Dresden: „Arabella“, Richard Strauss

Fünf Jahre nach der Uraufführung des Rosenkavalier-Erfolgs regte sich bei Richard Strauss (1864-1949) der Wunsch nach einem realistischen Lustspiel mit mehr lyrischem Inhalt. Erst sieben Jahre später bat er seinen Erfolgs-Librettisten Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) um „ einen zweiten Rosenkavalier ohne dessen Fehler und Längen“.

Hofmannsthals aus der Tradition des Wiener Volkstheaters geschöpfte fragmentarische Szenen „Der Fiaker als Graf“ erwiesen sich als Opernsujet nicht tragfähig, so dass der Schriftsteller auf sein nach Moliers Komödie „Le Dépit amoureux“ 1910 geschriebenes Lustspiel „Lucidor“ zurückgriff und beide Stoffe verwob: Lucidor, eigentlich Lucile, war das Kind einer verarmten russischen Frau von Murska, das als Knabe gehalten wird, weil es sich mit nur einer Tochter in einem Wiener Hotel sparsamer lebte. Im „Lucidor“ war die ältere Schwester Arabella des Titelhelden nur eine Randfigur und recht unsympathisch charakterisiert. Auch blieb offen, ob die Verkleidete das Geld tatsächlich heiratete. Der spätere Handlungsfaden der Oper, einschließlich der Liebesnacht mit vertauschten Partnern, war bereits vorgegeben.

© Klaus Gigga

Die Zusammenarbeit des kultivierten, hochgebildeten und feinsinnigen Dichters samt seines hohen literarischen Anspruchs mit dem harschen, fordernden Komponisten sowie dessen begrenzter literarischer Kompetenz war oft schwierig, folglich auch durch Kontroversen und Missverständnisse geprägt. Hugo von Hofmannsthal entwarf das Libretto im Jahresverlauf 1928. Im ersten Halbjahr 1929 wurde mit der Überarbeitung der Rohfassung begonnen, ohne dass Strauss mit den Ergebnissen der Änderungen und Umarbeitungen zufrieden zu stellen war. Erst am 10. Juli 1929 signalisierte der Komponist seine Billigung der Fassung des ersten Aktes. Der Dichter hat diese Zustimmung offenbar nie erhalten, weil Hofmannsthal in der Folge des Suizids seines Sohnes Franz einen Schlaganfall erlitten und inzwischen verstorben war.

Der Dichter hatte versucht, der Komödie mit einer allgemeingültigen weltanschaulichen Leitidee einen tieferen Sinn zu vermitteln. Mit der Kartenaufschlägerin als Repräsentantin von Weltgesetzlichkeiten versetzte er die Figuren in das Ordnungsgefüge eines großen Welttheaters, in dem die Weltordnung nur zur Schau gestellt war. Die Verlegung der Handlung auf einen Faschings-Dienstag sollte die Situation in eine profane Welt und in die Sphäre des Sakralen, Himmlischen teilen.

Vorgeblich aus Gründen der Achtung vor Hofmannsthal unterband Strauss weitere Vervollkommnung und vertonte letztlich eine ältere nachgelassene Skizzenfassung. Der Ablauf gestaltete sich damit operettenhafter und war von dramaturgischen Schwächen begleitet. Die falschen Identitäten, Wendungen in der Handlung, vermeintliche Missverständnisse, sowie die Doppelhochzeit waren offenbar dem Wunsch des von den Turbulenzen der Zeit zermürbten Komponisten nach einem glücklichen Ende, geschuldet. Nur dieser Stimmung des Richard Strauss kann diese, selbst für ein aus der Zeit gefallenes Bühnenwerk, Unmöglichkeit hervorgebracht haben, dass in einem Hohelied auf die „Liebe auf den Ersten Blick“ sich mit dem Happy End für die füreinander Geschaffenen auch alle wirtschaftlichen Probleme auflösen. Die Kartenaufschlägerin bleibt als Repräsentantin von Weltgesetzlichkeiten nur mit ihren Vorhersagen präsent.

© Klaus Gigga

Die Hoffnung des Tonschöpfers auf eine Wiederholung des Rosenkavalier-Erfolgs blieb unerfüllt. Die Widmungen der Partituren an den legendäre Dresdner Generalintendanten der Jahre 1921-1933 Alfred Reucker (1868-1958) und an den für die Uraufführung vorgesehenen Dirigenten Fritz Busch (1890-1951) ließ Strauss wegen deren Amtsenthebung nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten noch vor der Uraufführung der „Arabella“  am 1. Juli 1933 streichen.

