Wuppertal: „Die tote Stadt“

Premiere am 15.6.2019

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Pathologie-Alltag statt morbid historischem Grusel

Die Original-Geschichte sei kurz vorweg genommen: Paul lebt in einem Panoptikum der Reliquien seiner verstorbenen Frau Marie, fast in einem Geisterhaus. Er hat sich in die Tänzerin Marietta verliebt, die seiner Gattin sehr ähnlich sieht. Für ihn wird sie kurzzeitig zur Reinkarnation dieser Toten. Er versucht ein Verhältnis mit ihr zu beginnen. Die Künstlerin Marie lässt sich oberflächlich auf die Beziehung ein, ist aber nicht bereit, in die Rolle der Verstorbenen zu schlüpfen. Als Paul ihr einen Zopf der Toten, den er in einem Schrein aufbewahrt, um den Hals legt, verliert er plötzlich die Beherrschung und erdrosselt Marietta.

Im Roman ist das ein reales Handlungselement – in der Opernversion nur eine Vision. Die Ermordung findet nicht wirklich statt, sondern löst – ein Traum der Fantasie – nur eine seelische Wandlung aus. Paul erkennt am Ende der Oper, dass er in diesem alten morbiden Brügge, das sinnbildlich als Stadt genauso tot ist wie seine Frau, nicht länger leben kann, und verlässt mit seinem Freund Frank eben diese Tote Stadt.

Regisseur Immo Karamann misstraut natürlich als moderner Musiktheater-Regisseur der Vorlage des Originals und verschenkt mit seiner Inszenierung sowohl Stimmung als auch jegliche Spannung und Atmosphäre dieser wunderbaren Oper. Wenn man sich vom Roman Georges Rodenbachs bzw. der Korngoldschen Libretto-Adaption löst, geht eigentlich alles Wichtige verloren; vor allem auch die fast Hitchcock-artige Spannung und das Gänsehautfeeling, welches die skurrile Handlung dieser Oper – zumindest in den meisten bisherigen Produktionen – ausmachte. Das heutige Brügge ist eben nicht jenes Bruge-la-Morte, sondern diese Karaman-Geschichte könnte zeitlos auch in Wuppertal, Delmenhost oder Düsseldorf spielen.

Das meist sterile, langweilige und leere Einheitsbühnenbild spielt überwiegend in der Leichenhalle eines Krankenhauses. Und auch wenn sich die Wände später öffnen – wir sehen einen spektakulär arrangierten Autounfall, und zum Glück, das mir verblieb mimt auch noch – überflüssiger Weise – eine zeitgenössische Popband mit Disko-Beleuchtung. So ist die Geschichte wenig ergreifend. Am Ende erklärt Paul noch mal eben zwischen Tür und Angel der Krankenhausempfangshalle, daß er es doch noch einmal versuchen werde. Vermutlich geht er danach ins Büro – nicht in den Freitod. Das Rätsel für den Zuschauer, ob er vielleicht dem Schicksal seiner Ehefrau folgen wird, stellt sich nicht ansatzweise. Figuren, die in das Konzept nicht reinpassen singen aus dem Off. Schlechter, frustrierter und uninspirierter wurde man selten aus einer Toten-Stadt-Inszenierung entlassen. Eine eigentlich tolle Geschichte wurde mal wieder auf dem Altar modernen Regietheaters auch noch im Einerlei zeitgenössischer Requisiten geopfert. Nach dem 25. Mal nerven besonders die Brechtschen Gardinen, mit denen anfänglich selbst kleinste Raumveränderungen auf der Guckkastenbühne kaschiert werden.

Ärgerlich für die hervorragend singende Susanne Serfling sind die unvorteilhaften Kostüme von Fabian Posca, der auch für die Choreografie verantwortlich zeichnet. Überhaupt ist das Frauenbild – Heilige Ehefrau oder laszive Hure- recht simpel gestrickt. Zuviel der vermeintlichen Plattitüden eines Ehedramas heutiger Tage oder jammervoller Soap-Operas. Warum eigentlich dieses Umbiegen der Handlung und diese Gegenwarts-Simplifizierung, wo doch das Original so facettenreich ist und gruselig unter die Haut geht.

