Luzern: „Béatrice et Bénédict“

Premiere am 23.01.2016

Auch in seiner zwölften und letzten Spielzeit präsentiert Intendant Dominique Mentha dem Luzerner Publikum selten auf den Spielplänen anzutreffende Werke, positioniert sein Haus als Entdeckertheater und als Theater für Neugierige. Aus seinem letzten Spielplan ragen u.a. Brittens ALBERT HERRING, John Blows VENUS UND ADONIS, Tippetts A CHILD OF OUR TIME und eben Berlioz‘ BÉATRICE ET BÉNÉDICT hervor. Dieses letzte grosse Werk, welches der französische Meister der Romantik vollendet hatte, besticht durch seine lichte Schwerelosigkeit, seine zauberhafte, leicht melancholisch angehauchte Poesie. Und gerade bei diesem Werk mit seinen „nur“ sieben Gesangssolisten kommt ein anderer Aspekt von Menthas Leistung als Intendant zum Tragen: Die an den meisten Opernhäusern so schmerzhaft selten gewordene Pflege des Ensembles.

Auch in dieser Beziehung kann das Luzerner Theater auf ein sehr erfolgreiches Jahrzehnt zurückblicken und auf das Erreichte stolz sein. Diese Pflege des Ensembles schafft eben auch eine ganz besondere Beziehung zwischen KünstlerInnen und Publikum, man nimmt Anteil an der Entwicklung der Sängerinnen und Sänger, findet Identifikationsmöglichkeiten, ist gespannt darauf, sie in immer wieder neuen Rollen, mit neuen Herausforderungen zu erleben. Bei BÉATRICE ET BÉNÉDICT erfreut man sich an den schönen Stimmen der schon länger am Haus tätigen Sänger Flurin Caduff (Don Pedro), Todd Boyce (Claudio), Utku Kuzuluk (Bénédict), Szymon Chojnacki (Somarone), den wunderbar harmonierenden Stimmen der Sängerinnen Carla Maffioletti (Héro), Jutta Maria Böhnert (Béatrice) und des neuen Ensemblemitglieds Eunkyong Lim (Ursule). Den musikalischen Höhepunkt der 15 Musiknummern stellt zweifelsohne das Nocturne am Ende des ersten Aktes dar. In dieser „Nuit paisible“ verschmelzen die beiden kostbaren Timbres von Carla Maffioletti und Eungkyong Lim zu purem Wohlklang, traumhaft schön und zart gerät diese Rousseausche Evokation der Natur. Dass auch die resolute Béatrice zu Kantilenen von tiefer Empfindsamkeit fähig ist und unter der rauen Schale ein weicher Kern schlummert, demonstriert Jutta Maria Böhnert in ihrer grossen Arie Que viens-je d’entendre? im zweiten Akt. Die Stimme fliesst bruchlos mit perfekter Ausgeglichenheit, wunderschön phrasierend. Die abgerundete Tongebung und die reichhaltige Ausdruckspalette berühren und begeistern.

Utku Kuzuluk ist ein herrlich lausbübischer, etwas tolpatschiger Bénédict. Mit seinem hellen, manchmal etwas zu schneidend laut eingesetzten, aber in allen Lagen herrlich direkt und sicher ansprechenden Tenor meistert er die Partie problemlos, spielt mit erfrischendem Witz und überzeugt mit seiner Mimik. Sehr gut gelingt ihm das Rondo Ah, je vais l’aimer im ersten Akt. Mit grossem Spielwitz und wunderschön geführten, markanten Stimmen wissen Todd Boyce als Claudio, Flurin Caduff als Don Pedro und Szymon Chojnacki als eingebildet vertrottelter Kapellmeister Somarone zu gefallen. Das phantastisch gut gelungene Trio der Männer Boyce, Kuzuluk und Caduff Me marier? Dieu me pardonne im ersten Akt findet seine Entsprechung im zweiten Akt mit dem Trio Je vais d´un coeur aimant der Damen Maffioletti, Böhnert und Lim, in welchem die dynamisch fein abgestufte Balance der unforcierten Stimmführungen zu einem Klang voller Raffinesse und Eleganz führt. Mit seinem agilen Bassbariton sorgt Szymon Chojnacki als Somarone für erheiternde Momente, wenn er den kleinen, aber mit ausgesprochenem Wohlklang singenden Chor des Theaters Luzern (Einstudierung: Mark Daver) zur Interpretation seiner Kompositionen zu motivieren versucht. Am Pult des Luzerner Sinfonieorchesters, das wunderschöne Stimmungen (vor allem im Wechselspiel der Streicher und der Holzbläser) aus dem Graben zaubert, steht Boris Schäfer und sorgt mit seinem vorwärtsdrängenden, zupackenden, aber auch die melancholischeren Momente schön auskostenden Dirigat für einen musikalisch abwechslungsreichen Gesamtklang. Als Opéra Comique lebt das Werk natürlich auch von den Dialogen, da nur sie die Handlung vorantreiben. In Luzern hat man sich klugerweise dafür entschieden, die Dialoge deutsch sprechen zu lassen, die Arien und Ensembles hingegen im französischen Original zu belassen. Der Dramaturg Christian Kipper hat dazu eine witzige und spritzige Dialogfassung erstellt, welche die ZuschauerInnen ab und an zum Schmunzeln bringt.

Witzig ist auch der Kostümmix von Nele Ellegiers: Vom spanischen Grande (Don Pedro) über die an Audrey Hepburns Kostüme in den Sechzigerjahre-Filmen erinnernde Héro, den grotesken Stummfilmkomiker (Somarone) bis zur matronenhaften Cio Cio San (Ursule) und der maskulin und mit Kurzhaarfrisur ausgestatteten Béatrice. Etwas steif wirkt die Inszenierung dennoch. Das liegt weniger an der Personenführung durch die Regisseurin Béatrice Lachaussée, welche von viel Einfallsreichtum zeugt, sondern an der allzu karg geratenen Bühnenausstattung von Werner Hutterli. In den nackten schwarzen Bühnenraum hat er eine Menge nüchterner, hohler Holzquader gestellt, welche anscheinend das Labyrinth eines französischen Gartens darstellen sollten, dessen Muster aber vom Parkett aus nicht zu erkennen ist. Immerhin geraten die Holzelemente dann im zweiten Akt etwas durcheinander, wenn das Chaos der Gefühle überhandnimmt. Trotzdem bleibt festzuhalten: Weniger ist nur manchmal mehr, nicht immer!

Kaspar Sannemann 27.1.16

Bilder (c): Ingo Hoehn, Luzerner Theater

Weitere Aufführungen

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