Wien: „María de Buenos Aires“, Astor Piazzola

(c) Liliya Namisnyk

Dieses als „Tango Operita“ von Astor Piazzolla (1921-92) bezeichnete Werk entrollt sich in 16 Bildern, die musikalischen Zwischenspiele miteingerechnet. Das Libretto stammt von dem argentinischen Lyriker Horacio Ferrer (1933-2014). Die Geschichte der Titelheldin wird einem Kreuzweg gleich in nicht chronologischer Reihenfolge in 12 Gedichten voller magischem Realismus erzählt. Zu Beginn wird María gleich ermordet und der Duende, ein Geist aus Buenos Aires, beschwört ihre Erinnerung herauf. Der Payador, ein Gitarre spielender Gaucho, schildert Marías Kindheit, die in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, für ein besseres Leben nach Buenos Aires zog und dort ihr Glück als Tangosängerin versuchte. Sie wird Opfer eines Femizids und dazu verurteilt als Schatten weiter durch die Straßen von Buenos Aires zu irren. Der in einer Bar sitzende Duende beschließt, María wieder auferstehen zu lassen. An einem Sonntag geschieht dieses Wunder und Marías Schatten bringt eine weitere María zur Welt und sie wird zu einer Heiligen verklärt… Die Titelheldin dieser Tango Operita vereint in sich die biblischen Gestalten der Jungfrau Maria, der Heiligen, wie Maria Magdalena, der Hure und hat ihr Pendant in Micaela und Carmen. Hilflos ist sie ihren fatalen Leidenschaften ausgeliefert. Natürlich erinnert die Auferweckung einer Toten motivisch an Korngolds Wunder der Heliane und die Reihe von Geisterbeschwörungen in Opern von Verdi bis Thomas ist endlos. Wenn Leonard Bernstein mit seiner West Side Story eine Hommage an New York gelang, so setzte Astor Piazzolla mit seiner Tango Operita Buenos Aires ein musikalisches Denkmal. Das Werk an sich ist eine reine Nummernoper. Gesangsnummern, immer wieder unterbrochen durch deklamierte Texteinlagen des Duende oder des Chores, wechseln sich mit instrumentalen Zwischenspielen ab. In musikalischer Hinsicht begegnen wir den verschiedenen Stilen des Tangos und seiner Vorläufer, Canyengue und Milonga, bis hin zu dem von Astor Piazzolla selbst kreierten Tango Nuevo.

(c) Liliya Namisnyk

Aber der bei Nadja Boulanger in Paris ausgebildete Komponist griff in seinem Werk auch auf die Mittel der Klassik zurück, indem er eine Fuge, eine Toccata und Oratorien artige Teile einbaute und diese wiederum mit Ballett, Kabarett, Jazz- und Barmusikelementen verwob. Die Besetzung bleibt dabei aber kammermusikalisch. Vier Musiker des Ensembles folksmilch spielten an diesem Abend sechs Instrumente, nämlich Akkordeon, Violine, Mandola, Kontrabass, Percussion und Klavier. Luciana Mancini, chilenisch-schwedische Mezzosopranistin, war als fragile, leidende Titelheldin María mit rauchiger Stimme zu bewundern. Dem mexikanischen Bariton Jorge Espino als Gitarre spielendem Payador, waren die diversen, teils unsympathischen Verführer Marías überlassen. Daniel Bonilla-Torres, gebürtig aus Puerto Rico, überzeugte als der von María buchstäblich besessene Duende und trat mit eben dieser Rolle auch an vielen Opernhäuser in Nah- und Ferne mit seinem stimmgewaltigen Erzählbass auf. Die aus Graz stammende Regisseurin Juana Inés Cano Restrepo verlegt die mystische Handlung in einen Gerichtssaal (Bühnenbild: Anna Schöttl), der das Setting des Films „Zeugin der Anklage“ zitiert. Darin fungieren die Musiker als die Angeklagten und die Tänzer als die Geschworenen. Payador und Duende wiederum erscheinen als Verteidiger bzw. Ankläger in der typischen Richterrobe (Kostüme: Lena Weikhard). Die akrobatische Choreografie gestaltete Sabine Arthold. Franz Tscheck sorgte wie gewohnt für eine spannende Beleuchtung.

(c) Liliya Namisnyk

Dramaturgisch exzellent aufbereitet und beim Einführungsvortrag spannend vorgestellt hat das Werk Christian Schröder, dem ich an dieser Stelle für manchen Hinweis in meinem Bericht zu Dank verpflichtet bin. Die als Tänzer mitwirkenden Studierenden des Performing Centers Austria sollen an dieser Stelle auch namentlich genannt werden: Theresa Barborik, Anna Bauer, Achim Himmelbauer und Anna Reeves. Die Zeitebenen dieser Tango Operita verschwimmen, das Morgen wird zum Gestern und Heute, alle Figuren wandeln zwischen der realen und der Welt der Geister hin und her und knüpfen wie ein Haufen von Nornen am Schicksalsseil der María, deren Lebensstrang schließlich reißt, und die gleichsam als Dea ex machina eine völlig unerwartete Begebenheit in Gestalt der Geburt der „neuen“ María bringt… Übrigens zeigte das Klangbogen Wien Festival, aus dem letztlich das MusikTheater an der Wien in seiner heutigen Gestalt hervorgegangen ist, bereits im Sommer 2000 eine szenische Aufführung von María de Buenos Aires im Semperdepot, dem Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste. Am Ende gab es stürmische Beifallskundgebungen für alle Beteiligten

Harald Lacina, 14. Februar 2024


María de Buenos Aires
Astor Piazzolla

Theater an der Wien

Premiere: 12. Februar 2024

Inszenierung: Juana Inés Cano Restrepo
Musikalische Leitung: folksmilch