DVD: „Aida“, Giuseppe Verdi

Live von der Londoner Covent Garden Opera kommt ein Mitschnitt von Verdis Aida. Diese bei dem Label Opus Arte erschienene DVD ist, um das Fazit einmal vorwegzunehmen, geradezu preisverdächtig und uneingeschränkt zu empfehlen! Die szenischen sowie musikalischen und gesanglichen Leistungen gehen eine Symbiose von hohem Glanz ein, die absolute Freude bereitet. Regisseur Robert Carsen leistet in Zusammenarbeit mit Miriam Buether (Bühnenbild) und Annemarie Woods (Kostüme) hervorragende Arbeit. Wie zu erwarten, bevorzugt das Regieteam keine traditionelle Erzählweise mit Elefanten, Pyramiden und dergleichen, sondern hat Verdis Oper ausgesprochen gut modernisiert. Die Handlung spielt sich in der aus verschiedenen Räumen bestehenden Machtzentrale eines Militärdiktators der Gegenwart ab.

Mit großem Geschick stellt Carsen eine Parabel auf zeitgenössische Militärstaaten auf die Bühne und zeigt sich mit seiner ausgeprägten Kritik an fragwürdigen Militärdiktaturen dabei äußerst aktuell. Die Armee dieses zeitgenössischen Militärstaates setzt sich aus Soldaten beiderlei Geschlechts zusammen, die den unterschiedlichsten Nationen angehören. Eine Priesterschaft spielt in Carsens gelungener Inszenierung keine Rolle mehr. Die Priester sind hier Soldaten und ihr Anführer Ramphis nimmt die Rolles eines – noch recht jungen – Generals ein. Radames ist zunächst ein einfacher Soldat, dem später ein enormer Aufstieg beschieden ist. Der ursprüngliche König erscheint hier als moderner Staatsmann in einem eleganten blauen Anzug und mit einer Krawatte. Seine in einem grünen Kleid auftretende Tochter Amneris hat in dem Staat ihres Vaters gehörig mitzureden und ist sogar zeichnungsbefugt. Jedenfalls darf sie für ihn Unterschriften tätigen. Der im grauen Kittel erscheinenden Aida kommt die Funktion einer modernen Kriegsgefangenen zu. Bei Ritorna vincitator senkt sich eine stählerne Wand mit einer riesigen Tür herab, vor der Aida ihrer großen Verzweiflung gehörigen Ausdruck verleiht. Diese Wand sieht man im Folgenden immer wieder bei Szenen- und Bilderwechseln. Die Tempelszene, die nichts Religiöses an sich hat, spielt sich in dem Versammlungsraum der Machtzentrale des Diktators ab. Die Soldaten sitzen auf Bänken und wohnen der Einsetzung des beförderten Radames zum Truppenführer bei. Die ursprünglich religiöse Weihe mutiert bei Carsen zu einem von Ramphis geleiteten militärischen Akt, in der der unsichtbar bleibenden Priesterin keine Bedeutung mehr zukommt. Nach und nach bekommt das Ganze den Charakter einer Waffenweihe, bei der an Radames und die übrigen Soldaten Gewehre verteilt werden.

Zu Beginn des zweiten Aktes wird zur Feier des Sieges über die Äthiopier eine große Gala vorbereitet. Die Festtafel wird gedeckt und mit Blumen geschmückt. Über allem thront das aufgehängte Bild des Diktators. Er ist stets präsent. Der Triumphmarsch beginnt mit einem Staatsbegräbnis für die im Krieg gefallenen Soldaten, das auf einer von Fahnen geschmückten Tribüne stattfindet. Im Hintergrund erblickt man Photos der Kriegsopfer. Anschließend führen einige militärische Akrobaten ihre Künste vor, während weiter hinten Filmaufnahmen von Kriegsbildern über eine Leinwand flimmern. In diesem Ambiente wird Radames vom Diktator für seine Heldentaten ausgezeichnet. Die Äthiopier deutet Carsen als Gegner der Militärdiktatur. Indes erscheinen sie entgegen der Vorlage nicht als Aggressoren. Vielmehr gehören sie der Opposition an, deren Widerstand gegen den Militärstaat als durchaus berechtigt erscheint. Zum Ende des Aktes wird brühwarm die Erinnerung an den Krieg wieder heraufbeschworen. Filme von Kriegsschiffen, Militärflugzeugen, marschierenden Soldaten und einer Feuersbrunst werden gezeigt.

