Leipzig: „Hans Sachs“, Albert Lortzing

Schon nach kurzem, hoff­nungsvollen Erfolg fiel die Oper „Hans Sachs“ des gewievten Musikdramatikers Albert Lortzing, die 1840 in Leipzig anlässlich der 400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst uraufgeführt wurde, der Vergessenheit anheim. Wagner kannte das Werk natürlich, und hat ihm einige Namen und Motive entnommen, auch wenn er das Stück dramaturgisch völlig anders gestaltete und ihm eine gesellschafts- wie kunstuto­pische Stoßrich­tung gab, die Lortzing fremd war.  Bei Lortzing stehen Liebe, Poesie und Vaterland im Vordergrund: „Das Herz allein schafft Freud‘ und Pein“, „Lieb‘ ist die höchste Poesie“. Oder „Der Liebe Glück, das Vaterland!“ sind die inbrünstig besungenen Parolen des Werks, das ehemalige Reichsherrlichkeit und vorkapitalistischer Idyllik beschwört.

© Kirsten Nijhof

Albert Lortzing hat seine Komische Oper „Hans Sachs“ schon 28 Jahre von Wagner „Meistersingern“ in Leipzig anlässlich des Johannes-Gutenberg-Jubiläums herausgebracht, das.  Das anspruchslose Libretto von Albert Lortzing (das auf der Vorlage des gleichnamigen Schauspiels von Johann Ludwig Deinhardstein basiert), kommt reichlich bieder und nicht selten rührselig daher. Lortzing hat es zusammen mit den Bühnenautoren Philipp Reger und Philipp Jakob Düringer verfasst.   

Wagner ging es in seinem 1868 in München uraufgeführten, Werk, es war der größte Erfolg Wagners zu Lebzeiten, nach dem „Rienzi“, um nichts weniger als die Auseinandersetzung von alter und neuer Musik, um nicht zu sagen „Zukunftsmusik“. Mit den „Meistersingern von Nürnberg“ –schrieb Wagner eine Komische Oper, in deren altnürnbergischer Renaissancedekoration er ein modernes Künstlerdrama von geradezu programmatischem Charakter versteckte. Hans Sachs ist darin die humanistisch idealisierte Integrationsfigur einer „ästhetischen Weltordnung“, wie Udo Bermbach es einmal sehr treffend ausdrückte. Mit ihr redet Wagner einer demokratischen Gesellschaft das Wort, in der Natur und Kultur, Kunst und Leben versöhnt werden. Die „Meistersinger“ enthalten darüber hinaus die (griechisch inspirierte) Utopie einer das Leben anleitenden, das Alte mit dem Neuen versöhnenden Kunst auf dem Theater.  Walther von Stolzing ist der Anwalt des Neuen in der Musik. Nichts davon in Lortzings eindimensionaler Dramaturgie, die vergleichsweise nur sehr eingeschränkt dem Geist der Revolution huldigt. Seine anderen Bühnenwerke sind in ihrer vormärzlichen Sozialkritik deutlicher und radikaler.

© Kirsten Nijhof

Bei Lortzing geht es vor allem um die durch Intrige bedrohte Liebesgeschichte des jugendlich-jungen Hans Sachs. Der Schuster und Meistersänger ist verliebt in Kunigunde, die Tochter des Goldschmieds Steffen, der zugleich auch der Bürgermeister von Nürnberg ist. Doch Kunigunde ist bereits dem eitlen Augsburger Ratsherrn Eoban Hesse versprochen, den Steffen als Schwiegersohn bevorzugt. In einem Sängerwettstreit treten die Rivalen gegeneinander an. Trotz der Gunst des Volkes unterliegt Sachs und wird aus der Stadt vertrieben. Meister und die Ratsherren lieben und achten ihn (im Gegensatz zu Wagners Stück) nicht. Doch das Auftreten des Kaisers als „Deus ex machina“ rehabilitiert und nobiliert Sachs als Meistersänger.  Er erhält nicht nur mit allen Ehren seine Bürgerrechte der Stadt Nürnberg zurück, sondern darf sich auch mit Kunigunde zum glücklichen Lebensbund vereinen.  

Die Liebe des Schusterpoeten zur Tochter des wohlhabenden, gesellschaftlich arrivierten, aufgeblasenen Goldschmieds und Bürgermeisters trifft auf dessen und der Nürnberger Ehrbaren strikte Ablehnung. Dieser Konflikt ist Anlass für sentimentalische Ohrwurmmelodik, er wird aufgelöst durch die Enthüllung einer dreisten Intrige (Görg stiehlt Sachsens Meisterlied), und ist die Bestätigung feudal-imperialen Sozialstrukturen (die Bürgergesellschaft als Untertanenkollektiv).

