letzte Begegnung mit ihrem geliebten Alfredo bleibt der sterbenden Violetta verwehrt, dessen Ankunft sie sich in den letzten Minuten ihres Lebens nur noch einbildet. So stirbt sie am Ende nicht in Alfredos Armen, sondern ganz allein. Dass dieses bewegende Ende seine volle Wirkung entfaltet, liegt auch am Spiel von Sophie Witte. Fast zweieinhalb Stunden steht sie an diesem Abend auf der Bühne, singt eine sehr lyrische Violetta, die von Anfang an weniger Diva oder Kurtisane ist als vielmehr eine Gefallene, die erst im zweiten Akt das Glück des Lebens spüren darf. Und genau in diesem Moment kommt Alfredos Vater – mit seiner Tochter, die sonst nicht auf der Bühne zu sehen ist – und verlangt von ihr, dass sie Alfredo zum Wohle der Familie Germont verlässt. Denn nur wenn Alfredo die Beziehung zu ihr beendet, kann dessen Schwester die vereinbarte Ehe eingehen. Eine Situation, in der es keine zwei Gewinner geben kann.

© Matthias Stutte

Neben der in allen Belangen hervorragenden Sophie Witte überzeugen auch Woongyi Lee als Alfredo und Johannes Schwärsky als sein Vater. Beide singen ihre Partien im dritten Akt hinter dem geschlossenen Vorhang und sind somit an dieser Stelle nur musikalisch wahrnehmbar. Die anderen Rollen sind bewusst mit der Pariser Gesellschaft vermischt, da sich Dijkema ganz auf die Titelfigur und die ihr nahestehenden Personen konzentriert. Dennoch sind auch diese kleineren Rollen hervorragend aus dem Ensemble besetzt. Wie stark und beständig dieses in Mönchengladbach ist, zeigt vielleicht das Beispiel, dass ausgerechnet Kairschan Scholdybajew Violettas Diener Giuseppe spielt, der vor gut 20 Jahren in der letzten La traviata an diesem Haus als Alfredo Germont zu erleben war. Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von GMD Mihkel Kütson spielen in gewohnter Stärke und angemessenem Tempo.

Am Ende des Abends steht eine sowohl musikalisch als auch szenisch überzeugende Aufführung, die mit drei starken Hauptrollen und einem gut einstudierten Opernchor jedem Opernfreund ans Herz gelegt sei.

Markus Lamers, 21. September 2024


La traviata
Oper von Giuseppe Verdi

Theater Mönchengladbach

Premiere: 15. September 2024
besuchte Vorstellung: 20. September 2024

Inszenierung: Michiel Dijkema
Musikalische Leitung: GMD Mihkel Kütson
Niederrheinische Sinfoniker

Trailer

Weitere Aufführungen:  12. Oktober / 20. Oktober / 2. November / 3. Dezember / 20. Dezember / 19. Januar / 7. Februar