Internationale Opernstars sind in Flensburg selten zu Gast. Doch das Schleswig-Holsteinische Landestheater beheimatet einige vielversprechende Talente. Eines davon ist die aus Wejherowo bei Danzig stammende lyrische Sopranistin Małgorzata Rocławska.
Seit der Spielzeit 2021/22 ist sie Mitglied dieses nördlichsten Theaters im deutschsprachigen Raum und wird dem Ensemble auch in der kommenden Saison weiterhin angehören. Ich hatte sie in meiner persönlichen Spielzeitbilanz für den Opernfreund in der Saison 2023/24 sowohl in der Kategorie beste Gesangsleistung Hauptpartie (Violetta in La Traviata) als auch beste Gesangsleistung Nebenrolle (2. Niece in Peter Grimes) aufgeführt.

Die Familie hat Musik im Blut
Musik spielte in der Familie dieser Sängerin schon immer eine zentrale Rolle. Ihre Eltern sind beide Chorleiter, und eine ihrer Schwestern ist Pianistin, Dirigentin und Komponistin. Ihre jüngere Schwester spielte Klarinette, entschied sich jedoch später für ein Jurastudium.
„Ich wollte in meiner Jugend eigentlich einen ganz anderen Weg einschlagen. Medizinische Analytik oder Pharmazie haben mich sehr interessiert. Doch durch meine frühen musikalischen Aktivitäten wurde mir ein Gesangsstudium nahegelegt“ – und so ist es dann auch gekommen.
Studium in Danzig und Stuttgart
Małgorzata Rocławska begann ihr Studium an der Stanisław-Moniuszko-Musikakademie in Danzig, bevor sie im Rahmen des Erasmusprogramms an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart wechselte. Der Beginn in Deutschland war schwierig, da die junge Polin zu diesem Zeitpunkt kaum Deutsch sprach.
„Das war eine große Herausforderung, aber ich bin ihr offen begegnet, weil ich mich unbedingt weiterentwickeln wollte – sowohl als Sängerin als auch als Künstlerin. Ich legte großen Wert darauf, neue Sprachen und eine andere Kultur kennenzulernen. Bewusst meine Komfortzone zu verlassen, war eine wertvolle Erfahrung!“
Schließlich folgte der Masterstudiengang Gesang mit Schwerpunkt Oper bei Carmen Mammoser und ab 2018 bei Professorin Ulrike Sonntag. Darauf schloss sich ein einjähriges weiterbildendes Studium Certificate of Advanced Studies (CAS), in dem die künstlerische Vertiefung des Masterstudiums im Mittelpunkt stand, an.
Auch heute unterstützt Ulrike Sonntag die Flensburger Sängerin weiterhin: „Entfernungen lassen sich leider nicht ohne Weiteres überbrücken. Die Stimme ist ein äußerst sensibles Instrument, und es ist wirklich schwierig, per Zoom mit einer Lehrkraft zu arbeiten. Doch manchmal erfordern die Umstände Kompromisse – sei es aufgrund von Corona oder eines vollen Terminkalenders. Wenn es mir nicht möglich ist, zu Frau Professorin Sonntag zu fahren, bleibt nur der Online-Unterricht, und ich bin dankbar, dass es diese Option gibt. Dabei ist es eine große Hilfe, dass meine Professorin meine Stimme sehr gut kennt. Dennoch kann selbst ein gutes Mikrofon den Unterricht vor Ort niemals vollständig ersetzen.“

