Zürich: „Siegfried“, Richard Wagner

„Siegfried“ wurde gestern Abend im Opernhaus Zürich zu einem überragenden Triumph der Stimmen. Sowohl Camilla Nylund in der Partie der Brünnhilde als auch Klaus Florian Vogt als Siegfried debütierten mit rauschendem Erfolg in ihren anspruchsvollen Rollen. Während Klaus Florian Vogt bereits zweieinhalb lange Akte lang auf der Bühne gestanden und seine Kräfte so gut eingeteilt hatte, dass er auch den Schlussteil strahlend und souverän bewältigen konnte, durfte Camilla Nylund ihren wunderschön und fein geführten, und trotzdem stets mit unforcierter Durchschlagskraft auftrumpfenden Sopran erst in dieser letzten halben Stunde präsentieren. Camilla Nylund meisterte die gefürchteten Tücken dieses Auftritts, der die Sängerin ohne Anlaufzeit in höchsten Lagen direkt in die „Arena“ treibt, mit Bravour! Wunderbar zeigte sie die Berg- und Talfahrt ihrer Gefühlslage, der Freude über die Erlösung aus dem langen Schlaf, gepaart mit berechtigten Zweifeln, Ängsten, Verunsicherungen. Am Ende aber ist es dann doch sie, welche die „Führung“ übernimmt, die Tante, welche ihren Neffen in das Geheimnis der körperlichen Liebe einführt, Siegfried aufs Bett wirft und klar den Gang des Liebesspiels bestimmt.

(c) Monika Rittershaus

Der Regisseur Andreas Homoki hat das wunderbar erfrischend und auch behutsam inszeniert. Die Personenführung an diesem Abend war vorzüglich, einfühlsam und – wo es passte – auch durchaus lustig bis augenzwinkernd, meisterhaft. Den Siegfried zeigt Homoki passend als aufmüpfigen Pubertierenden, mit all den in diesem Alter natürlichen Zweifeln, Rebellionen, Selbstüberschätzungen – und auch Ängsten. Klaus Florian Vogt setzte das wunderbar stimmig und glaubhaft um, seine wunderbar reine, sorgsam austarierte Tongebung war einfach ein Traum! Er brauchte in keinem Moment zu stemmen oder zu brüllen, sein agiler Tenor floss mit einer unglaublichen, bruchlosen Selbstverständlichkeit und wirklich exquisiter Schönheit und Rundung der Stimme. Die langen, wunderbar auf dem Atem gesungenen Phrasen und die sich unendlich windenden Legato-Bögen waren ein Ereignis!

Die Wände der Zimmerfluchten der Gründerzeitvilla auf der Drehbühne, in welcher Homoki und sein Ausstatter Christian Schmidt diesen Ring verorten, sind nun schwarz, fantastisch ausgeleuchtet vom Lichtdesigner Franck Evin, welcher die Räume in eine fahles Licht von oben setzt, dabei wunderbare Konturen von übergroßen, umgekippten, verschlissenen Möbelstücken und Zierleisten aufschimmern lässt. Das hat etwas passend Unheimliches an sich. Die Männer (Mime, Wanderer-Wotan, Alberich, Fafner) sind allesamt als schwarze Gestalten dargestellt, einzig beim Wanderer kommt unter dem schwarzen Umhang ein Weißes Hemd zum Vorschein, wenn er im dritten Akt seinen Mantel ablegt, noch einmal den mächtigen Göttervater geben will – und gegen seinen Enkel Siegfried kläglich verliert. Beim Naturburschen Siegfried hat Christian Schmidt in die Dreiviertel-Hose und das Wams Grüntöne einfließen lassen.

Die gelungene Kostümdramaturgie setzt für die drei weiblichen Rollen Weiß ein: Sowohl das Waldvöglein (keck, fast mütterlich umsorgend und mit silbernem Klang: Rebeca Olvera) mit dem Siegfried so liebevoll in die Federn nehmenden Kostüm, als auch Urmutter Erda (mit kernig rauer Altstimme: Anna Danik) und Brünnhilde sind weiß strahlende Lichtgestalten, die effektvoll mit den abgründigen Machenschaften der Schwarzalben Mime und Alberich kontrastieren. Wobei der Mime nicht nur als bösartige, hinterlistige (Juden-) Karikatur gezeichnet wird. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke zeigt auch die empfindsamen Seiten des Zwergs (von daher auch die riesigen Möbel in der Neidhöhlen-Villa), der – natürlich aus egoistischer Gier, aber immerhin – den Siegfried als Baby vor dem Hungertod im Wald gerettet und ihn bis zur nun erfolgten Ablösung in der Pubertät um- und versorgt hatte. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke singt die immense Partie mit klarer Diktion, nie krächzend oder exaltiert, intelligent gestaltend. Die Szenen zwischen ihm und dem Siegfried von Klaus Florian Vogt sind äußerst unterhaltsam, manchmal geradezu komisch. Dank der Personenführung Homokis, der genau auf Text und Anweisungen Wagners (das Schmieden des Schwerts) eingeht, ohne in verstaubten Naturalismus zu verfallen, wird das alles nie langatmig, weckt beständiges Interesse.

