Frankfurt, Konzert: „London Philharmonic Orchestra“ unter Karina Cannelakis

Im Rahmen des aktuellen Pro Arte Konzertes in der Alten Oper Frankfurt war das London Philharmonic Orchestra zu Gast. Diesmal wurde es von Karina Canellakis geleitet, die seit kurzem die erste Gast-Dirigentin des Orchesters ist.

In düsterem c-Moll schrieb Ludwig van Beethoven seine wuchtige „Coriolan“-Ouvertüre. 1807 entstand dieses Werk als Schauspielmusik zum gleichnamigen Theaterstück. Und Karina Canellakis setzte sogleich ein kräftiges Ausrufezeichen in den Saal. Schroff und hart meißelte sie die Akkorde in das Orchester. Dieses spielte Beethoven nach historischer Spielweise, d.h. die Streicher ohne Vibrato, schlanke Naturtrompeten und historische, kleinere Pauken. Ein authentisches Klangerlebnis, spannend vom ersten bis zum letzten Takt.

(c) Mathias Botor

Am 16. Dezember 1921 spielte Sergej Prokofjew selbst die Uraufführung seines dritten Klavierkonzertes in Chicago. Es gilt als sein beliebtestes Klavierkonzert, weil es melodisch reich ist und weitgehend auf Dissonanzen verzichtet. Das London Philharmonic Orchestra spielte dieses Werk bereits 2019 in der Alten Oper. Nun war als Gast der einzigartige Pianist Daniel Trifonov zu bewundern. Trifonovs Klavierspiel ist ein endloser Superlativ in Tönen. Der Mann mit den großen Händen und der nie versiegenden Kraft musizierte fortwährend in seiner eigenen Welt. Mit größter Virtuosität und atemberaubender Geschwindigkeit fegte er die horrenden Anforderungen des Konzertes hinweg. Seine überragende technische Sicherheit gewährte ihm größte gestalterische Freiheit. Sein Timing war atemberaubend und vor allem der Farbreichtum in den leisen Stellen. Im Andantino war Trifonov ganz in seinem Element, zauberhafteste Variationen zu realisieren. Da leuchtete und funkelte es in einer unfassbaren Intensität, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Furios und dann hochvirtuos gesteigert das Finale. Der kaum spielbare dritte Satz war für Trifonov ein Kinderpiel der Effekte. Seine überragende Spielkunst zeigte sich im festen akkordischen Zugriff und rhythmischer Prägnanz. Karina Canellakis war eine äußerst selbstsichere Begleiterin. Mit großem Können präsentierte sie die Musik in beeindruckender Bandbreite. Kantilenen wurden sensibel phrasiert und groteske Effekte offensiv vom wunderbar mitgehenden London Philharmonic Orchestra musiziert. Dazu ließ Canellakis das Orchester klangstark aufspielen, sodass sie und Trifonov sich immer wieder energetisch aufluden.

Das Publikum war außer sich und erhielt eine nicht minder beeindruckende Zugabe von Daniel Trifonov. Noch einmal Prokofjew mit seiner zauberhaften Gavotte aus „Cinderella“.

Im Jahr 1888 entstand Tschaikowskis fünfte Sinfonie, die er als persönliches Bekenntnis seiner Seele verstand. In seinen drei letzten Sinfonien verfasste der Komponist programmatische Angaben, die er dann wieder verbannte. Zu viele Einblicke in sein Innerstes wurden von ihm formuliert. Das verbindende Element in diesen Werken ist die Macht des Schicksals. In den Sinfonien vier und fünf führt der Kampf mit dem Schicksal am Ende ins Licht, während in der beschließenden sechsten Sinfonie der Tod das letzte Wort hat. Karina Canellakis zeigte ein ausgezeichnetes Dirigat. Der marschierende erste Satz war durch rasche Tempi geprägt, pointierte Rhythmen und scharfe Akzente sorgten für die nötige Aufregung. Als ehemalige Geigerin hatte sie den großen Streicher-Apparat hervorragend einstudiert. Und doch war es das formidable Wechselspiel zwischen Streichern und kontrastierenden Holzbläsern, was ihre Interpretation so ungewöhnlich machte. Ruhe und orchestraler Gesang prägten den zweiten Satz, welcher mit emotionalen Ausbrüchen das Andante cantabile in prachtvoller Ehre strahlen ließ. Entzückend tänzerisch gestaltete Canellakis das Scherzo. Dann ertönte das Finale, ein lebhaftes Toben, fortwährend in straffer Phrasierung und zugespitzten Tempi. Die triumphale Coda bündelte alle Kräfte zusammen und demonstrierte eindrucksvoll die hohe Klangqualität des London Philharmonic Orchestras. Das Orchester musizierte in üppigen Klangfarben. Hinzu kam die außergewöhnliche strukturelle Klarheit in der Wiedergabe dieser Sinfonie. Die Orchester Soli, vor allem in den Holzbläsern und dem hinreißenden Solo-Horn waren ein Labsal für die Ohren.

(c) Dario Acosta

Die Wirkung blieb nicht aus. Das Publikum war begeistert und feierte den Vortrag ausgiebig. Als Zugabe noch einmal Tschaikowski: die Polonaise aus „Eugen Onegin“. Ein Erlebnis, auch hier mit Bravour vorgetragen. Die hohe Professionalität und Selbstdisziplin des London Philharmonic Orchestras war vor allem an diesem Abend bewundernswert.

Erneut legten Teile des Publikums ein rüpelhaftes und respektloses Verhalten an den Tag, was zutiefst ärgerlich war! Da wurde in die leisen Schlusstakte der „Coriolan“-Ouvertüre Husten derart vehement ausgekotzt, ohne auch nur im Ansatz daran zu denken, diesen zu dämpfen. Und auch das berühmte Hornsolo in der Tschaikowski Sinfonie sah sich mit lautstarken Grüßen aus der „Husten“-Abteilung sabotiert. Es ist ein beklagenswerter Zustand, dass sich der Werteverfall der Gesellschaft auch in der Zunahme dieser Unanständigkeiten zeigt. Dem könnte doch Abhilfe geschaffen werden. Am besten durch eine Ansage, wie im Flugzeug, zwei Minuten der schlimmsten Huster mit entsprechenden Empfehlungen zur Hustendämpfung einspielen oder zumindest ein groß geschriebener Hinweis im Programmheft.

Dirk Schauß, 12. März 2023


Besuchtes Konzert in der Alten Oper Franfurter am 11. März 2023

Ludwig van Beethoven – Ouvertüre zu „Coriolan“ op. 62

Sergej Prokofjew – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 C-Dur op. 26

Peter I. Tschaikowski – Sinfonie Nr. 5 e-moll op. 64

Daniel Trifonov, Klavier

London Philharmonic Orchestra

Karina Canellakis, Leitung