Stuttgart: „Idomeneo“, Wolfgang Amadeus Mozart

© Matthias Baus

Den beiden Vorgänger-Inszenierungen von Mozarts erster seiner sieben großen Opern (2005 und bereits drei Jahre später 2008) war kein langes Bühnenleben beschieden. So betrachtet ist es der aktuellen Neuauflage nur zu wünschen, dass sie für längere Zeit mit Wiederaufnahmen im Repertoire verbleibt. Sowohl im Sinne der Nachhaltigkeit der Produktionskosten als auch, und das wiegt besonders erfreulich, in Bezug auf ihren szenischen Ertrag.

Bastian Kraft hat bereits vor zwei Jahren mit einer die Atmosphäre des Stückes ungewöhnlich faszinierend auffangenden „Rusalka“ für Begeisterung und großes Publikums-Interesse gesorgt. Auf seinen Sinn für Bühnen-Ästhetik und musikalische Einfühlsamkeit ist Verlass, denn auch der aus der Vorlage der gleichnamigen Tragédie lyrique von André Campra (1712) durch Mozart auf die Opernbühne geholte Stoff ist bei ihm in guten, weil an der Geschichte interessierten Händen. Statt einer heute oft rücksichtslos übergestülpten eigenwilligen Konzeption ist seine Interpretation eine Handlung und Musik eng vertrauende Erzählweise. Dabei arbeitet er mit auf die Rückwand geworfenen übergroßen Schatten der Protagonisten, die deren Haltungen und Situationen nicht einschränken, im Gegenteil intensivieren. Das ist so gut gemacht, dass keinerlei Ablenkung, vielmehr eine verstärkte Anziehungskraft entsteht.

Auf der weitgehend leeren, später im vorderen Bereich mit einem flachen Wassergraben gefüllten Bühne (Peter Baur) sorgen Video-Einblendungen von Meereswogen sowie sich drehende Spiegelwände für konkretisierende Stimmungsbilder. Die Kostüme von Jelena Miletic orientieren sich teilweise an antikem Stil und zeitlos angenäherten Formen und ergänzen das geschlossene Bild einer stimmigen Abstraktion. Klaren, Situationen und Musik stützenden Bildern fügt Kraft nur eine vage Interpretation des göttlichen Urteils hinzu. Die Aufhebung des geforderten Opfers durch die Bedingung einer Ablösung Idomeneos und Übernahme der nächsten Generation verkündet eine dem Wasser entsteigende Gestalt mit langen Zotteln, an der Müll der Meere haften geblieben ist – ein moderner Wassermann als Mahnmal beschädigter Natur. Auch das von Neptun gesandte Ungeheuer entpuppt sich als an Seilen hängender Klumpen Abfall unserer überbordenden Zivilisation.

Zum Schlusschor erfolgt die Krönung Idamantes vor einer Sonnenscheibe, die sich zuletzt rot färbt und absenkt. Der abgesetzte Idomeneo verharrt isoliert auf einem Podest im Bühnenabseits links vorne. So ungetrübt stehen die Zeichen nicht für das neue Herrscherpaar. Eine solch dezente Einschränkung des guten Endes sei erlaubt!

Auf der musikalischen Seite schien dagegen viel Sonne. GMD Cornelius Meister machte die ganze Aufführung über verständlich, warum er sich mit diesem für die damalige Zeit kühnen dramma per musica unbedingt auseinandersetzen wollte. Über die gesamten gut zweieinhalb Stunden ließ er eine Frische und Lebendigkeit durch die Musik wehen und einen Bogen über die weitgehend durchkomponierte Partitur spannen, was dem Ablauf einen Vorwärtsdrang gab, ohne auf das kammermusikalische Auskosten der Ruhepunkte und zahlreichen instrumentalen Details zu vergessen. Das Staatsorchester Stuttgart reagierte hellwach auf die Impulse vom Dirigentenpult, servierte Mozart in feiner klassischer Manier, nie breit romantisiert, aber auch nicht in schroff kantiger Originalklang-Manier. Keiner Mode verpflichtet, in beglückend zeitlosem Gewand.

Davon anstecken ließ sich auch der Staatsopernchor, von Manuel Pujol genauestens vorbereitet, mit einem luftig leichten, ebenso flexibel reagierenden Einsatz und einer wieder mal bewundernswerten Stimmgruppen-Ausbalancierung. Gespielt wird übrigens die Münchner Urversion, in der Mozart einige bereits komponierte Passagen und Arien (für Wien kamen dann noch Alternativ-Nummern dazu) wieder gestrichen hatte. Nur der Verzicht auf Elektras „D’Oreste, d’Aiace“ mag keiner Sängerin angetan werden.Auch bei den Solisten überwog die Sonne den Schatten. Letzterer lag ausgerechnet über dem Titelrollen-Interpreten. Jeremy Ovenden ist ein feiner, ausgesprochen schlanker, für den leicht heldisch angelegten Idomeneo vor allem in den breiten Accompagnato-Rezitativen etwas zu schmaler Tenor, dem es dadurch etwas an Ausdrucksfülle fehlt, obwohl sein Vortrag durchaus prononciert und differenziert in den Klangfarben ist. Das hinsichtlich der langen Koloratur-Ketten bravourös gemeisterte „Fuor del mar“, eine Gegenüberstellung äußerer und innerer Meereswogen, gebricht eines etwas festeren vokalen Unterbaus und klanglicher Expansion. Dazu gestaltete er aufgrund einer eher unscheinbaren Persönlichkeit einen schon zu Beginn eher gebrochen zwiespältigen König, dem die Ablösung vielleicht gerade recht kommt.