Von Süddeutschland an die dänische Grenze
Bereits während ihres Studiums trat die Sopranistin im Wilhelma Theater Stuttgart auf, unter anderem in Kurt Weills Street Scene, Henzes Elegie für junge Liebende und als Fiordiligi in Così fan tutte. Preise wie der 2. Platz beim 12. Internationalen Wettbewerb für Liedkunst Stuttgart und die Finalteilnahme beim Bundeswettbewerb Gesang führten zu ersten Vorsingen. Noch während der Anfangszeit ihres Engagements in Flensburg beendete sie ihr CAS-Studium in Stuttgart.
„Ich arbeite gerne hier im Norden an diesem Haus, weil es mir viele Möglichkeiten eröffnet. Zudem schätze ich die gute und inspirierende Arbeitsatmosphäre. Ein großer Vorteil eines kleineren Hauses ist, dass mir zahlreiche für mein Repertoire wichtige Fachrollen anvertraut wurden. So hatte ich die Gelegenheit, wundervolle und herausfordernde Partien zu singen, darunter Violetta in La Traviata, Pamina in Die Zauberflöte, Romilda in Händels Serse, Marie in Die verkaufte Braut, Gretel in Hänsel und Gretel sowie Stella Kowalski in Previns A Streetcar Named Desire.
Die Arbeit auf der Bühne fordert mich als Sängerin nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch immer wieder heraus – sei es, in einer Kinderoper die Rolle eines kleinen Mädchens zu verkörpern oder eine psychologisch so vielschichtige Figur wie Stella Kowalski zu durchdringen.
Zudem spielen wir hier ein besonders breit gefächertes Repertoire, das viel Wandlungsfähigkeit und große Stilsicherheit erfordert – von Barock bis Moderne. Neben Oper und Operette gehören auch Musicalproduktionen sowie Konzerte, etwa das Brahms Requiem, und Liederabende zu meinen Aufgaben.“
Traumrollen
In Flensburg feierte Małgorzata Rocławska als Violetta in La Traviata in der vergangenen Spielzeit einen großen persönlichen Triumph. „Die Vorstellungen waren ausverkauft und es gab sogar eine Warteliste.“ Für die Partie bereitete sie sich intensiv vor, unter anderem in einem Meisterkurs bei Ulrike Sonntag in Italien.
Zurzeit probt die Sängerin Sister Rose in Jake Heggies Dead Man Walking. Premiere wird Ende März in Flensburg sein.
Zukünftig würde sie gerne wieder mehr Mozart singen und auch liebend gerne weitere Liederabende geben. Als zukünftige Traumrollen nennt sie Micaela in Carmen und auch Mimi in La Bohème.

Theateralltag am Landestheater
Viel Zeit verbringen die Künstler des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters im Bus, denn Abstecher gehören zum Alltag. Von Flensburg im äußersten Norden bis nach Brunsbüttel als südlichster Spielstätte kann die Fahrt leicht zwei Stunden pro Strecke in Anspruch nehmen. „Wir sind das größte Landestheater Deutschlands, und obwohl die Reisen mit Anstrengungen verbunden sind und einige Spielorte eine lange Busreise erfordern, ist es wundervoll, das Theater zu den Menschen in ganz Schleswig-Holstein zu bringen und zu erleben, mit welcher Freude und Begeisterung es aufgenommen wird. Das macht die Mühen mehr als wett.“
Die menschliche Stimme als Instrument des Jahres
Die menschliche Stimme wurde in Deutschland zum Instrument des Jahres 2025 erklärt. Ihr faszinierendes Zusammenspiel aus Muskeln, Stimmlippen und Kehlkopfknorpel macht sie unverwechselbar.
„Ich muss mein Instrument sorgfältig pflegen und darauf achten, dass meine Stimme gesund bleibt und in bestmöglichem Zustand ist – schließlich ist sie unersetzlich! Deshalb ist es unerlässlich, achtsam mit ihr umzugehen, auf sie zu hören und diszipliniert zu leben und zu üben.
Jede Rolle stellt andere Anforderungen an die Stimme und erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Leider kämpfen immer wieder Sängerinnen und Sänger mit Stimmproblemen oder -krisen. Glücklicherweise bedeutet das nicht zwangsläufig das Ende einer Karriere. Mit guter Technik und gezielter Arbeit lassen sich viele dieser Schwierigkeiten überwinden. Dennoch fürchtet jede und jeder von uns solche Krisen – sie sind ein großes Risiko und können existenziell bedrohlich sein.
Ich selbst bin bisher erfreulicherweise davon verschont geblieben – und ich hoffe sehr, dass es so bleibt!
Marc Rohde, Februar 2025