Berlin: „Ab in den Ring!“, nach Oscar Straus

Eine ärgerliche Produktion

Das Frauen-Operettenkollektiv tutti d*amore verhohnepipelt an der Deutschen Oper mit „Ab in den Ring!“ eine glänzende Wagner-Satire und will damit hochaktuell sein, verunstaltet aber nur ihr Vorlage, Oscar Straus‘ Operette „Die lustigen Nibelungen“.

© Eike Walkenhorst

Das Werk wurde 1904 als Parodie auf den deutschnationalen Kult um Richard Wagners Ring-Zyklus geschrieben. Im Gegensatz zu affirmativen Vertretern der Gattung wie Paul Lincke oder Johann Strauß, die spießbürgerlichen Provinzialismus oder soldatische Schneidigkeit, Sentimentalität, Untertanentreue und Adel verklärten, hat Oscar Strauss gerade in der Operette über den wilhelminischen Heldenkult um Wagner noch einmal einen angriffslustigen politische Stachel einverleibt, der zur Zeit der Uraufführung für Unmut sorgte. Er machte die Operette wieder zu dem, was sie eigentlich war: eine aufmüpfige, unsentimentale, autoritätskritisch und kitschfreie Form heiter-Satirischen Musiktheaters. Straus, der übrigens nicht mit der Wiener Strauss-Dynastie verwandt ist, ist in Berlin bis heute präsent: Seine Operetten „Die Perlen der Cleopatra“ und „Eine Frau, die weiß, was sie will“ sind Dauerbrenner an der Komischen Oper.

Mit der neuerlichen Operettenbearbeitung setzt die Tischlerei ihre Zusammenarbeit mit Ensembles aus der Freien Szene fort und entwickelt mit tutti d*amore ihre erste Uraufführung an einem Opernhaus. Grundlage dafür bildet Oscar Straus’ und Rideamus’ burleske Operette „Die lustigen Nibelungen“. In dieser musikalischen Satire setzen sich Oscar Straus und sein Textdichter Rideamus mit treffsicherem Witz mit ihrem großen Vorbild Richard Wagner auseinander. Mit ihren schwungvollen Walzern, eingängigen Couplets und schmissigen Märschen wurde diese parodistische Operette, die es zur Kaiserzeit wagte, Heldentum, Patriotismus und Kriegsbegeisterung aufs Korn zu nehmen, zum ersten, wenn auch umstrittenen großen Erfolg des österreichischen Komponisten.

© Eike Walkenhorst

Tutti d*amore will mit einer neuen Text- und Musikfassung Straus’ satirisch-parodistische Seitenhiebe auf das wilhelminische Deutschland in die Berliner Gegenwart verlängern. Es handelt sich um alles andere als eine intelligente Überschreibung der „Lustigen Nibelungen“. Der Abend will die „Kulturkämpfe“ der heutigen Theater- und Opernpraxis zwischen Konservatismus und „Wokeness“, Tradition und Progression aufs Korn nehmen. Die Welt des Theaters und die mythologische Welt der Nibelungen werden miteinander verschmolzen und ein turbulentes Ringen um Deutungshoheit und Repräsentation beginnt. Plakative Sprengsätze, ein grell-buntes, wildes läppisches Gerangel, Aufforderungen zum Mitsingen des Publikums und ein wahres szenisches Durcheinander des aufwendigen Personals zwischen burgartigem Mauerwerk und Theaterdrachen von oben, Flügelhelmen, Brustpanzern und Schwertern inmitten von Pappmauern und Pseudo-Mittelalter-Türmchen lassen Ratlosigkeit zurück. Auch die Kostüme, klischeehafte Mitteltalerfetzen wie aus dem Fundus (Bühne und Kostüme Stella Lennert) beglücken nicht gerade

Wir verstehen schon: Am Beispiel der „Lustigen Nibelungen“ verhandelt das Kollektiv einen handfesten Kulturkampf: Wegen der Kürzungen des Berliner Senats muss die Nibelungenfamilie um Intendant Gunther, altehrwürdiger Gralshüter des Wagnerschen Erbes, mit dem Berliner Underground-Kollektiv „Die wilde Brünhilde“ (die mit Mikrofon wie ein Popstar auftritt) fusionieren. „Überspitzt gesagt sind die Nibelungen Traditionalisten, ‚Die wilde Brünhilde‘ steht für Wokeness und Innovation“, ließ Caroline Schnitzer, die Sängerin der Brünnhilde, schon im Vorfeld der Premiere verlautbaren.

