Berlin: „Simon Boccanegra“, Giuseppe Verdi

In neuer Besetzung

Liegt es im Bereich des Möglichen, dass der gemeine Berliner Opernbesucher sich eines Tages zurücksehnen wird nach dem Simon Boccanegra, inszeniert von Vasily Barkhatov, so wie er sich von eben diesem geschockt sah und sich zurücksehnte nicht etwa nach dem davor für Verstimmung gesorgt habendem, sondern dem noch älteren von Giancarlo Del Monaco, von dem noch weiter zurückliegenden Vierten ganz zu schweigen? Die Absichtserklärungen des designierten Intendanten Aviel Cahn, der 2026 sein Amt antreten wird, lassen Schlimmes befürchten, denn er will das Haus, das einst für glanzvolle Inszenierungen mit Sänger- und Dirigentenstars bekannt war, zu einem machen, das jünger, politischer, diverser und spartenübergreifender sein soll als das jetzige. Wie könnte eine SimonBoccanegra-Inszenierung, das jüngste Kind am Haus, dann wohl aussehen? Und inwiefern könnte es die jetzige noch übertreffen?

Wer soll jünger werden? Das Publikum? Die Komponisten? Die Sänger? Das Personal des jeweiligen Werks? Da hat die jetzige Produktion schon Vorarbeit geleistet, denn während die Maria/Amelia im Libretto kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag steht ( 25 Jahre sind vergangen, nachdem das Kleinkind durch Pisas Gassen irrte.), ist die auf der Bühne ein albernes Girlie in einem Mädcheninstitut, das seinen Liebhaber im pinkfarbenen Schlafanzug und kuscheligen Puschen empfängt.

Premierenfoto (c) DO Berlin

Wie bringt man Diversität im Simon B. unter? Man könnte die klitzekleine und damit sehr undankbare Rolle der Ancella aufwerten und damit auch noch soziale Gerechtigkeit herstellen, indem man, während Adorno und Amelia ihr Duett singen, deren Verwandlung von einer Frau in eine Diverse zeigt und dadurch auch die Eifersuchtsanfälle des Gabriele auf eine doppelte Begründung stützen. Machen da die Solisten nicht mit, dann müsste der Chor einspringen.      

Politischer als Boito und Verdi ist ja bereits die jetzige Inszenierung. Man könnte da noch verschärfen, indem man deutlich werden lässt, dass Paolo nicht böse ist, weil er einen schlechten Charakter hat, sondern weil er der unteren Schicht angehört und deswegen immer von Simon getreten und benachteiligt wird. Weil aber auch Simon, seit er Doge ist, als nun Angehöriger der Oberschicht einen schlechten Charakter haben muss, hat Paolo Anspruch auf mildernde Umstände und darf nicht hingerichtet werden. Adorno aber, als immer schon der Oberschicht angehörend, darf eigentlich nicht Doge werden, Amelia bekommen und dazu noch das einzige Musikstück mit allem Drum und Dran, sprich Rezitativ und Arie, wenn auch nicht Cabaletta, haben.

Und wie bekommt man Simon B. spartenübergreifend? Der erste Akt könnte statt an Genuas Küste am Ballermann spielen und Ikke Hüftgold könnte anstelle von Gabriele Adorno die Liebe besingen und Amelias Entzücken bewirken.

Das alles sind Zukunftsvisionen. Am 25.2. ging es erst einmal um eine neue Besetzung für die allerletzte Aufführung der Serie, und die konnte sich sehen und hören lassen.

Zum einen war Ante Jerkunica, langjähriges Ensemblemitglied nach längerer Abwesenheit ans Haus zurückgekehrt und sang einen würdigen Fiesco mit exakt konturierter, samtweicher und abgrundtiefschwarzer Bassstimme und machte den Segensspruch und das Duett mit Simone am Schluss zu absoluten Höhepunkten der Vorstellung. Zum anderen fand der neue Simone in Dong-Hwan Lee einen zwar auch optisch nicht alternden, aber mit einem edel timbrierten, generös phrasierenden Bariton ausgestatteten Darsteller, dessen schöne Stimmfarben passend abstachen von der ebenfalls rollendeckenden Stimme des Paolo von Michael Bachtadze, interessant reibeisenhaft und sich im Kreis der tiefen Stimmen behauptend. Kurzfristig abgesagt hatte die neue Amelia, und so konnte Maria Motolygina die ihre wiederholen mit leuchtendem, nur in der Extremfortehöhe zu Schärfen neigendem Sopran, von dem man sich noch viele interessante Rollenportraits auch im Belcantofach erhoffen kann. Der neue Gabriele Adorno war Jorge Puerta von imponierender Gestalt und ebensolchem Tenor, der für das Verdi-Fach prädestiniert ist. Mit einem Hauptmann mit  frischer Stimme machte Kieran Carrel auf sich aufmerksam. Am Dirigentenpult stand Yi-Chen Lin mit beachtlichem, unermüdlichem körperlichem Einsatz, bei dem man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, sie sei der Meinung, eine Frau in einem „Männerberuf“ müsse doppelt so viel leisten wie ein Mann.

Ingrid Wanja  26. Februar 2023


Giuseppe Verdi „Simon Boccanegra“

Deutsche Oper Berlin

7. Vorstellung nach der Premiere am 29. Januar 2023

Inszenierung: Vasily Barkhatov

Musikalische Leitung: Yi-Chen Lin

Bühne: Zinovy Margolin

Kostüme: Olga Shaishmelashvili

Chor: Jeremy Bines

Orchester der Deutschen Oper Berlin