Uster: „Swiss Philharmonic Academy“, Raff, Tschaikowsky, Brahms

Bereits zum dritten Mal wurde die Swiss Philharmonic Academy zusammen mit dem Alumni-& Sinfonieorchester Bern und dem Neuen Zürcher Orchester zum Europäischen Orchesterfestival eingeladen, das dieses Jahr in Avignon stattfand. Der Swiss Philharmonic Academy fiel dabei die Ehre zu, beim Eröffnungs- und beim Schlusskonzert dieses Festivals mitzuwirken. Im Anschluss daran begab sich das Orchester auf eine Konzerttournee durch die Schweiz, mit Auftritten in Rolle (VD), Zürich, Bern und schließlich gestern Abend in Uster.

Mit drei Werken erwies die Swiss Philharmonic Academy unter der Leitung von Martin Studer der Musik der Hochromantik Referenz; mit Romantische Sehnsucht 4.0war denn auch das Konzert angekündigt worden. Begonnen wurde, nach einer kurzen, sympathischen Einführung durch den Dirigenten, mit einem Romantiker par excellence, der einst zu den populärsten Komponisten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählte, dessen vielseitiges, großartiges Schaffen aber leider heutzutage ziemlich an den Rand des Repertoires gedrängt wird, nämlich Joachim Raff. Der in der Schweiz aufgewachsene Joachim Raff hatte Bachs berühmte Chaconne in d-Moll für großes Orchester transkribiert. Entstanden ist ein faszinierendes Stück Musik, das einerseits das barocke Gerüst bewahrt, es aber in ein hochromantisches Gewand kleidet. Die Holzbläser geben mit ihrem punktierten Rhythmus das Mantra des Stücks vor, diesen Rhythmus, der 32-mal variiert wird.

Der Dirigent Martin Studer leitet sein Orchester mit präziser Zeichengebung in diesem ruhig dahinziehenden Fluss, der nur ab und an klanglich etwas anschwillt. Die Betonung liegt klar auf der rhythmischen Klarheit und der Transparenz des Klangbildes. Das ist nie zu dicklich, zu pastos oder zu schwer. Die wenigen klanglichen Massierungen wirken geschmackvoll und dezent ausmusiziert, auf kurze, majestätische Erhabenheit folgt gleich wieder ein Zurücksinken in feine Verästelungen. Das Orchester spielt wunderbar weich, biegsam und fokussiert auf Schönklang, gepaart mit Präzision. Man fragt sich am Ende: Wann wird endlich mal eine Raff-Renaissance eingeläutet werden? Er war nicht nur ein blendender Orchestrator (wie diese Chaconne und seine Tätigkeit für Franz Liszt bewies), sondern auch ein brillanter Komponist. 

Nach Raff folgte Tschaikowskys einziges Violinkonzert, einst vom berühmten Kritiker Eduard Hanslick gnadenlos verrissen („Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“) und nun eines der populärsten und heiß beliebtesten Konzerte für Violine und Orchester. Und wenn man dann noch einem Solisten des Kalibers Alexandre Dubachs lauschen darf, ist das Glück vollständig. Dubach, im Alter von 9 Jahren bereits an der EXPO 64 in Lausanne Preisträger (1.Platz) am Concours national, Schüler von Yehudi Menhuin, Nathan Milstein und Salvatore Acardo, mit 15 Jahren Debüt mit Mendelssohns Violinkonzert zusammen mit dem Tonhalle-Orchester unter Armin Jordan, später auch Konzertmeister dieses Orchesters, begeistert mit seinem spannungsgeladenen Spiel, das die enormen Schwierigkeiten des Werks leicht und luftig erscheinen lässt, mit seiner Virtuosität, mit seinem Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten (die Kadenz ein atemberaubendes Wunder an klanglicher Finesse und gespickt mit irren Läufen, Doppelgriffen, Glissandi und Trillern) in Bann schlägt. Die Tongebung ist von bestechender Klarheit, er bevorzugt eine bejahende, affirmative Klanggestaltung, verbindet gekonnt Rauheit mit Schmelz, wofür der Dirigent Martin Studer ihm genügend Raum lässt. Man kann in Tschaikowskys berauschendem Klang Bad schwelgen, wird von tänzerisch-virtuosen Passagen mitgerissen, der Bogen der Solovioline hüpft und springt mit bestechender, flinker Sicherheit über die Saiten, das ist musikantisch im besten Sinne des Worts und wenn der Dirigent zusammen mit dem hervorragend spielenden Orchester das Tempo dann leicht anzieht und der Satz zu einem fulminanten Ende kommt, gibt’s auch für das Publikum kein Halten mehr und es wird heftig applaudiert. Das ehrfürchtige Gebaren, zwischen den Sätzen eines Solokonzerts oder einer Sinfonie nicht zu applaudieren, hat sich ja erst in den letzten etwa 100 Jahren etabliert, davor war es gang und gäbe und ist auch in Ordnung so. Mit verträumter Sinnlichkeit wird die Kanzonetta angegangen, ein liedhaftes Cantabile entsteht, mit wunderbarer Phrasierung und schönem Wechselspiel zwischen dem Orchester und dem Solisten. Ohne Einbußen an rhythmischer Exaktheit schwenken das mit jugendlichem Elan aufspielende Orchester und der Solist Alexandre Dubach in den Finalsatz ein, ein Vivacissimo, das seinem Namen alle Ehre erweist. Das ist von beinahe schwindelerregender Rasanz, ja gar leicht keck diabolisch gewürzt, ungezügelt, aber nie überhastet. Wunderschön herausgehoben leuchtet der elegische Mittelteil des Satzes, wo die Solovioline das Thema erst aufnimmt, nachdem es Oboe, Flöte und Fagott mit sehr schön gespielter Vorgabe eingeführt haben. Zum Schluss dann die Reprise mit dem beschwingten, positiv stimmenden Hauptthema, flott und virtuos umspielt von der Solovioline. Alexandre Dubach bedankte sich ausgiebig bei den jungen Musikern des Orchesters und schließlich auch noch beim Publikum mit dem einfühlsam und ruhig intonierten Andante aus Bachs zweiter Violinsonate.