Ihre Inszenierung verlegte Florentine Klepper in das Wien der Jahre vor dem ersten Weltkrieg, als Siegmund Freud (1856-1939), Arthur Schnitzler (1862-1931) und Rainer Maria Rilke (1875-1926) innere seelische Empfindungen zum gesellschaftlich Wichtigsten hochstilisierten, aber auch die Sexualität aus der heuchlerischen Schmuddel Ecke herausholten. Ihr Versuch, die Geschichte geradlinig zu erzählen, wirkte zunächst simpel. Als aber im Verlauf der Aufführung die Protagonisten Arabella, Zdenka, Mandryka und Matteo sich auch nur ein wenig abweichend von der Etikette der Zeit verhielten, entstand komplette Instabilität. Die Beziehungen wurden unsicher, jeder stand plötzlich allein und ohne Halt. Die Dekadenz der Epoche wurde greifbar, weniger in der Story selbst, als in den Handelnden. Die Umstände der Zeit hatten dem Denken und der Seele den Grund entzogen. Aber die wohl anvisierte psychologisierende Doppelbödigkeit der Traumnovelle Arthur Schnitzlers stellte sich nur bedingt ein, und das Machtwort der Adelaide Christa Mayer wurde nötig. Für mich ist erstaunlich, dass die engagierte Regisseurin das verquere Frauenbild Hofmannsthals kaum antastete.

Der feine Witz Hofmannsthals mit seinen durchaus aktuellen Anspielungen verlor sich in unverständlichen Handlungssprüngen. Die Personenregie setzte auf schöne schauspielerische Leistungen, bemühte aber kaum die Analyse der vertrackten Hofmannsthals´schen Emotionen, wäre da nicht die Musik, die akkurate Psychogramme der Figuren zeichnete und damit die indiskutable Handlung relativierte.

© Klaus Gigga

Die Schwierigkeiten einer Koproduktion der Semperoper mit den Salzburger Osterfestspielen 2014, die Opernhandlung sowohl für die breite Bühne des Festspielhauses als auch für die schmale Szene der Semperoper zu gestalten, hatte die Bühnengestalterin Martina Segna für Salzburg mit einem dreiteiligen Bühnenbild gelöst, dessen Mittelteil den Dresdner Schauplatz mit Jugendstil und Biedermeier ausfüllte. Die verschiebbaren Wände, die Podeste und der Fahrstuhl waren durchaus von Vorteil, da sie den späteren Handlungsorten poesievolle Variationen boten. Die Räume der heruntergekommenen Hotelsuite, im Foyer bzw. im Ballsaal boten den Sänger-Darstellern ausreichend Platz und schufen wenige Ablenkungen. Auch die Kostüme von Anna Sofie Tuma blieben klassisch und unterstrichen die Position der Personen in der Gesellschaft.

Die Musikalische Leitung der Arabella-Aufführungen der Dresdner Richard Strauss-Tage 2023 war dem Chefdirigenten des Spanischen Nationalorchesters David Afkham übertragen geworden. Bestens vorbereitet, zeichnete er mit der Sächsischen Staatskapelle vom ersten Ton an ein Bild der heruntergekommenen k. u. k. Monarchie. Mit beweglichem Dirigat gestaltete Afkham sowohl den federweichen Walzerklang als auch die dramatisch beklemmenden Auseinandersetzungen über die betrogene Liebe oder den verirrten Gesichtsverlust. Mit allen Instrumentengruppen formte er jedes Detail hörbar und erfüllte bis in die letzte Ecke den Raum mit den Strauss´schen Gefühlswallungen. Vereint mit den klaren Stimmen der Sänger packte er die Zuhörer.

Afkham gelang es, den ganzen Strauss in seiner vollen Brillanz aufleuchten zu lassen. Dabei wurde jedes Legato herzzerreißend sowie jedes Solo ergreifend gespielt und die Tutti mit seltener Homogenität geboten. Im Graben war illustriert worden, was auf der Bühne verhandelt wurde.

Jacquelyn Wagner mit ihren betörenden Klangfarben, ihrer untadeligen Diktion und der fabelhaften Technik war eine großartige Titelheldin von strahlender Erscheinung. Als Arabella ließ sie ihr warmes Timbre behutsam aufblühen, sang die Partie mit unglaublicher Leichtigkeit, vermied jedes übertriebenes Forcieren in den höheren Lagen und konnte, wo das Orchester etwas kräftiger forderte, die weiten Strauss-Bögen gegenhalten. Vom gefühlvollen Piano bis zum bestimmend akzentuierten Fortissimo legte sich ihre Stimmgewalt mühelos über das üppig besetzte Orchester. Mal locker verliebt, dann mal amüsiert-pikiert wehrte sie die Liebesbeteuerungen der Freier ab. Unerfahren, etwas demütig folgt sie den Eltern, bis sie vom Liebesgefühl überrollt, jenen Mann trifft, der es werden soll.

