Braunschweig: „The Telephone“/„Twice Through the Hear“

Premiere am 27. Oktober 2019

Packend

In den letzten Jahren hat sich das Staatstheater immer wieder der kleineren Form des modernen Musiktheaters angenommen; so auch jetzt mit der 1947 uraufgeführten Kurzoper „The Telephone“ von Gian Carlo Menotti (1911-2007) und dem Monodrama „Twice Through the Heart“ von Marc-Anthony Turrnage (geboren 1960), das 1997 beim englischen Aldeburgh Festival uraufgeführt worden ist.

Jelena Bankovic/Zachariah N. Kariithi

Menotti schuf „The Telephone“, eine knapp halbstündige „opera buffa“, als so genannten „curtain riser“ zum psychologisierend durchdrungenen „Medium“. In dem heiteren Stück versucht Ben, Lucy einen Heiratsantrag zu machen, wird aber dauernd durch das Klingeln ihres Telefons unterbrochen. Entnervt verlässt er schließlich ihre Wohnung, während sie noch telefoniert, und ruft sie von der nächsten Telefonzelle aus an; so erreicht er sie endlich. Lucy nimmt den Heiratsantrag freudig an, ermahnt ihn aber sofort, sich ihre Telefonnummer gut zu notieren.

Dieser heute in unserer Medien-beherrschten Welt immer noch aktuelle Stoff fand in der lebendigen Inszenierung von Eva-Maria Weiss eine adäquate Deutung, indem die Telefongespräche über Skype geführt wurden. Entgegen der Idee des Komponisten, die Gesprächspartner mit der Musik des Kammerorchesters zu charakterisieren, erschienen diese auf zwei großen Bildschirmen und Leinwänden (Ausstattung: Lisa Fütterer). Dies nahm am Schluss überhand, als bei der Annahme des Heiratsantrags per Telefon ein Video ablief, das das Paar in inniger Umarmung zeigte. Das alles sollte wohl unsere übermäßige Abhängigkeit von den modernen Medien deutlich machen. Musikalisch wurde man nicht enttäuscht: Jelena Banković war eine lebhafte, allzu gern telefonierende Lucy; ihr höchst flexibel und in allen Lagen, auch in den extremen Höhen, sicher geführter Sopran gefiel einmal mehr. Der junge Kenianer Zachariah N. Kariithi, neu im Braunschweiger Ensemble, gab Lucys Geliebten Ben mit munterem Spiel und klangvollem Bariton.

Zachariah N. Kariithi/Jelena Bankovic

Nun zum völlig gegensätzlichen zweiten Stück des Abends: „Twice Through the Heart“ des amerikanischen Komponisten Turnage: Seine „Dramatische Szene für Mezzosopran und sechzehn Instrumentalisten“ beruht auf der wahren Geschichte um Amelia Rossiter, die 1988 für den Mord an ihrem Ehemann zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Nach vier Jahren wurde sie entlassen, nachdem aufgrund einer britischen Rechtsänderung die Verurteilung wegen Mordes in Totschlag umgewandelt worden war. Die schottische Autorin Jackie Kay verfasste 1992 über diesen Stoff einen Gedichtzyklus und ein Fernseh-Drehbuch, das anschließend gemeinsam mit Turnage zur halbstündigen Kammeroper umgeformt wurde. Hier reflektiert eine Frau mit dem anfangs immer wieder kehrenden Refrain „There’s no way out“ im Gefängnis ihr Schicksal. Sie musste sich vor Gericht dafür verantworten, ihren Mann mit einem Küchenmesser erstochen zu haben, „zweimal durchs Herz“. Statt einer kaltblütigen Mörderin ist sie Opfer eines Mannes, der sie jahrelang missbraucht hat. Dies offenbart sie im Gerichtssaal nicht; statt auf Notwehr zu plädieren, ergibt sie sich ihrem Schicksal; erst später wird sie gestehen, dass sie aus Scham geschwiegen hat. Das positive Ende, die spätere Entlassung, klingt in den „Dramatischen Szenen“ nicht an.

Dorothea Spilger

Dieses zum „Telephone“ in krassem Gegensatz stehende Monodrama schloss sich unmittelbar an, nachdem Techniker die Andeutung einer Gefängniszelle und eine Reihe von Scheinwerfern und eine Kamera aufgebaut hatten. Jetzt zeigte sich die Verbindung der beiden Werke, die das Regieteam vorgenommen hatte: Die Gedanken und Reflektionen der Verurteilten wurden so wie bei Fernseh-Dokumentationen aufgezeichnet. Dazu wurden Sitzpositionen geändert, später das Oberteil der Frau mit Blut beschmiert, als sie an die Tötung zurückdachte. Diese Verbindung der beiden Stücke wirkte dann doch allzu krampfhaft und willkürlich. Allerdings hatte das keinen wesentlichen Einfluss auf die Leistung von Dorothea Spilger: Sie lieferte ein ungemein packendes Psychogramm der Frau, die in neun, nicht chronologischen Abschnitten ihre Leidensgeschichte reflektierte. Da gab es viele stark durchdringende Tonfolgen wie Schreie, aber auch – besonders bei den positiven Erinnerungen – wunderbar ruhige, lyrisch eingefärbte Passagen. All das gestaltete die Mezzosopranistin, die am Anfang des Jahres bereits in der „Passagierin“ Furore gemacht hatte, mit ausgesprochen vielschichtigem Ausdrucks.

In beiden Stücken zeigten sich die Musiker des Staatsorchesters gut vorbereitet, die unter der souveränen Leitung von Alexis Agrafiotis die sichere Grundlage für die Protagonisten auf der Bühne bildeten.

Starker Beifall des sehr angetanen Premierenpublikums belohnte alle Mitwirkenden.

Fotos: © Björn Hickmann

Gerhard Eckels 28. Oktober 2019

Weitere Vorstellungen: 7.,10.,20.11.+1.,4.,13.12.2019+22.1.2020