Dresden: „Madrigale und Opernausschnitte“, Claudio Monteverdi

Die Euphorie der L´Orfeo-Premiere des vergangenen Sonntags hat bei vielen Dresdner Musikfreunden den Wunsch nach mehr von Claudio Monteverdi (1567-1643) geweckt. Deshalb luden am Abend des 3. Mai 2023 Rolando Villazón und die „lautten compagney BERLIN“ zu einem Querschnitt des Schaffens Monteverdis in die Semperoper ein. Unterstützt wurden sie von der Sopranistin Nikola Hillebrand, der Mezzosopranistin Štěpánka Pučálková und dem Tenor Joseph Dennis. Die Musikalische Leitung des Abends war, wie die LᶦOrfeo-Premiere des 30. Aprils, dem Mit-Gründer und Leiter der „Lautten compagney“ Wolfgang Katschner übertragen worden.

© Klaus Gigga

Das musikalische Leben an den Höfen von Florenz, Mantua und Ferrara war den Kaufleuten von Venedig Anregung gewesen, sich die besten Musiker der Zeit in die Palazzi der Lagunenstadt zu holen. So verpflichteten sie im Jahre 1613 den genialsten Komponisten der Epoche als Kapellmeister an San Marco. Neben affektreicher Kirchenmusik entstanden Theaterszenen, Opern, Balletten auch eine Unzahl kleinerer Sologesänge und mehrstimmige Madrigale. Dank des in Venedig hochentwickelten Notendrucks kombinierte Monteverdi diese kleineren Kompositionen als sogenannte Madrigalbücher.

Nach dem Auftakt mit einer Komposition von Giovanni Gabrieli (etwa 1555-1612) sangen die Tenöre Rolando Villazón und Joseph Dennis aus einem Madrigalbuch, welches Monteverdi im Jahre 1619 zusammenstellte, das wunderbare Duett „Interrotte Speranze“, sinngemäß „zerschlagene Hoffnung“ zum Anfang der Monteverdi-Kompositionen. Mit einem etwas wirrem Text des Dichters Giovanni Battista Guarini (1538-1612), der für seine außergewöhnlichen Wortfärbungen bekannt war, beschrieb er eine unerwiderte Liebe, die zu einer Beschimpfung einer Dame führte, die sich offenbar eingedrängt hatte. Besonders interessant war der recht kompliziert gestaltete Instrumental-Part Monteverdis.

Aus Monteverdis von Liebesschmerz erfülltem Madrigal „Si dolce éʹl tormento“ gestaltete Rolando Villazón ein Hohelied auf das Märtyrertum. Das Lied des Textes eines unbekannt gebliebene Dichters mit seiner Melancholie, Süße und schmerzlicher Intensität von Wolfgang Katschners „lautten compagney“ begleitet, verblüfft mit seiner Einfachheit. Es gibt nur zwei Stimmen, keine großen Sprünge, dafür viele Tonwiederholungen. Ein regelrechtes Wunder, welches Äußerstes an Wirkung Monteverdi mit diesen begrenzten Mitteln erreichte.

© Klaus Gigga

Nach einem Orchesterzwischenstück von Heinrich Schütz (1585-1672), einem früheren Kurfürstlichen Dresdner Kapellmeister, führten uns die Musiker in das Mantua des Jahres 1607 zurück zur ersten Oper Monteverdis „LᶦOrfeo“. Als Orfeo am Ufer des Flusses Styx von „der Hoffnung“ zurückgelassen wurde, stimmte er die Schlüssel-Arie des dritten Aktes der Oper „Ponte spirito, e formidabil nume“, mächtiger Geist und gewaltiger Gott, an, um Eurydike in das Totenreich folgen zu können. Der Fährmann Charone verweigerte die Überfahrt und der Zerberus drohte. Aber der Gesang Rolando Villazóns wiegte Charone in den Schlaf, so dass Orfeo das Boot besteigen und selbst in den Hades übersetzen konnte. Die Arie ist ein wichtiges Beispiel für die Aufführungspraxis des italienischen Frühbarocks, denn Monteverdi hat zwei Versionen der Komposition angeboten: eine einfache und, die von Villazón für den Abend gewählte, mit mehrfachen Verzierungen.

Dem Ausschnitt aus Monteverdis erster Oper folgte die von Štěpánka Pučálková gesungene Arie der Kaiserin Octavia aus seiner letzten Oper „Lᶦincoronazione di Poppea“, die Krönung der Poppea, des Jahres 1642. Die Kaiserin hat soeben erfahren, dass sie verstoßen und Poppea ihren Platz einnehmen werden soll. Mit Dramatik präsentierte uns die Mezzosopranistin die wütende Reaktion, ohne dabei ihr schönes Timbre zu verlieren. Die als Sopran komponierte Arie sang sie mit einer schwerelosen Höhe.