Die Zielgruppen der langweiligen, verqueren Veranstaltung der queeren Truppe tutti d‘ amore sind die die Jungen, die Hippen, die Gen Z und alle, die es werden wollen.

© Eike Walkenhorst

Apropos Sänger: Caroline Schnitzer (Brünnhilde), Ferhat Baday (Hagen) Ludwig Obst (Kriemhild), Evelina Smolina (Giselher / Waldvogel) und Artur Garbas (Gunther) singen eine sehr solide.

Doch auf der Experimentalbühne Tischlerei der Deutschen Oper Berlin werden germanische Mythen aufs jämmerlich Alltägliche von Heute zurechtgestutzt: Siegfried hat sein Gold auf der Rheingoldsandbank, die pleitegeht, das Bad in Drachenblut geschieht in Sanitärkeramik, es wird bis zum Umfallen gesoffen, Brünhilde verprügelt am liebsten Männer. Deshalb schlottern Angsthase König Gunther auch heftig die Glieder, eine Geldheirat mit ihr steht nämlich an. Es wird bedenkenlos mit Klischees gespielt, kein Kalauer scheint zu billig. Da opponiert eine selbstgefällige, biestig-antipatriarchale Freie-Szene Guerilla gegen verkrustete Staatstheaterhierarchie, so wird jedenfalls suggeriert.

Tutti d*a­mo­re sieht seine Arbeit auch immer als Chance, Klassik für ein neues Publikum zugänglich zu machen. Caroline Schnitzer sagt dazu: „Wir sind Bindeglied für Leute, die gegenüber großen Institutionen eine Barriere fühlen. Für die können wir eine Brücke bauen“. Nein, bei derlei anspruchslosem, ja verantwortungslosem Umgang mit Operette werden eher Brückenbauten verhindert und Vorurteile bestärkt, anspruchsvolles Publikum wird vergrätzt.

Das Kollektiv tutti d*a­mo­re ist eng mit dem Berliner Nachtleben verwachsen: Seit seinem Debütauftritt im Berliner Techno-Club „Sisyphos“, 2019, frischt es eingängige und tanzbare Operettenmusik mit Synthesizer-Sounds und elektronischen Beats auf. Was man so Auffrischen nennt.

© Eike Walkenhorst

Leider wird die Straus-Adaption durch die wenig originelle musikalische Bearbeitung von Felix Stachelhaus und die fragwürdig zeitgeistige Fassung und tohuwabohuhafte Inszenierung von Anna Weber nicht besser, im Gegenteil. Der Abend überzeugt schon musikalisch nicht. Die lahme musikalische Leitung lag in Händen von Elda Lahro. Es handelt sich um eine arg verwässerte Paraphrase der Vorlage, nahezu alle originellen Musiknummern von Straus, zumal die stärksten werden ausgeklammert, und vermischt mit Beat, Techno, Rap und sonstiger Popmusik im ohrenbetäubenden Discosound. Eine Zumutung für das Publikum, Eine Ohrfeige für die Operette, die besser ist als ihr Ruf und für das operettenaffine, von Vorurteilen freie Publikum, das keineswegs so dumm und so spießig ist, wie die Verantwortlichen dieser ärgerlichen Produktion offenbar zu glauben scheinen. Operette für alle? Nein, eher Operette für ahnungslose und dumme. Diese geschmacklose Melange aus Subkultur und Hochkultur ist eine Zumutung.

Dieter David Scholz, 3. März 2025


Ab in den Ring
Ein Operettenfestspiel von und mit tutti d*amore
nach Oscar Straus und Rideamus „Die lustigen Nibelungen“

Tischlerei der Deutschen Oper Berlin

Besuchte Vorstellung: 2. März 2025
Premiere 28. Februar 2025

Musikalische Leitung: Elda Laro
Apollo Chor
Musiker und Musikerinnen der Deutschen Oper Berlin

Nächste Aufführungen: 6., 7., 9., 15., 16. März 2025