Freiburg: „Eugen Onegin“

Premiere am 28.9.2018

Puschkins Versnovelle gilt – zu Recht – als Glanzstück der russischen Literatur, und in der 1879 uraufgeführte Oper kann selbst der des Russischen Unkundige die Schönheit der Sprache erahnen, Tschaikowsky sei Dank, der sich gleich selbst um die Texttreue des Librettos bemühte. Die Musik ist grandios, die Handlung ebenso einfach wie mitreissend, und der Rollen gibt es dankbar wenige. Ideale Voraussetzungen also für eine erfolgreiche Produktion.

Der neue Intendant des Freiburger Stadttheaters, Peter Carp, inszeniert hier gleich selbst. Das allerdings mit mässigem Erfolg. Zwar ist das Bühnenbild (Kaspar Zwimpfer) des sich faltenden Briefes nicht unbeeindruckend, aber dem fleissigen Theatergänger sind überdimensionierte, z.T. als Video auf die Rückwand geworfene Briefe durchaus geläufig (z.B. aus der Linzer Produktion dieses Jahres).

Der Gutshof der doch durchaus vermögenden Larina wurde zu einer verfallenen Scheune im Western-Stil degradiert (in der praktischerweise auch die Duell-Szene stattfindet). Die Petersburger High Society bei einer Vernissage in einer Kunstgalerie auflaufen zu lassen, ist eine ganz nette Idee, besonders da es sich bei den Kunstobjekten um Fotos der früheren Scheune handelt. Auch Tatjanas intellektuelle Eröffnungsrede im Gegensatz zu Onegins Herzschmerz ist ein intelligenter Kunstgriff. Dass sich aber Tatjana später heimlich zurück in die Galerie schleichen soll, ist doch eher abwegig, macht doch Puschkin deutlich, wie sehr Onegin Tatjana verfolgt (und nicht umgekehrt). Überhaupt bewegen sich die Protagonisten etwas hölzern, insbesondere Lenski und Onegin wissen nichts mit sich anzufangen, und wirken in der Duellszene eher verloren.

Glücklicherweise landet Freiburg aber mit der Besetzung der Tatjana durch die junge Französin Solen Mainguiné einen Volltreffer. Endlich einmal eine Tatjana, der man das junge, unschuldige Mädchen abnimmt! Ihre Stimme ist melodiös und zart, manchmal fehlt noch etwas Fülle, aber hier wächst eine fantastische Sängerin heran, die auch noch umwerfend aussieht.

Michael Borth singt einen soliden, wenn auch nicht grandiosen Onegin, auch hier dürfte es sich lohnen, der jungen Stimme noch etwas Zeit zu geben. Optisch wirkt Onegin etwas blass, nicht zuletzt wegen der zurückhaltenden und die Standesunterschiede ignorierenden Kostüme (Gabriele Rupprecht): Wohin ist der weltmännische Dandy verschwunden? Wirklich ausgezeichnet macht sich der Amerikaner Joshua Kohl als Lenski, seine Tenorstimme ist schön und berührend, sein Spiel überzeugend. Ein grosser Erfolg ist der Abend auch für Jin Seok Lee als Prinz Gremin sowie Inga Schäfer als Olga, und Roberto Gionfriddo hat als clownhafter Triquet die Lacher auf seiner Seite. Satik Tumyan als Larina und Anja Jung als Filipjewna runden das Ensemble ab. Fabrice Bollon bringt das Philharmonische Orchester dazu, Tschaikowsky völlig ohne schwüles Pathos zu spielen, was gar nicht so einfach ist, aber ein aufregendes Ergebnis liefert.

Onegin ist eine alltägliche kleine Geschichte um verpasste Chancen und schlechtes Timing, zeitlos und unbestimmt, und trifft uns deshalb stets mitten ins Herz. Wer wünschte sich nicht, sich irgendwann anders entschieden zu haben? Die Tränen im Publikum flossen an dem Abend jedenfalls zu Recht reichlich.

Dank für die aussagekräftigen Bilder an (c) Tanja Dorendorf

Alice Matheson 2.10.2018