Hamburg: „Historia di Jephte“, Giacomo Carissimi / „Dido und Aeneas“, Henry Purcell

O lachend frevelnder Leichtsinn!“ – das ist Frickas Kommentar zum Handel, den die Herren Götter und Riesen ausgemacht und als Bezahlung für das neue Wotan-Hauptquartier einfach mal die für die Götter lebenswichtige Freia geopfert haben – vorläufig, meint der Göttervater, das kriegen wir schon irgendwie hin!

(c) James Bart

Wenn es um Macht, den Nachweis unbedingten Gehorsams oder das eigene Überleben geht, sind Männer schnell dabei, Gelübde abzulegen, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen. Abraham ist bereit, seinen Sohn Isaak zu schlachten, nur weil ihn ein archaisch anmutender Gott auf die Probe stellen will. Idomeneus will seinen Sohn opfern, weil sein Versprechen, nämlich das erste Lebewesen, was ihm zu Hause begegne, den Göttern zu schenken, falls er in einer Notlage überlebe, ihn bindet. Genauso ist es mit Jephta, der dem Allmächtigen gelobt hat, ihm im Falle eines Sieges dasjenige Geschöpf darzubringen, was ihm auf der heimischen Schwelle entgegenträte – das ist Drama mit Ansage.

Nun gehen bekanntlich die Geschichten mit Abraham und Idomeneus gut aus, weil die jeweilige göttliche Macht von der Forderung zurücktritt, aber Jephta bzw. seine Tochter hat kein Glück, denn die lief ihm bei seiner Rückkunft freudig entgegen. Händel hat das nicht so stehenlassen wollen, denn in seiner Bearbeitung des Stoffes überleben alle. Nur im alttestamentarischen Original und der Adaption durch Giacomo Carissimi gibt es kein Entrinnen und man mag sich beinahe eine sadistische Gottheit vorstellen, die mit der Bemerkung „Aus dem Vertrag kommst du nicht mehr ´raus“ einen Vater seine einzige Tochter hinschlachten läßt.

„Du hast mich ins Verderben gestürzt“, projiziert der Vater noch dazu seinen unbedachten Handel auf die unschuldige Tochter, die das alles akzeptiert und nur ihre Jungfräulichkeit betrauert.

Diese kaum erträgliche Geschichte machen am Abend des 14. Februar das Ensemble Il Pomo d Oro unter Leitung ihres hochengagierten Dirigenten Maxim Emelyanychev im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie lebendig.

(c) Nicola Dalmaso

Carlotta Colombo Filia singt die unglückliche Tochter, die nicht mal namentlich erwähnt wird – eigentlich müßte das um 1640 geschaffene Oratorium des fast vergessenen römischen Komponisten nach ihr benannt sein. Die Sopranistin sei daher auch hier zuerst gewürdigt; sie gibt dem bedauernswerten Mädchen mit ihrer jugendlichen, hellen Stimme greifbare Gestalt, mimisch läßt sie in ihre Freude und Erschütterung blicken. Andrew Staples als Jephta wirkt verständlicherweise resigniert und traurig, der Tenor singt und spielt den zerrissenen Vater fast zurückhaltend.

Solisten und Chor pflegen ein wunderbar lebhaftes, italienisch ausgesprochenes Latein, was dem Ganzen eine enorme Frische verleiht. Emelyanychev hält es kaum auf seinem Cembalo-Hocker, von dem aus er Sängern und Musikern ihre Einsätze energisch zuwirft.

Ist dieses Werk kurz aber schmerzhaft, so beweist auch im zweiten Teil des Abends Henry Purcell mit seiner Oper „Dido and Aeneas“, daß man in einer knappen Stunde alles unterbringen kann, was an Virtuosität, musikalischen Einfällen und inhaltlicher Dichte für die Erzählung eines antiken Stoffes notwendig ist. Kein Wunder, daß dieses Werk die erste wirklich erfolgreiche englische Oper wurde.

