Lüttich: „La traviata“, Giuseppe Verdi

Lieber Opernfreund-Freund,

eine an Farbenpracht kaum zu überbietende Kostümschlacht präsentiert die Opéra Royal Wallonie-Liège zum Start der neuen Spielzeit in ihrer Traviata. Und auch über die optische Opulenz hinaus gelingt dem US-amerikanischen Opernregisseur Thaddeus Strassberger eine interessante Interpretation des Verdi-Dauerbrenners.

© J. Berger – ORW Liège

Violetta ist bei ihm eine Varieté-Sängerin, ihre Welt ist üppig mit Straußenfedern und Pailletten geschmückt. Dazu holt Kostümbildner Giuseppe Palella alles auf die Bühne des Lütticher Opernhauses, was die Klamottenkiste hergibt. Um sämtliche Details der originellen und variantenreiche Kostüme zu erfassen, bräuchte es wohl mehr als einen Besuch der Produktion. Da werden von Strassberger, der auch für Bühne und Licht verantwortlich zeichnet, allenthalben Lichterbögen von der Decke gelassen, Showtreppen herein- und wieder hinausgeschoben, da senken sich Schminkspiegel auf die Bühne und machen sie im Handumdrehen zum Backstage-Bereich und aufwändige Dekors gestalten die Kulisse immer wieder neu. Und doch gerät die üppige Staffage nicht zum Selbstzweck.

© J. Berger – ORW Liège

Im letzten Bild liegt das Varieté-Theaters in Trümmern, Violetta stirbt zwischen herumliegenden Kostümen und Kronleuchtern, ihre Träume von einem bürgerlichen Glück sind zerplatzt. Das erste Bild des zweiten Aktes verlegt Thaddeus Strassberger in einen amerikanischen Bungalow der 1950er Jahre samt Einbauküche und Kühlschrank, steckt die Protagonisten in Polyesterpullunder und Petticoats und verdeutlicht durch die für ihre Bigotterie bekannte Umgebung die Doppelmoral der Situation, in der der Vater die unpassende Geliebte des Sohnes loszuwerden versucht.

© J. Berger – ORW Liège

Die musikalische Seite des Abends tut ein Übriges, um mich gehörig schwärmen zu lasen. Die russische Sopranistin Irina Lungu scheint mir im ersten Akt als kokette Verführerin stimmlich fast schon ein bisschen zu schwer, spielt aber im zweiten und dritten Akt ihre Trümpfe dermaßen gekonnt aus, spielt so packend und singt mit einer solchen Leidenschaft, dass ich am Ende gebannt im Sessel sitze. Ihr zur Seite steht ein ebenso stimmgewaltiger Dmitry Korchak als Alfredo, der nicht nur keine Spitzentöne scheut, sondern auch darstellerisch überzeugt. Der Italiener Simone Piazzola verkörpert den Giorgio Germont eingangs mit eiskalter Härte, um seinem eindrucksvollen Bariton in der zweiten Hälfte des zweiten Aktes und im letzten Bild eine gehörige Portion Sanftmut beizumischen und so ebenso überzeugend zur gütigen Vaterfigur zu werden.

© J. Berger – ORW Liège

Der von Denis Segond betreute Chor hat viel zu tun und singt und speilt hervorragend. Dazu wird die Bühne immer wieder von Balletttänzerinnen und -tänzern belebt (Choreographie: Antonio Barone). Am Pult gelingt dem italienischen Dirigenten Giampaolo Bisanti eine packende Traviata-Interpretation voller Esprit, die in den richten Momenten genau das Maß an Sentiment findet, um nicht ins Kitschige abzurutschen.

Kurz: überzeugender und kurzweiliger kann man eine Traviata wohl kaum präsentieren – ein großes „Bravo!“ für alle Beteiligten. So kann die Spielzeit gerne weitergehen.

Ihr
Jochen Rüth

20. September 2024


La traviata
Oper von Giuseppe Verdi

Opéra Royal de Wallonie-Liège

Premiere: 13. September 2024
besuchte Vorstellung: 17. September 2024

Inszenierung: Thaddeus Strassberger
Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti
Orchestre d‘Opéra Royal de Wallonie-Liège

Weitere Aufführungen: 21. und 24. September 2024
Trailer