Nach der Pause staunte man nicht schlecht, als der Solist Alexandre Dubach ganz bescheiden an einem Pult in der dritten Reihe der ersten Geigen Platz nahm und bei der Wiedergabe von Brahms‘ erster Sinfonie so das Orchester unterstützte! Wow! Hatte ich zuvor bei Raff und Tschaikowsky die Akustik im Stadthofsaal Uster als sehr angenehm empfunden, befiel mich doch nach der Pause beim massiger instrumentierenden Brahms doch das Gefühl, dass die Akustik des Saals nun an Grenzen stieß.

Die Einleitung dieser Sinfonie (wegen ihrer langen Entstehungszeit auch „Brahms‘ Schmerzenskind“ genannt) mit ihren schicksalshaften Paukenschlägen ist immer wieder eindrücklich. Gerade in den suchenden, formal ringenden, schmerzerfüllten Passagen des Kopfsatzes gestaltet der Dirigent Martin Studer zusammen mit dem Orchester mit packender Eindringlichkeit. Die einzelnen, gewaltigen Klangblöcke werden sorgsam herausgearbeitet und gegeneinandergestellt. Im zweiten Satz glänzen die Holzbläser mit wunderschönen, beruhigenden Kantilenen, die ersten Violinen legen sich berückend schön auf den Tutti-Teppich. Sehr luftig intoniert huscht das Allegretto e grazioso des dritten Satzes vorbei, mit erneut glänzend aufspielenden Holzbläsern und an einigen Stellen etwas problematischeren Einwürfen des Blechs. Die Horn Rufe im Finalsatz hingegen lassen nichts an Feierlichkeit vermissen. Das Zerklüftete dieses Satzes, vom Dunkel der Weberschen Wolfsschlucht zum lichten Gipfel des Gebirges im Berner Oberland aufsteigend, wird mit gewaltiger orchestraler Emphase erlebbar gemacht („per aspera ad astra“). Der sich zur Jubelhymne steigernde Choral am Ende verfehlt seine mitreißende Wirkung nicht.

Applausbild vom Rezensenten

Brahms‘ Ringen um seine erste Sinfonie kommt zum krönenden Abschluss. Mit der fulminant alle Effekte herrlich auskostenden Zugabe von Brahms Ungarischem Tanz Nr. 5 beschließen die Swiss Philharmonic Academy und der Dirigent Martin Studer diese hochklassige Wanderung durch romantische Befindlichkeiten der Seele.

Kaspar Sannemann 8. Juni 2025


Romantische Sehnsucht 4.0
Raff, Tschaikowsky, Brahms
Uster, Stadthofsaal

6. Juni 2025

Joachim Raff: Chaconne in d-Moll für grosses Orchester
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Violinkonzert de-Dur
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 in c-Moll

Dirigat: Martin Studer 
Swiss Philharmonic Academy