Aachen: „Alpenkönig und Menschenfeind“ Leo Blech

Wer war Leo Blech ? Vielleicht ist er den Musikfreunden noch als einer der wichtigsten deutschen Dirigenten der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts bekannt, so hatte er vier deutsche Staatsformen durchlebt: noch zu Kaisers Zeiten wurde er an die Berliner Hofoper berufen, durch die Weimarer Republik hindurch blieb er als Garant an der umbenannten Staatsoper und durfte im Dritten Reich, wohl unter Görings Hand, immerhin bis 1937 dirigieren, obwohl er jüdischer Abstammung war. Die Stationen seiner Emigration waren Riga und Stockholm. 1949 kehrte nach Berlin zurück und wurde Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin im Westsektor, wo er 1958 starb. Doch er war auch ein recht erfolgreicher Komponist, vielleicht nicht „erste Garde“, doch neben seinen Orchesterwerken und  vielen Liedern, hat er auch sieben Opern und eine Operette komponiert. Von diesen Opern waren vor allem „Das war ich„(1902) und „Versiegelt“ (1908) erfolgreich, aber auch „Alpenkönig und Menschenfeind„, der jetzt in Aachen gespielt wird. Warum Aachen? Weil Leo Blech ein „Öcher Jung“ war und 2021 sein 150igster Geburtstag war. Kommen wir jetzt zur „Ehrensache“: Leo Blech wurde 1931 zum Ehrenmitglied des Aachener Stadttheaters ernannt, was 1937 aus rassistischen Gründen aberkannt wurde. Doch kürzlich, im Jahr 2021, wurde dem Dirigenten und Komponisten die Ehre wiederhergestellt. Sämtlichen Beteiligten dabei ein Dank für eine eigentlich selbstverständliche Sache.

„Alpenkönig und Menschenfeind“ ist nach einem, heute eher nur des Titels, bekannten Zauberspiels des Wiener Volksdichters Ferdinand Raimund komponiert. Der Librettist Richard Batka hat die reiche Personnage des Volksstückes ordentlich eingedampft, was sicherlich auch etwas nachteilig auf die Dramaturgie des Werkes wirkte. Die Handlung: der Gutsbesitzer Rappelkopf hat sich von einem freundlichen Menschen in einen cholerischen Tollkopf gewandelt, der seine Familie und sein Gesinde terrorisiert, man würde heutzutage von einer psychischen Erkrankung sprechen. Der Alpenkönig Astragalus, eine Art freundlicher Berggeist, bietet im Heilung und läßt ihn, als eigener Schwager verwandelt, erleben, wie er selbst in seinem Haus schaltet und waltet, während Astragalus seine Rolle annimmt. Geläutert versöhnt er sich mit seiner Frau, seine Tochter darf ihren Geliebten, die Zofe den Diener heiraten. Blechs Musik bildet ein Kaleidoskop seiner gesamten zeitgenössischen Musik in Deutschland, ganz um Wagner kommt er in dieser Zeit nicht herum, doch hat die Oper auch sehr volkstümliche Szenen so mit der Tischlerfamilie, in deren Berghütte sich Rappelkopf einmietet, bei dem buffonesken Dienerpaar Lieschen und Habakuk kommt er sogar, was nicht negativ gemeint ist, bei der Operette an. Bei anderen Stellen klingt die Musik für ihre Zeit recht modern und weist auf Mahler und Zemlinsky hin. Diese Vielseitigkeit ist zwar recht abwechslungreich, doch wirkt sie in ihrer Uneinheitlichkeit recht eklektisch. Auch die Neigung zu ausgedehnten Vorspielen und Naturschilderungen, besonders schön ein Alpenglühen mit hereinbrechender Nacht, stehen der schlüssigen Szene entgegen. Man hat das Gefühl, das Entbehrliches neben wirklich erfühlten und gelungenen Szenen steht, für mich ist die große Aussprache zwischen Menschenfeind und Berggeist ein Höhepunkt. Das alles auch vor dem Hintergrund, das die reine musikalische Spieldauer der Oper knapp über zwei Stunden liegt.

