Essen: „Die Odyssee“

UA-Premiere 18.April 2015

als tänzerisches Ereignis choreographiert von Patrick Delcroix

"Für mich ist der Stoff zeitlos. Er hat auch nach 3000 Jahren noch viel zu erzählen, viele Wahrheiten mitzuteilen. Vor allem das Innenleben der Charaktere, ihre Beziehungen untereinander und die intimen Momente und Gefühle, die sie miteinander teilen, machen das Stück universal und zu einer spannenden Vorlage für ein zeitgenössisches Ballett." (Patrick Delcroix)

Patrick Delcroix spiegelt in seiner Choreographie Stationen der Irrfahrten des Odysseus, indem er den tänzerischen Focus auf dessen Begegnungen und Abenteuer mit verschiedenen Frauen setzt. Er zeigt einen Handlungsbogen vom Abschied bis hin zur Rückkehr nach zwanzig Jahren Abwesenheit wieder nach Ithaca zu seiner Ehefrau Penelope. Elisa Fraschetti (Penelope) drückt in Tanz und Bewegung genau jede Innigkeit der liebenden und gattentreuen Ehefrau aus, die sicherlich Homer schon im Sinn hatte. Schwerpunkte in den tollen Bildern stellen nacheinander seine Beziehungen zu Kirke ,Skylla und Kalypso dar.

Besonders harmonisch im Pas de Deux ist Odysseus Verhältnis mit der Zauberin Kirke gezeichnet. Julia Schalitz tanzt diese Kirke umgarnend, expressiv und ausdrucksstark – sehr passend das schwarze kurze Kleid.

Kalypso (Anna Khamzina) im langen, roten symbolstarken Kleid durchbricht die Harmonieversuche mit eher eckigen wegdrängenden choreografischen Bewegungen.

Dabei zeichnet der Choreograph in einem genialen Kunstgriff Skylla gleich in sechsfacher Gestalt, auch weil die Begegnung des Odysseus mit ihr nicht so intensiv war, wie zu den anderen Frauen. Bildnerisch wird das Ganze aufgrund der Vermehrfachung sehr trefflich, eher als quasi Generalangriff auf Odysseus und seine Gefährten zusammen gezeichnet.

Es gibt öfter parallele Handlungsebenen mit Rückgriffen auf seine Mutter Antikleia (Yulia Tsoi) und die Situation seiner Frau Penelope auf der Heimatinsel Ithaca.

Grandios ist Delcroixs sehr unterschiedliche Annäherung der verschiedenen Frauen an Odysseus in tänzerische Bewegung umgesetzt.

Großartig immer wieder als helfende Lenkerin Athene einfühlsam und bestimmend getanzt von Michelle Yamamoto

Äolus (Dmitry Khamzin) kraftvollen Auftritt mit passender Musik bricht überraschend wie Orkan in die vorher recht langsame Erzählweise ein. Odysseus (der allüberragende Tomas Ottych) arrangiert sich mit dem Windgott, während Odysseus´ Gefährten – Liam Blair, Davit Jeyranyam, Simon Schilgen, Wataru Shimizu, Denis Untila – eher den tänzerischen Chor, eine Art roter Faden durch die Irrfahrten des Helden, bilden.

Grandios dargestellt auch die zweite Männergruppe (Breno Bittencourt, Armen Hakobyan, Moises Leon Noriega, Igor Volkovskyy) der Freier (beide Gruppen sterben am Ende, wie wir ja von Homer wissen) wobei die Überschwänglichkeit ersterer auch im Tanz sehr gut arrangiert ihren Ausdruck findet. Ein stetes ziellos lockeres Leben im Augenblick., wo hingegen die Freier im Tanz eher drängend und aufdringlich in korrekter Kleidung (Anzug) wirken.

Telemachus´ (Viacheslav Tyutyukin) Suche nach seinem Vater wird nicht nur im Tanz, sondern auch visuell beinah cinematographisch in Bühnenbild und Licht visualisiert.

Sehr gut beobachtet und am Rande eingebracht ist das langsame Auflösen der Frisur Penelopes als symbolische Handlung; zunächst löst die Schwiegermutter Antikleia (Julia Tsoi) ihren hochgesteckten Zopf. Später im Tanz mit den Freiern erscheint Penelope mit dann entflochtenem Zopf -Ausdruck des Zweifels ob der Rückkehr ihre Mannes.

Die choreografierten Bilder sind derartig vielschichtig ausziseliert, daß man das nur gerade 80 minütige pausenlose Ballett eigentlich unbedingt noch einmal sehen müsste, um alle Feinheiten zu begreifen und wahr zu nehmen.

Die moderne minimalistische Musik*** ist nicht nur exzellent ausgesucht und passend für Situationen verwendet, sondern wird auch höchst dynamisch differenziert über die exzellente Tonanlage des Aalto eingesetzt. Grandios auch der Einsatz auch der situative von Klangeffekten wie Meeresrauschen, Vogelgezwitscher und Donner.

Bühne und Licht von Kees Tjebbes sind allein schon ein Kunstwerk in höchster Vollendung.

Die Kostüme (Bregje von Balen) charakterisieren situationsbedingt überaus treffend und stilvoll. Was für ein tolles Produktionsteam!

Fazit:

Hier tanzt eines der besten Ensembles Deutschlands, wenn nicht sogar international, welches qualitativ weit über anderen ggf. vergleichbaren Häusern steht. Alle Tänzer gehen voll in ihren Rollen auf und verkörpern diese mit derart großer exemplarischer Ernsthaftigkeit und Hingebung, daß der Tanzabend nicht nur zum Augenschmaus geriert, sondern zum tänzerischen Ereignis.

Peter Bilsing 19.4.15

Bilder Bettina Stöß

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