Nach einem Orchesterzwischenspiel des fast ausschließlich in Halle wirkenden Samuel Scheidt (1587-1654) sangen Štěpánka Pučálková und Rolando Villazón

aus der Schlussszene der Oper „Il ritorno dᶦUlisse in patria“, die Heimkehr Odysseus, das „ich wusste, dass du keusch warst“.

© Klaus Gigga

Einen Text aus Torquato Tassos (1544-1594) Epos „Des befreite Jerusalem“ nutzte Monteverdi, um beim Karneval in Venedig des Jahres 1624 an seinen Orfeo-Erfolg von 1607 in Mantua anzuknüpfen. Das gelegentlich etwas spöttisch als 20-Minuten-Oper bezeichnete „Il combattimento di Tancredi et Clorinda“ erzählt eine Episode aus dem ersten Kreuzzug: der christliche König Tancredi, der Tenor Joseph Dennis, hat im feindlichen Lager eine Geliebte, die sarazenische Kriegerin Clorinda, Nikola Hillebrand. Als „Teso“, Erzähler, erklärte uns Rolando Villazón, dass Tancredi einen feindlichen Kämpfer, der einen Belagerungsturm in Brand gesetzt hatte, zum Kampf fordert und dabei verletze. Erst als er dem im Sterben Befindlichen den Helm abnahm konnte er erkennen, dass es sich beim Gegner um eine Frau, und zwar um seine Geliebte Clorinda handelte. Bevor die Geliebte stirbt, nimmt sie den christlichen Glauben an und wird von Tancredi getauft. Eindringlich schilderte Rolando Villazón, wie kalter Krieg und blinde Wut das Unglück über zwei Liebende stülpt. Nikola Hillebrands leiser werdenden Gesang verkündet, dass die Sterbende dem Tancredi am Ende vergeben kann  Aus heutiger Sicht eigentlich eine Kantate, ist musikhistorisch interessant, dass Monteverdi auf dem Höhepunkt der Kampfszene die Streicher anwies, die Bögen beiseite zu legen, und wahrscheinlich erstmalig mit zwei Fingern, das, was wir heute als „Bartók-Pizzicato bezeichnen, ausführen ließ. Eindrucksvoll, wie Monteverdi die hohe Kunst beherrscht, Melodien zum Blühen zu bringen und jedes Madrigal in eine kleine Oper zu verwandeln.

Das Schlussduett aus „Die Krönung der Poppea“ dürfte das letzte Wort des Musikdramatikers Claudio Monteverdi gewesen sein. Dabei ist das „Pur ti Miro“ im Libretto von Francesco Busenello (1598-1659) nicht zu finden. Monteverdi hat es nachträglich komponiert, um mit einem wunderschönen Duett voller Liebesgefühle und Erotik seiner letzten Oper einen besonderen Schluss zu geben. Am Ende sind Poppea und Nero einfach zwei Liebende, die sich ihrer Liebe versichern. Vergessen sind die widrigen Umstände, die ihre Liebe begleiteten und was die Geschichtsschreibung dem Nero noch alles nachsagen wird, wenn sie eines der schönsten Liebesduette aller Zeiten singen. Die Stimmen von Nikola Hillebrand und Rolando Villazón als Poppea und Nero  umschlangen sich regelrecht und sind im engen Abstand geführt. Bis zu welcher Nähe die Darbietung der Wirkung in der Entstehungszeit gekommen ist, darf erfragt werden, denn 1642 und 1643 wurde der Nero noch von einem Kastraten beziehungsweise von einer Sopranistin gesungen.

© Klaus Gigga

Eine Zugabe der beiden Damen und Rolandos hat es dann auch noch gegeben.

Wolfgang Katschner hat uns mit seiner lautten compagney und deren Instrumentarium an den beiden Abenden mit Claudio Monteverdi neue Klangräume erschlossen. Interessant war besonders, dass wir die historischen Instrumente auf der Bühne sehen konnten.

Stehende Ovationen und gewaltiger Jubel, der vor allem von der Persönlichkeit Villazóns befeuert worden war, beendeten den Abend.

Thomas Thielemann, 5. Mai 2023


Semperoper Dresden

5. Mai 2023

Monteverdi: Madrigale und Opernausschnitte;

Nikola Hillebrand: Sopran;

Štěpánka Pučálková: Mezzosopran;

Rolando Villazón: Tenor;

Joseph Dennis: Tenor;

Musikalische Leitung: Wolfgang Katschner

lautten compagney BERLIN