Reisebilanz VIII: Tops und Flops der „Saison 2024/25“

Die letzte Reisebilanz kommt im Norden nicht weiter als bis nach Kassel, im Süden dafür nach Venedig, im Osten sogar nach Tschechien, und berücksichtigt obendrein eine Fülle von kleinen Theatern, die in der zurückliegenden Saison Beachtliches geleistet haben.

Mein Opernhaus des Jahres heißt Pilsen – denn in Pilsen hat man es geschafft, in zwei aufeinander folgenden Spielzeiten alle acht Opern Bedřich Smetanas auf die Bühne zu bringen.
Der Zyklus, der zugleich mein persönliches Opern-Highlight (eine Kollektion aus mehreren Perlen) war, wäre der Erwähnung nicht ganz so wert, würde sich mit ihm nicht auch eine künstlerische Dignität verbinden, die den Besucher stets beglückt. Denn das Tyl-Theater verfügt über ein sehr gutes Orchester und ein homogenes Ensemble, aus dem immer wieder bewährte Kräfte herausragen: Jiří Hájek, Radka Sehnoutková, Martin Bárta, Anna Nitrová, Richard Samek, Kateřina Hebelková und Martin Šrejma, um nur einige der Ensemblemitglieder und Gastspielsänger zu nennen, die den hohen Standard des „kleinen“ Hauses hochhalten.

Die beste Einzelsängerin, die ich zu loben habe, heißt, neben der Küsterin der Kora Pavelić der Coburger Jenůfa und der Danae der Malin Byström in der Münchner Liebe der Danae, Ekaterina Bakanova. Ihre venezianische Traviata präsentierte ein hinreißend scharfes und bewegendes Rollenbild. Die beste Nachwuchssängerin war für mich Anjulie Hartrampf, die in der bezaubernden Augsburger Produktion von Mozarts Jugendwerk Apollo et Hyacinthus die Zuschauer zurecht jubeln ließ.

Apropos Smetana: Der speziellste Opernabend, den ich in der vergangenen Spielzeit erleben konnte, verbindet sich gleichfalls mit dem böhmischen Großmeister, dessen 200. Geburtstag 2024 gefeiert wurde. Am Neujahrstag lief in der Prager Staatsoper mit der Libuše eine ausdrücklich als Festoper konzipierte Oper über die Bühne, die so in keinem nichttschechischen Haus möglich wäre. Als Musiktheater zwischen Gestern und Heute bewies die Produktion von Neuem, dass im tschechischen Sonderweg die Tradition der Moderne nicht im Weg stehen muss.

Die größte Rarität war zweifellos Engelbert Humperdincks gut gemachtes Dornröschen in Hof, die größte Wiederentdeckung am selben Haus Bizets Perlenfischer, die man, wenn auch mit einer problematisch aktualisierenden Regie, musikalisch stark vergegenwärtigte.

In Sachen Barockoper war auch 2024 das Bayreuther Festival Bayreuth Baroque führend. Nicola Porporas Ifigenia in Aulide war wieder ein einziges, stimmlich und orchestral glänzend besetztes Fest.

Die bedeutendste lokalhistorische Operntat fand in Coburg statt, wo erstmals Puccinis Trittico komplett gebracht wurde: musikalisch und szenisch insgesamt gut bis beglückend (vor allem Suor Angelica und Gianni Schicchi konnten auch beim Publikum punkten). Und Strauss‘ Liebe der Danae war in München die längst überfällige Wiederentdeckung eines Meisterstücks, das durch den Regisseur Claus Guth als wichtiges Alterswerk tief bewegend rehabilitiert wurde.

Der Bühnenbildner Michel Levine sowie der Videomacher rocafilm ergänzten das Münchner Gesamtkunstwerk auf kongeniale Art und Weise.

Die Oper am originellsten Aufführungsort war diesmal Tschaikowskys Mazeppa: in zwei Sälen der Münchner LMU. Es funktionierte, weil die Orte bei den sehr besonderen Produktionen der Opera Incognita genau ausgesucht werden und sich die Stückdramaturgie und die Regie direkt auf eben diese Orte beziehen. So kann man die Gattung Oper für viele opernfremde Besucher aus der (vermeintlichen) Nische herausholen – Chapeau!

Die lustigste Aufführung sah ich in Ulm, wo Der Freischütz ein amüsantes wie gleichzeitig tiefsinniges Bildertheater ermöglicht hat. Die charmanteste Aufführung konnte ich im Landestheater Salzburg genießen, wo ich Rossinis Il Viaggio a Reims als kurzweilig-bezaubernde Delikatesse erlebte.

Die insgesamt spektakulärste Aufführung fand für mich in Plauen statt, wo Małgorzata Pawłowska, Ensemblemitglied des Theaters Plauen-Zwickau, als Salome nicht allein perfekt sang, sondern auch perfekt tanzte und den Saal erhitzte. Durchaus nicht nebenbei: Ein weiterer Beweis dafür, dass der Begriff des „kleinen Hauses“ sehr relativ ist.

Das beste Orchester hörte ich in Frankfurt, wo der GMD Thomas Guggeis mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester unglaublich feine Nuancen aus der Macbeth-Partitur herausspielen ließ.

Die beste Wiederaufnahme fand am Fenice in Venedig statt. Dort wurde nach 20 Jahren Robert Carsens Traviata-Inszenierung erfolgreich reanimiert, um zu belegen, dass manch Regiearbeit, wenn sie von exzellenten Künstlern aus der Kiste geholt wird, gut altern kann.

Die ästhetisch modernste Aufführung sah ich in der Documenta-Stadt Kassel, wo man am Staatstheater dem Ruf des Hauses auch bei Leoš Janáčeks Katja Kabanova gerecht wurde.

Die Inszenierung, die mich persönlich am meisten kalt ließ, habe ich in Regensburg gesehen, wo mit Tristan und Isolde ein mit Figuren vollgestopftes Konzepttheater mit z.T. minderen und einem ausgesprochen schlechten Hauptrollensänger veranstaltet wurde – aber was ist ein nicht ganz so gelungener Opernabend gegen eine Fülle von gelungenen?


Es reiste für Sie Frank Piontek.