Bei aller Verehrung Albert Lortzings: Sein „Hans Sachs“ bleibt – entgegen allen anderslautenden Wertschätzungen mancher Lortzingspezialisten – weit hinter der dramaturgischen wie melodischen Originalität und raffiniert kompositorischen Musikalität von „Zar und Zimmermann“, „Wildschütz“, „Casanova“ oder „Regina“ zurück. Natürlich gelingen dem versierten Theatermann Lortzing handwerklich gediegene Arien, Terzette, Quartette, Ensembles und effektvolle Chöre. Aber die Musik zündet nicht wirklich, obwohl Tobias Engeli das Orchester der Musikalischen Komödie ordentlich anzufeuern weiß und sein Bestes gibt, der Oper interessante Klänge und Harmonien zu entlocken. Gewiss, man horcht immer wieder auf, aber verglichen mit dem „Wildschütz“, einer geradezu mozartisch angehauchten Buffa, die hand­werklich zum Besten gehört, was die Deutsche Komische Oper des 19. Jahrhunderts aufzubieten hat, die aber auch eine erotische Komödie turbulenten Überkreuz­spiels einer an Irrungen und Wirrungen reichen Handlung ist, segelt Lortzings „Hans Sachs“ recht brav im Fahrwasser biedermeierlicher Lustspiel-Betulich­keit.

© Kirsten Nijhof

Dass die – an sich erfreuliche – Leipziger Ausgrabung des Stücks langweilt, liegt weniger am Dirigenten. Auch nicht an den durchweg überzeugenden Solisten (Hans Sachs – Justus Seeger; Kunigunde – Mirjam Neururer; Görg – Adam Sánchez; Cordula – Sandra Maxheimer; Eoban Hesse – Andreas Rainer: Meister Steffen – Milko Milev und Kaiser Maximilian I. – Christian Henneberg): Es ist die Regie, die in karnevalsbunter Kinderzimmerfröhlichkeit und mit kostümlichem Durcheinandereiner von Pappzylinder-, und Zipfelmützen-Spaßigkeit (Spießigkeit) das Stück verharmlost und entortet.  Zwar wird am Beginn der etwa dreistündigen Aufführung der Schriftzug „Nürnberg“ auf die Rückwand des blauen Kastens projiziert, in dem alle drei Akte spielen. Doch es ist ein reines Lippenbekenntnis. Der Leipziger „Hans Sachs“ spielt irgendwo und nirgendwo auf, über, an und zwischen blauen Bänken und Tischen, Podesten und Treppchen, die von den Akteuren fleißig hin—und hergeschoben werden. Auch eine blaue Brechtgardine, die sich zum Vorhang aufbläht oder aufleuchtende Neonwölkchen und gelegentliche Auftritte aus dem Zuschauerraum machen die putzige, (handwerklich nicht ungeschickte) Inszenierung der jungen Leipziger Regisseurin Rahel Thiel nicht überzeugender. Am Gelungensten ist noch ihr (freilich etwas holzhammerhafter) Regie-Einfall, einen kleinen geflügelten Amor, der sich am liebsten Huckepack (vor allem von Hans Sachs) durch die Handlung tragen lässt, einzufügen. Doch dass sie allerhand diverse Texte und Liebeslieder auf die Bühne projiziert, ja sogar rezitieren lässt, verwässert das Stück unnötig und verbessert es nicht. Es wird so noch langatmiger.  Das eklatanteste Eigentor der Produktion ist allerdings der absurde Einfall, Sachsens Schlussansprache aus Wagners „Meistersingern“ in Wort und Ton einzufügen. Das ist denn doch eine andere musikalische Liga! Diese unfaire Konfrontation zweier grundverschiedener musikalischer Welten bricht dem Werk das Rückgrat. Mit dieser so bearbeiteten Version hat man der so begrüßenswerten Ausgrabung des „Hans Sachs“ einen Bärendienst erwiesen.

Dieter David Scholz, 16. April 2024


Hans Sachs
Albert Lortzing

Musikalische Komödie Leipzig

Premiere am 13. April 2024

Inszenierung: Rahel Thiel
Musikalische Leitung: Tobias Engeli
Orchester der Musikalischen Komödie Leipzig 

Weitere Vorstellungen: 20. 21. April sowie 4., 5. und 25. Mai 2014