Bremen: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2023/24“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach dem Aalto-Theater Essen blicken wir heute auf das Theater Bremen.


Beste Produktion (Gesamtleistung):
Die mutige Spielzeiteröffnung mit Doctor Atomic von John Adams verdient höchsten Respekt, zumal die Regie von Frank Hilbrich bestens gelungen ist und auch musikalisch keine Wünsche offen blieben.

Größte Enttäuschung:
Vielleicht waren die Erwartungen zu hoch, aber Orpheus in der Unterwelt war kein Feuerwerk, nur eine Aneinanderreihung einiger Knaller. Und die Texte, die Lilo Wanders als öffentliche Meinung verkünden musste, hatten nur begrenzten Witz

Entdeckung des Jahres:
Auch hier ist Doctor Atomic von John Adams zu nennen. Die Aufführung unterstrich eindrucksvoll die Repertoiretauglichkeit des Werks.

Beste Gesangsleistungen (Hauptrolle):
Mit Yannick-Muriel Noah gastierte als Salome eine Sängerin, die mit ihrem kraftvollen, in der Höhe unforciert strahlenden Sopran keine Grenzen kannte. Dank ihrer Bühnenpräsenz gelang ihr eine ungewöhnlich eindrucksvolle Darstellung.

In der Liebe zu den drei Orangen glänzten aus dem eigenen Ensemble Nadine Lehner als fulminante Fata Morgana und Ian Spinetti als strahlkräftiger Prinz.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):
Elisa Birkenheier als Servilia und Adèle Lorenzi als Annio verkörperten das jugendliche, für die Hoffnung stehende Paar in La clemenza di Tito. Ihr Duett „Ah perdona al primo affetto“ wurde mit bezaubernder Leichtigkeit und ausgesprochenem Wohlklang serviert.

Bestes Dirigat:
Musikalisch war die Premiere von Macbeth großartig. Stefan Klingele und die Bremer Philharmoniker zeigten vom ersten Takt an ihre Klasse. Wie Klingele den Spannungsbogen über den ganzen Abend hielt, wie er fahle Stimmungen erzeugen konnte oder Melodien aufblühen ließ – das nötigt höchste Bewunderung ab. Das Spiel des Orchesters war bis in die feinsten Nuancen sehr differenziert. Tempo und Dynamik wurden organisch entwickelt.

Beste Regie:
Marco Štorman setzte die Reihe seiner erfolgreichen Inszenierungen mit La clemenza di Tito fort. Macht und Mord, Liebe und sexuelle Hörigkeit, Verzweiflung und Hoffnung sind die Themen dieser Oper. Štorman verdeutlichte all diese Aspekte dank intensiver Personenführung in seiner Inszenierung sehr eindrücklich.

Bestes Bühnenbild:
Das funktionstüchtige Bühnenbild von Sebastian Hannak für Die Liebe zu den drei Orangen mit farbigen Mauern, überdimensionalen Spaghetti und einer dürren Wüste war abwechslungsreich und phantasievoll.

Beste Chorleistung:
Einen großen Abend hatte der von Noori Cho einstudierte Chor in Verdis Macbeth. Die Aufgaben des Chors sind in dieser Oper sehr groß und haben entscheidende Bedeutung. Der prachtvolle und in allen Stimmgruppen homogene Klang begeisterte.


Die Bilanz zog Wolfgang Denker.