Die Besetzung des Idamante mit einem Sopran – fairerweise muss gesagt werden, dass ein zunächst vorgesehener Mezzo während des Probenprozesses umbesetzt werden mußte – erwies sich nicht als Ideal, weil sich die Stimmen des Paares Idamante-Ilia dadurch zu wenig voneinander abheben. Doch ist Anett Fritsch mit ihrem leicht herben, mit einer tragfähig ausgebauten Tiefe ausgestatteter Sopran, auch dank ihrer burschikosen Erscheinung trotz fehlender dunkler Klangfarben eine letztlich gute Wahl. Ihr Rollendebut absolvierte sie mit einer die Impulse vom Pult aufgreifenden, frisch zupackenden vokalen Führung und hingebungsvollem Spiel. Lavinia Bini vereint als Ilia lyrische Empfindsamkeit und kräftig glänzende Sopranpotenz, läßt in ihre melodisch berückenden Arien viel Seele, aber auch Standhaftigkeit einer als Sklave gehaltenen Königstochter einfließen und verschmilzt hinsichtlich vokaler Fülle ideal mit Idamante. Nur der Timbre-Kontrast (s.o.) fehlt eben. Die Krone der Aufführung gebührt Diana Haller als Elektra, auch wenn sie die im Exil herrscherliche Ansprüche stellende und durch ihre Eifersucht eher unsympathische einstige Königstochter verkörpert. Doch Mozart hat sie nun mal in ihren Auftritten mit soviel Einfallsreichtum und Attacke gezeichnet, dass es sich kaum eine Interpretin nehmen lässt, damit nicht alle Register zu ziehen. Diese Partie ist wohl ein weiterer Baustein zum Wechsel ins Sopran-Fach, auch wenn sie ihr dunkel fülliges Tiefenregister hoffentlich weiter bewahrt. Genau dieses in nahtloser Verbindung mit ihrem dyamisch leidenschaftlichen Vortrag zeichnet sie als perfekte Besetzung aus. Gehüllt in eine pinkfarbene Adelsrobe und mit einem hohen Perücken-Monstrum, entfacht sie in ihrer Rache heraufbeschwörenden Abgang vor dem Finale ein müheloses Feuerwerk ausrasend auf- und abschwellenden Tonfolgen mit akzentuiert Schlangen gleichenden Auswüchsen (die auch im Stuttgart: „Idomeneo“

© Matthias Baus

Hintergrund eingeblendet züngeln) und Wahnsinn suggerierenden Koloratur-Sprüngen, gekrönt von einer so noch nie gehörten Interpolation am Ende. Das kann durch nichts mehr getoppt werden und lässt das anschließende lieto fine fast zum zahnlosen Anhängsel werden.

Als Königsberater Arbace kann Charles Sy in den wenigen Auftritten wenig Gewicht erlangen. Sein feinsinniger, sauber geführter und sensibel phrasierender Tenor bleibt hier den gewissen (Höhen-)glanz schuldig, der in der noch der Opera seria alter Schule verpflichteten Arie aus dem 2.Akt (seine zweite wurde gestrichen) erzielt werden könnte. Eleazar Rodriguez vermag anhand der kleinen, aber durchaus Ausdrucksmöglichkeiten bietenden Rolle des Oberpriesters mit wenig durchsetzungsfähigem Tenor kaum verständlich zu machen, warum hier nicht aus dem Ensemble besetzt wurde. Der erlösenden „La Voce“ gibt Aleksander Myrling gebietende Gestalt und Bass-Resonanz.

Alles in allem eine Aufführung mit leichten vokalen Einschränkungen in einer Regie, die zeigt wie sich Oper in ansprechend nachvollziehbarem Gewand präsentieren kann, ohne altmodisches Steh-Theater zu sein. Die Zustimmung war einhellig positiv, fürs Musikalische begeistert.

Udo Klebes, 27. November 2024

Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Idomeneo
Wolfgang Amadeus Mozart

Staatsoper Stuttgart

Premiere am 24. November 2024

Regie: Bastian Kraft 
Dirigat: Cornelius Meister
Staatsorchester Stuttgart 

Trailer