Die aufopferungsbereite, liebevolle Zdenka wurde von Nikola Hillebrand mit fantastischem Gesang und szenischer Präsenz gegeben. Sie hatte jenes fast existenzielle Drängen in ihrem Singen, jene Nuance, die über die Erwartungen hinausging. Schon beim ersten Ansatz begeisterte ihre hervorragend klingende Stimme, mit der sie alle Höhen und Tiefen mit guter Textverständlichkeit ausloten konnte. Die Scheinheiligkeit der Triebunterdrückung brachte sie erstklassisch herüber. Man spürt das immense Leid der jungen Frau, die ihr Gefühlsleben  zu unterdrücken hat und erlebt ihre grandiose sexuelle Selbstbefreiung im anbahnenden Freud-Zeitalter. In der vor abgedunkelter Bühne gespielten Zwischenakt-Musik würdigte Strauss mit ihrer ausschweifenden Eindeutigkeit den Mut der jungen Frau.

Die Familien-Mutter Adelaide Christa Mayers begeisterte mit ihrer ungeheuren szenischen Präsenz und der subtil geführten, nie ins Hysterische abgleitenden Stimme. Um die Zukunft ihrer Familie besorgt, ob ihre Tochter Arabella eine erfolgreiche Ehe eingehen wird und das frühere Ansehen der Familie wieder gestellt werden kann, versucht sie mit Hilfe der Kartenaufschlägerin Petra Lang ergründen.

Als wohlhabender Naturbursche Mandryka war Bo Skovhus aus dem fernen Balkan zur Brautwerbung nach Wien gekommen. Äußerlich sehr elegant, hin und wieder etwas linkisch spielend, bot er ein einnehmendes und dabei bauernschlaues Rollenportrait. Die polternde und zugleich empfindsame Anlage der Figur lag seiner Stimme mit der guten Höhen- und Mittellage besonders. Ein besonders bewegender Moment war, als Mandryka von seiner verstorbenen Frau sang.

© Klaus Gigga

Mit einem klaren, breit angelegten warmen Tenor, dabei erstaunlich sprachverständlich, konnte Pavol Breslik seinen Liebesschmerz des hemmungslos in Arabella verliebten Offiziers Matteo aufwarten. Ohne Pathos, verzweifelt, jugendlich und lebensnah, versuchte er sich gegen die Frauen durchzusetzen, konnte aber kaum Stellungsvorteile herausarbeiten. Eine komödiantische Leistung der besonderen Art bot Kurt Rydl in seiner Mischung eines Grafen Waldner aus altem Rittmeister-Stolz, ruiniertem Adligen und süchtigem Spieler. Mit seinen Wiener Dialekt-Fertigkeiten  voller Witz und Ironie zählte er das frisch erhaltene Geld, um es umgehend wieder zu verspielen.

Ganz wienerisch stolz und fein gezeichneten Charakteren umwerben die drei Grafen ihre Arabella.  Die drei Ensemblemitglieder Tansel Akzeybek als Graf Elemer, Sebastian Wartig als Graf Dominik und Martin-Jan Nijhof als Graf Lamoral konnten allesamt als kongeniale Sängerdarsteller punkten. Die Fiakermilli beim großen Ball war samt ihrer köstlichen Koloraturen von Daniela Fally spielerisch und treffsicher. Die Fally bringt die Fiakermilli als trällerndes Zwitschertäubchen einschließlich ihrer kecken Anwandlungen zur Femme fatale in Blick und Hörfang. Petra Lang hatte einen starken Auftritt im ersten Akt als Kartenaufschlägerin.

Der von André Kellinghaus vorzüglich vorbereitete Chor wirkte etwas steif und hätte die Szene stimmgewaltig mit mehr Leben füllen können. Das Pompöse der in jeder Weise künstlerisch überzeugenden Aufführung erfüllte die Publikumserwartungen. Man konnte schwelgen oder träumen, dabei teilnehmen am Schicksal der Schwestern, und erlebte vor allem hervorragend gute Musik.

Leider blieben in der Semperoper viele Plätze unbesetzt.

Thomas Thielemann, 8. April 2023


Arabella

Richard Strauss

Semperoper Dresden

7. April 2023

10. Vorstellung seit der Premiere von 2014

Inszenierung: Florentine Klepper

Bühne: Martina Segna

Kostüme: Anna Sofie Tuma

Musikalische Leitung: David Afkham

Sächsische Staatskapelle Dresden

Sächsischer Staatsopernchor Dresden