Der dritte Akt spielt sich in einem nüchtern anmutenden Erinnerungsraum ab, der von einer im Hintergrund aufragenden Gedenkmauer dominiert wird. Auf dieser sind die Namen der im Krieg getöteten Soldaten und Soldatinnen eingraviert. Eine Reihe von Soldaten stellt Kränze auf und gedenkt ihrer getöteten Kameraden und Kameradinnen. Im Vordergrund brennt ein Feuer. Amonasro hat inzwischen erneut eine Widerstandsgruppe um sich geschart, die sogar bewaffnet ist. Mit Gewalt wird Aida dazu bestimmt, sich ihnen anzuschließen und sich Radames als Spionin zu nähern.

Der Beginn des vierten Aktes findet erneut in dem bereits bekannten Versammlungsraum mit seinen Bänken statt. Hier wird der Zuschauer zum Zeugen der Auseinandersetzung zwischen Radames und Amneris. Radames trägt hier noch eine elegante grüne Uniform. Zum Kriegsgericht wird er dann allerdings, ganz seines Amtes enthoben, in einem einfachen grauen Kittel geführt. Soldaten erscheinen und nehmen als Geschworene auf den Bänken Platz. Die Szene wird zum Tribunal mit Ramphis als Chefankläger und Amneris als verzweifelter Zuschauerin. Später senkt sich die bereits bekannte stählerne Wand wieder herab, vor der sich die Soldaten aufstellen. Ramphis sammelt die Gerichtsunterlagen wieder ein. Amneris sinkt vor der Tür ohnmächtig zusammen. Radames und Aida beenden ihr Leben in einer dunkelgrün ausgeleuchteten Waffenkammer der Machtzentrale des Diktators, in der zahlreiche Bomben aufbewahrt werden. Am Ende sterben sie einen symbolischen Tod: Zu den Schlusstakten ziehen sie sich, rückwärts gehend, in das Dunkel zurück, während die unsichtbar bleibende Amneris Radames Frieden wünscht. Das ist alles sehr überzeugend und wird von Carsen mit Hilfe einer stringenten, ausgefeilten Personenführung auch spannend und ausgesprochen kurzweilig auf die Bühne gebracht.

Eine gute Leistung erbringt Antonio Pappano am Pult. Bei ihm und dem versiert aufspielenden Orchestra of the Royal Opera House ist Verdis Werk in bewährten Händen. Mit großer Eleganz, vorbildlicher Italianita und emotionalem Duktus weist der Dirigent den gut gelaunten Musikern den Weg durch Verdis Partitur, die er im Übrigen recht flüssig und farbenreich auslotet.

Ebenfalls voll zufrieden sein kann man mit den gesanglichen Leistungen.Durchweg wird vorbildlich im Körper gesungen. Elena Stikhina verfügt über einen bestens fokussierten, farbenreichen, warmen und emotional angehauchten Sopran, mit dem sie sowohl die lyrischen Ergüsse als auch die dramatischen Ausbrüche der Aida mit Bravour bewältigt. Die hohe Tessitura der Nil-Arie macht ihr nicht die geringsten Schwierigkeiten. Neben ihr bewährt sich mit strahlkräftigem, tadellos fundiertem und sogar beim hohen b noch zu einem zarten Pianissimo fähigen Tenor Francesco Meli als Radames. Mit enormem Elan stürzt sich Agnieszka Rehlis in die Partie der Amneris, der sie darstellerisch und stimmlich nichts schuldig bleibt. Sowohl ihr intensives Spiel als auch ihr sonor und sehr gefühlvoll eingesetzter Mezzosopran vermögen nachhaltig zu begeistern. Einen kernigen, profunden Bariton bringt Ludovic Tezier für den Amonasro mit. Große stimmliche Autorität verströmt der den Ramphis prächtig, imposant und schön auf Linie singende Soloman Howard. In dem gefällig intonierenden König von In Sung Sim wächst wohl ein beachtlicher Ramphis nach. Von Francesca Chiejinas geradlinig klingender Sacerdotessa hätte man gerne mehr gehört. Solide gibt Andres Presso den Boten. Auf hohem Niveau bewegt sich der Chorus of the Royal Opera House.

Ludwig Steinbach, 26 . Juni 2024


DVD: Aida
Giuseppe Verdi

Opera House Covent Garden, London

Inszenierung: Robert Carsen
Musikalische Leitung: Antonio Pappano

Opus Arte
Best.Nr.: OA1383D