Kommen wir zur eigentlichen Aufführung. Ute M. Engelhardt möchte sich in ihrer Inszenierung wohl auf den schwierigen Charakter des Rappelkopf fokussieren und lässt alles auf einer runden Bühne spielen; die Ausstatterin Henriette Hübschmann darf dazu, bei einer schwarz abgehängten Bühne, lediglich wenige „Requisiten“ einsetzen, dabei als szenisches Leitmotiv das scheuende Pferd, als Sinnbild für Rappelkopfs Krankheit, wie auch für den „Nachtmahr“ einer schwarzen Romantik stehend. Das würde sicherlich besser funktionieren, wenn nicht so viele Szenen ohne den Menschenfeind stattfinden würden. Die Kostüme spielen wohl mit einem Historisieren der Entstehungszeit des Raimundschen Zauberspiels, lassen die Protagonisten jedoch wie Theaterfigurinen recht puppenhaft wirken. Schlimm wird die Inszenierung, wenn es an das komische Dienerpaar oder die volkstümliche Tischlerfamilie geht. Ich habe das Gefühl Engelhardt will diese Aspekt einfach geschmacklos darstellen, anstatt die Musik in ihrem Unterhaltungswillen positiv zu unterstützen. So bleibt die Szene halbgar und macht auf mich wenig Eindruck.

An diesem Abend hat Hiroshi Uemo die Leitung des Sinfonieorchesters Aachen übernommen und bringt die glänzende Orchestrierung Leo Blechs zum Leuchten, da hört man viele brillant gespielte Soli in dem musikalisch reichen Werk. Einziger Minuspunkt: Blech hat, an einigen Stellen, geradezu eine Neigung zu ebendiesem, also zu den Blechbläsern, die in volltönenden Sätzen übereinander geschichtet werden, da gilt es, zumal in der trockenen Akustik des Aachener Theaters, entgegenzuwirken. Die Ouvertüre war definitiv zu laut. Mit Ronan Collett hat man einen volltönend dominierenden Bass als Alpenkönig. Paul Armin Edelmann merkt man die langjährige Erfahrung, auch des Liedgesangs, bei seiner Interpretation des Rappelkopf an; dem Bassbariton gelingt ein vielschichtiges Portrait einer gehetzten Seele. An seiner Seite als Gattin Sabine die bewährte Sopranistin des Aachener Theaters Irina Popova. Netta Or ließ sich zwar indisponiert ansagen, machte mit ihrem, in der Höhe metallischen Sopran, ordentlich Eindruck als Tochter Marthe, die in Soon-Wook Ka, mit sattemTenor, ihren Musiker Hans bekam. Anne-Aurore Cochet, mit spitzem Soubrettenton, und Joshua Owen Mills, mit frischem Buffotenor, hatten die szenisch undankbare Rolle des Dienerpaares, man hätte ihnen eine andere Regie gewünscht. Ebenso konnte ich mit der spielerischen Umsetzung der Tischlerfamilie nichts anfangen, das hatte etwas übersimpel plakatives, ich fand es nahezu peinlich. Pawel Lawreszuk, Ayaka Igarashi und Jelena Rakic, dazu der turnende Tänzer Ken Bridgen, machten jedoch musikalisch alles richtig.

Dem Theater Aachen sei größter Dank für den richtigen Einsatz an einer Rarität, die in einer anderen Inszenierung mehr hermachen würde. Für die Freunde seltener Opern ist ein Besuch eigentlich ein Muss. Für die Opernfreunde, denen die Reise zu weit ist, sei die neue Aufnahme der Oper beim Label Capriccio empfohlen, die das Aachener Theater währed der Corona-Schliessungen in Angriff nahm.

Martin Freitag, 14.10.2022


Alpenkönig und Menschenfeind – Leo Blech / Premiere am 11.09.2022 Theater Aachen

Inszenierung: Ute M. Engelhardt

Musikalische Leitung: Hiroshi Uemo

Sinfonieorchester Aachen