Buchkritik: „Dickschädels Reisen“, Florian Sedmak

Auch die Oper spielt eine wenn auch im Leben des Porträtierten naturgemäß untergeordnete Rolle: „Im Schatten des Musiktheaters im Volksgarten ist das Linzer Landestheater auf gewisse und undankbare Weise wieder ein Stück weit in der Versenkung verschwunden.“ Allein das „beste Bühnenhaus“ Oberösterreichs ist, so lesen wir, „seiner unübersehbaren Provinzialität zum Trotz schon in Bruckners jungen Jahren um künstlerische Tuchfühlung mit der Gegenwart bemüht.“

Also Oberösterreich! In der Heimat des großen Symphonikers und Kirchenmusikkomponisten, dessen 200. Geburtstag 2024 in „seiner“ Region besonders intensiv gefeiert wird, gibt es noch viel zu entdecken: vor allem dann, wenn man die Vergangenheit mit der Gegenwart kreuzt. Tut man’s dann noch mit so viel literarischem Charme, faktenmäßiger Informiertheit und dem Adlerblick für das Wesentliche, kann nur ein neues, weiteres Buch über den „Mostkopf“ aus Ansfelden herausspringen. In einer denkbar sinnigen, zeitlich nur leicht verschobenen Parallelaktion erschien also beim Verlag Anton Pustet nach einem hochwissenschaftlichen wie detailgesättigten, „Biographie“ genannten Sammelwerk (wir berichteten: https://deropernfreund.de/buecher-discs/buecherecke/buchkritik-anton-bruckner-eine-biographie/) ein Buch, das sich dem Gegenstand ganz anders annähert – ohne die Standards dessen, was man wissen kann, trotz Hinweise auf diverse Anekdoten zu verraten. Dickschädels Reisen ist ein Reisebuch, das man mit großem Vergnügen im heimischen Lesesessel genießen, auf die Reise durch Bruckners Lande mitnehmen oder als Biographie in nuce zur Hand nehmen kann. In knapp 40 Kapiteln geleitet uns der Autor Florian Sedmak („Punkrocker im Vorruhestand, musikalisch in der Welt von Bach zuhause, Texter sowie Qu-Gong-Student und Lehrer“) von Ansfelden über Hörsching und Windhaag und natürlich Linz und St. Florian hin zu all den anderen mehr oder weniger bekannten Orten und Örtchen, in denen Bruckner gelernt, gespielt, gesoffen und sich verliebt hat. Sedmak nähert sich dem Kosmos, den Bruckner für Wien verlassen hat, und in den er immer wieder heimkehrte, ohne in ihm aufzugehen, mit Liebe und zarter Ironie. Er parallelisiert manch Szene, Jim Jarmusch und der Film sind nicht weit, er streift durch die Häuser, Kirchen, Gasthöfe und Schulen, um uns einen Bruckner von innen und außen zu bieten, der den Menschen in seiner ganzen Größe und Bedingtheit, in seinen Schrullen, seinen durchaus opportunistischen Anwandlungen und Größenphantasien, in seinen liebenswürdigen Zügen und seiner immer bemerkenswerten Unbedingtheit zeigen. Die Ergänzung zum nüchternen Bruckner-Bild, das Ende 2023 im selben Verlag veröffentlicht wurde, ist offensichtlich – und macht dem Editor alle Ehre.

So gerät buchstäblich das Ganze in den Blick: die Orgelbank und der Berg, der See und das Seiderl, Kunst und Krebse (denen der junge Mann in einem in Bruckners Leben einsamen Akt einer „performativen Installation“ Kerzen auf die Panzer band, um sie gespenstisch über den Friedhof laufen zu lassen), Traumtheorie und Tanzgeigenspiel, Fuge und Fähre, Minne und Messe, Dorf und Stadt. Werk und Leben werden aufeinander bezogen, ohne ihrer Unterschiede verlustig zu gehen; was bleibt, ist eine fröhliche Wissenschaft, die durch Bruckner in eine Gegenwart zu schauen vermag, die manchmal völlig anders, gelegentlich erstaunlich ähnlich ist. Der „zwanglose Streifzug“ durch die Orte entpuppt sich als Cicerone, der von der Biographie des Musikers – und dem im bestem Sinne feuilletonistischen Stil zusammengehalten wird. Die „Einladung, sich zwischen Ansfelden und Wolfern nach eigenem Dafürhalten an die Spuren eines Menschen zu heften, den man nicht zwingend mögen muss, aber nur schwerlich uninteressant finden kann“, wird gern angenommen. Schließlich findet auch der Opernfreund dort die köstlichsten Trouvaillen wie jenen Traum, in dem Wagner vom Papst träumte, der das Aussehen von Bruckner hatte. Wer demnächst nach Linz fährt, darf sich auch vergegenwärtigen, wie es zu Bruckners Zeiten und noch lange danach im Linzer Theater aussah: armselig. Allein auch diese Poverität gehört zu Bruckners Prägung – wie hätte er sonst seinen inneren Raum aufschließen können?

Schön also, dass wir mit Sedmak und seinem Vorwortler Norbert Trawöger nun denkbar leichtfüßig und literarisch einfach nur kurzweilig in Bruckners inneren und äußeren oberösterreichischen Raum hineinreisen können.

Ps: Wer die jeweils passende Musik zu den einzelnen Orten hören will, muss nur mit seinem Handy den QR-Code am Ende der jeweiligen Kapitel aktivieren – und fertig ist die akustische Fahrt in Bruckners Musikweltraum.

Frank Piontek, 22. März 2024


Florian Sedmak: Dickschädels Reisen.

Durch Oberösterreich mit Anton Bruckner

Verlag Anton Pustet, 2024. 272 Seiten. 25 Euro