Mimes Bruder Alberich verleiht Christopher Purves starkes Profil. Sein rauer Bassbariton passt wunderbar zum dunklen Charakter des nach dem Ring gierenden Nachtalben. Wenn Siegfried schließlich seinen Ziehvater Mime ermordet, zeigt der Alberich Gänsehaut erregende hämische Freude über den Tod des Bruders. Das alles spielt sich vor der Höhle (Zimmerflucht) Fafners ab, der als Drache den Nibelungenschatz hütet. Homoki bringt einen gigantischen, Rauch speienden Drachen leibhaftig auf die Bühne (bewegt wird er von Marius Kob), auch hier mit schelmischem Augenzwinkern, aber auch kindlicher Freude am Phantastischen, Märchenhaften. In diese Kategorie fällt auch der junge Bär, den Siegfried bei seinem ersten Auftritt aus dem Wald anschleppt. Dominique Misteli im Ganzkörper-Bärenkostüm ist einfach nur zum Liebhaben putzig! Doch zurück zu den singenden Darstellern: David Leigh verleiht dem Fafner erst aus dem Off, dann, nachdem er den noch atmenden Körper des verwundeten Riesenwurms verlassen hat, auch leibhaftig auf der Bühne sonore, grummelig orgelnde Basstöne. Tomasz Konieczny ist als Wanderer eine Klasse für sich, stimmlich mit unendlichen Ressourcen bestens disponiert, darstellerisch top! In jedem Akt hat er zentrale Auftritte. Sein „Nur wer das Fürchten nicht gelernt … “ im ersten Akt fährt nicht nur in Mime ein wie ein Blitz. Im zweiten Akt besticht er mit Souveränität in der Irreführung Alberichs, im dritten schließlich gehen seine Wala-Rufe und der nicht zielführende Dialog mit Erda unter die Haut. In seiner letzten Szene will er sich nochmals mächtig aufspielen, doch der Gott hat ausgedient, sein Enkel übernimmt. Konieczny gestaltet all dies mit überragender musikalischer Verdeutlichung des Textes.

(c) Monika Rittershaus

Wagner hatte seine Arbeit an Werk ja mitten im zweiten Akt für zwölf Jahre unterbrochen. Wie sehr sich seine Behandlung des Orchesters in dieser Zeit verändert und verdichtet hatte, machten Gianandrea Noseda und die Philharmonia Zürich im Vorspiel des dritten Aktes und im Übergang zur Schlussszene deutlich: Da waren Klangwogen zu hören, mit einer Plastizität und einer Überwältigungskraft ausgeführt, die einen wie in einem Strudel mitrissen, ein wahrer orchestraler Orgasmus. Auch in den beiden ersten Akten brillierte die Philharmonia Zürich mit wunderbaren Farben, klangmalerischen Feinheiten und subtiler dynamischer Abstufung. Noseda schlug zeitweise ziemlich forsche Tempi an, welche die Sänger oftmals an den Rand der (noch verständlichen) Bewältigungsmöglichkeiten der Textfluten brachten. Das hatte jedoch auch den Vorteil, dass diese Aufführung immer spannend, unterhaltsam und fokussiert blieb.

Auch wenn ich das Konzept von Homoki/Schmidt beim „Rheingold“noch mit etwas Skepsis begleitet hatte, beginne ich nun, diese Betrachtungsweise der Tetralogie Wagners immer mehr zu mögen. Man ist echt gespannt, wie es in der nächsten Saison weiter geht.

Kaspar Sannemann 8. März 2023


Siegfried
Richard Wagner

Opernhaus Zürich

Besuchte Premiere 5. März 2023

Regie: Andreas Homoki
Dirigat: Gianandrea Noseda
Philharmonia Zürich