Die Geschichte des Trojaners Aeneas, der mit seinem Sohn Julus und seinem Vater Anchises (nicht König von Troja, das war Priamos!) aus der brennenden Stadt flieht, damit seine Nachfahren einst Rom gründen sollen, und den ein Sturm nach Karthago getrieben hat, ist nur das Vorspiel zum hier behandelten Liebesdrama. Der Held, wiederum Andrew Staples, trifft auf die Königin Dido und beide verlieben sich ineinander. Die Intrige einer Zauberin zerstört das mögliche Glück und – angeblich – die Götter schicken Aeneas fort von der Geliebten. Joyce DiDonato ist eine schlichtweg umwerfende Königin; ihrer Dido verleiht sie mit Weichheit, Wärme, in jeder Lage perfekt sitzenden Tönen und einem royalen Stolz wahrhaft große Gestalt. Auch in den Piano-Passagen ist sie unglaublich präsent. Als Aeneas zurückrudert, lehnt sie sein Angebot beleidigt ab – das hat eine wahre Königin nicht nötig. Und ein echter Weltstar hat es auch nicht nötig, die Rampensau zu spielen – wundervoll sympathisch wird sie sich beim Schlußapplaus immer in die Gemeinschaft reihen, ganz im Dienst der Kunst.

Belinda, die Vertraute der König, gibt die Sopranistin Fatma Said mit einer betörenden Mädchenhaftigkeit in der Stimme sowie einer ehrlichen Aufrichtigkeit in der inhaltlichen Wiedergabe und dem gestischen Spiel.

Eine wirklich bösartige Zauberin verkörpert Beth Taylor, die mit ihrem dunklen Mezzosopran die Menschen das Fürchten lehrt und dabei große, weitausgreifende Gesten nicht scheut. Es macht Freude, sich durch diese Künstlerin Gänsehautschauer über den Rücken jagen zu lassen!

Neben diesen brillant singenden und spielenden Damen wirkt Andrew Staples´ Aeneas fast farblos und wenig heldenhaft. Offenbar hat er sich in seiner Interpretation für den ob der angeblichen Göttermacht resignierten Befehlsempfänger entschieden.

Einen kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt hat der Countertenor Hugh Cutting als Geist, der mit schneidender Klarheit dem Trojaner den vermeintlichen Befehl des Göttervaters Zeus übermittelt.

Die Begleiterinnen der Zauberin, Alena Dantcheva und Anna Piroli als Hexen singen und gestikulieren mit großem Einsatz, wirken damit aber leicht exaltiert. Massimo Altieri als Seemann stellt einen schönen tenoralen Gegenpol zu den weiblichen Stimmen her.

Zu den musikalischen Höhepunkten der Oper gehören die Tutti-Stellen mit Chor und Orchester, denn Purcell bringt hier eine temperamentvolle Dynamik ins Geschehen, was das Ensemble mit sicht- und hörbarer Spielfreude umsetzt. Gerade die Unisono-Partien des Chores sind stark und unmittelbar, das Tempo ist frisch, und witzige Einlagen wie die Festszene, in der alle besoffen sind, geben die Ensemblemitglieder mit sympathischer Lebhaftigkeit wieder. Zauberhaft geraten die Echo-Passagen mit aus der Ferne singenden Chormitgliedern.

Am Ende aber herrscht blanke Trauer, weil die unglückliche Königin keinen Sinn mehr im Leben sieht und beschließt, diesem ein Ende zu setzen.

Joyce DiDonato singt die berühmte Arie „Remember me!“ mit solch berückender Innigkeit und sichtlicher Ergriffenheit, daß eines klar ist: Jeder, der diesen Abend miterlebt hat wird genau das tun – sich erinnern und mit Dankbarkeit an ein Kunstereignis zurückdenken, das schließlich mit größtem Jubel und stehenden Ovationen gefeiert wird.

Andreas Ströbl, 15. Februar 2024


Giacomo Carissimi, Historia di Jephte – Oratorium
Henry Purcell, Dido and Aeneas – Oper in drei Akten, Konzertante Aufführung

Hamburg, Elbphilharmonie
14. Februar 2024

Ensemble „Il Pomo d´Oro“
Cembalo und musikalische Leitung: Dirigent Maxim Emelyanychev