Jason Wickson ist ein famoser Sänger für die geradezu teuflisch schwere Partie des Paul – darstellerisch wirkt er regiegezwungen, trotz seiner schon ans Akrobatische grenzenden Fall-Artistik, auf mich aber eher eindimensional. Da ist nichts Mitreißendes oder Ergreifendes, wie z.B. bei James King in der legendären Berliner Korngold-Revival-Inszenierung vom 1983 (Götz Friedrich), welche nach vielen Jahrzehnten der Ignoranz gegenüber diesem Meisterwerk und dem schon vergessenen Komponisten, uns verdientermaßen Korngolds tolle Werke überhaupt erst wieder nahe gebracht hat. So gehört Das Wunder der Heliane zum Beispiel schon fast wieder zum Repertoire-Alltag an guten Bühnen. Gott sei Dank gibt es die alte Fernseh-Aufzeichnung endlich als DVD. Allen Premieren-Jublern sei dieser Meilenstein (Siehe unser Plattentipp am Ende) ans Herz gelegt.

So endet die Geschichte, die anfängt wie Bernsteins A Quiet Place, genauso, wie sie angefangen hat, man kennt das altbekannte Schema. Es schließt einen Bilderbogen, der zwar handwerklich solide gemacht ist – immerhin ist Karamann ja ein ausgebildeter Opernregisseur – aber zumindest beim Rezensenten keinen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Überzeugende Werktreue und psychologische Durchleuchtung der Charaktere fanden nicht statt. Wer die Oper zum ersten Mal sieht wird begeistert sein, aber der Korngold Kenner und Freund wird enttäuscht, denn das musiktheatralische Gruselgefühl, welches auch ein wesentlicher Teil dieser Oper ist, kam leider nicht auf.

Die spätromantische Musik Korngolds hatte Dirigent Johannes Pell mit dem sicher aufspielenden Sinfonieorchester Wuppertal passabel und hochengagiert im Griff. Pell ist ein Ausnahmetalent, der sich vorbildlich einbringt, stets mit den Sängern atmet und auch durch gelegentliche Höchstschwierigkeiten der Korngoldschen Musik seine Musiker sicher und souverän leitet; berechtigte Bravi für ihn und die Solisten. Wie gesagt leider regiemäßig kein großer Wurf, auch wenn das jubilierende Hauspersonal und das Premierenpublikum anderer Meinung waren.

Fazit: für Korngold-Fans ignorabel. Für Erstseher sicherlich ausreichend empfehlenswert. Fürs Repertoire immer eine Bereicherung.

Peter Bilsing, 18.6.2019

Bilder (c) Wil van Irsel

Credits

MARKUS BAISCH Chorleitung

DAVID GREINER Dramaturgie

JASON WICKSON Paul

ANNE MARTHA SCHUITEMAKER Juliette

SUSANNE SERFLING Marietta

IRIS MARIE SOJER Lucienne

SIMON STRICKER Frank / Fritz

SANGMIN JEON Victorin / Gaston (Sänger)

ARIANA LUCAS Brigitta

MARK BOWMAN-HESTER Graf Albert

OPERNFREUND-DVD-TIPP

Mit dieser Inszenierungt wurde 1983 von Götz Friedrich die Korngold-Renaissance eingeläutet. Durch die TV-Übertragung brachte man das Werk einem Millionenpublikum endlich wieder nahe. Die in den Archiven des ZDF zu verrotten drohende Aufnahme wurde jetzt Gott-sei-Dank technisch auf DVD Format überarbeitet wieder zugänglich gemacht. Eine Meisterhand-Inszenierung. P.B.

OPERNFREUND-CD-TIPP

Die Audio-Aufnahme ist das Maß der Dinge. Kollo war damals auf der absoluten Höhe seines Fachwechsels ins große Fach – es war auch die Zeit seiner begnadeten Lohengrins. Und über die anderen braucht man eigentlich keine Worte zu verlieren. Erich Leinsdorf zaubert mit dem damals besten Deutschen Orchester einen Fabel-Korngold, wie es ihn später nie wieder – nicht ansatzweise – gab. Eine Traumaufnahme, die jeder echte Korngold-Fan sein Eigen nennen muß.
P.B.