9. Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker – 12. April 2018, Beginn 19.30 h
Die Kunst des Hörens – Einführung mit Orchester
Leonard Bernstein
Divertimento für Orchester
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 9 D-Dur
Liebe zu dieser Erde
Ein tolles Angebot bieten mittlerweile die Essener Philharmoniker in ihren Abo-Konzerten, nämlich eine Einführung durch GMD Tomás Netopil, mit dem ganzen Orchester – eine halbe Stunde bevor das eigentliche Konzert beginnt.
Ein Offerte, welches nicht hoch genug einzuschätzen ist, denn ich kenne nur wenig A-Orchester, die sich auf so etwas einlassen, ohne gleich einen zweiten Dienst an Bezahlung zu fordern. Da ich solche publikumsfreundlichen Dinge seit bald einem halben Jahrhundert immer wieder ansprechend fordere, würden Sie, verehrte Leser, kaum glauben, was ich so im Laufe der Zeit da für Antworten bekam, obwohl die meisten Dirigenten solchen Dingen immer positiv gegenüber standen. Was für die New Yorker Philharmoniker unter Leonard Bernstein einst eine Selbstverständlichkeit war, ist es für deutsche Orchesterkollektive noch lange nicht. Bravo Essen!
Umso mehr verwundert es, daß nicht alle Besucher des Konzerts so eine fabelhafte Offerte wahrnehmen, denn ich denke, daß 98 Prozent vom Bernsteinschen "Divertimento" so gut wie nichts wissen, auch weil das Stück höchst selten aufgeführt wird. Sogar die Welterbe-Schatztruhe YOUTUBE hat von diesem superben Stück gerade drei Versionen auf Lager.
Bernsteins geniale Vielseitigkeit zeigt sich beispielhaft in diesem Divertimento, das aus acht recht kurzen Sätzen besteht. Die einzelnen Sätze spielen mit einer Vielzahl von Stilrichtungen und zitieren nicht nur klassische Elemente amerikanische Musik von Copland bis Ives, sondern beziehen in ihr Kaleidoskop auch amerikanischer Unterhaltungsmusik von Porter bis Bernstein Selbstzitaten (West Side Story) ein.
Ein Stück geniale Musik, welches so wunderbar, wie viel zu kurz ist und man möchte nach den knappen 20 Minuten eigentlich sofort "Da capo!" rufen – auch weil die Essener diesen Bernstein einfach brillant und begeistert spielen. Man merkte den Musikern an, daß dieser Bernstein Spaß macht.
Ich hoffe doch, daß die CD-Aufnahme, für die an diesem Abend überall Mikrofone aufgebaut waren, einer Bernstein CD gilt – die wunderbaren Essener spielen ja im 100. Geburtsjahr diverse Stücke von ihm ein (während man benachbarten Opernhaus dieses Jubiläum schnöde ignoriert!) – denn zu den gefühlten 276 Mahler Aufnahmen braucht das Schallplatten-Repertoire wahrlich keine Ergänzung mehr, obwohl die Essener Musici diese neunte Sinfonie hervorragend spielten.
Zur neunten Sinfonie ist nicht mehr zu sagen, als der große persönlich enge Freund und geniale Komponist Alban Berg einst trefflich schrieb: "Und wieder, zum letzten Mal, wendet sich Mahler der Erde zu … Er will fern von allem Ungemach, in freier dünner Luft des Semmerings, sich ein Heim schaffen, um die Luft, diese reinste Erdenluft, mit immer tieferen Atemzügen, daß sich das Herz, dieses herrlichste Herz, das je unter Menschen geschlagen hat, sich weitet – immer mehr sich weitet – bevor es hier zu schlagen aufhören muss." Eine Sinfonie über den Tod.
Und wenn man beim Adagio – dem vielleicht schönsten und tragischsten Stück Weltmusik (neben Isoldes Liebestod) – dann doch immer wieder feuchte Augen bekommt, zeigt es wie intensiv sich diese Musiker mit dem Stück auseinandersetzen und wie es sich bei Tomas Netopil zu einer tiefen Herzenssache im Verlauf des Dirigats entwickelt. Die Musik schwingt in der Seele nach in den über 20 Sekunden der ruhigen Besinnung nach den letzten gehauchten Tönen des Finales, bevor der Dirigent den Stab senkt. Was für eine ergreifende Interpretation von großer Tiefe.
Die Programmgestaltung der Essener Sinfoniekonzerte (auch in der nächsten Saison) gehören zum Interessantesten, was man in Deutschland finden kann, an Vielfalt, Originalität und Wertschätzung des breiten Spektrums der Musik. Gott sei Dank folgt man nicht dem sonst üblichen Credo der klassischen Hitparadennummern des Immergleichen, sondern bietet ein Programm für das es sich wirklich lohnt in die Philharmonie zu diesen Konzerten gehen.
Wenn man schon soviel Qualität bietet, dann sollten die Gestalter einmal darüber nachdenken ob es sich nicht lohnen würde die unsäglichen zwei Wochentags-Termine (Do/Frei) für die Städtischen Konzerte auf Sonntag/Montag zu verlegen oder sogar auf drei Abende zu erweitern, denn wer so hochklassig aufspielt, hat auch eine ansehnlichere Terminierung verdient.
Bilder (c) Philharmonie Essen / Hamza Saad / Deutsche Grammophon
Peter Bilsing 16.4.2018
P.S.1 Bernstein über Mahler 9.
Bitte hören Sie sich unbedingt an, was der große Genius Leonard Bernstein zur neunten Sinfonie von Mahler einst Bewegendes und Erschütterndes in 23 Minuten frei aus der Seele heraus zu sagen hatte. Man könnte dern Eindruck gewinnen als habe er dieses Endzeitwerk selber komponiert.
P.S.2 Ein schönes Video über die Essener Philharmoniker
P.S.3 Unser Opernfreund-Plattentipp
Zuschlagen: aktuell nur 5 Euro !