Das am Broadway uraufgeführte Musical wurde zehnmal für die Tony Award nominiert. Da aber Hamilton der große Abräumer des Jahres 2015 war, reichte es schließlich nur zu einer Auszeichnung (bester Nebendarsteller). Something Rotten – der Titel ist natürlich eine Anspielung auf Shakespeares Hamlet – brauchte einige Zeit, um in die Gänge zu kommen. Aber nicht, weil daran etwas faul, „rotten“ wäre, ganz im Gegenteil: Ab 2022, nach dem Abklingen der Pandemie, begann es Fahrt aufzunehmen, wurde auch in Shakespeares Heimatstadt Stratford aufgeführt und ist nun in Linz zu seiner deutschsprachigen Erstaufführung eingetroffen, wo es – so viel sei vorweggenommen – eine Punktlandung gegeben hat, sowohl beim Publikum wie auch bei der Kritik.
Omelett oder Hamlet, das ist hier die Frage. Die Geschichte nach dem Buch von Karey Kirkpatrick und John O’Farrell handelt von zwei Brüdern, die es in den 1590er Jahren mit dem wie ein Rockstar verehrten, großen William aufzunehmen haben, um sich in London zur Hochblüte des Elisabethanischen Zeitalters auf der Bühne behaupten zu können. Da muss schleunigst etwas Neues her. In seiner ratlosen Verzweiflung konsultiert der erfahrene Theatermann Nick Bottom, der Geldsorgen hat und zudem bald Vater sein wird, eine Wahrsagerin, die ihm verraten soll, wie die Zukunft des Theaters aussehen werde. Das Ergebnis dieses Blicks in die Zukunft: Das Musical – eine neue Form des Theaters. So wird das daraus resultierende Werk Omelett, die Folge eines Missverständnisses der Seherin, der bei der Vorhersage des nächsten Werks, an dem Shakespeare arbeiten solle, wohl einiges durcheinandergekommen ist, zum ersten Musical der Welt. Ein Wirrwarr an Handlungen und Charakteren, garniert mit berühmten Shakespeare-Zitaten, die allerdings von Nicks Bruder Nigel stammen und ihm vom großen Barden aus Stratford gestohlen worden sein sollen. Eingearbeitet sind auch Anspielungen auf und musikalische Zitate aus mehr als einem Dutzend großer Musicals aus dem goldenen Zeitalter dieses Genres sowie eine Menge witziger Dialoge. Dazu kommt die geschickt komponierte Musik der Brüder Wayne und Karey Kirkpatrick, die u.a. auch den Stepptanz – in einem Tanzduell zwischen Shakespeare und Nick – wiederbeleben. Im Programmheft sind dazu sogar zwei Stepptanz-Assistenten (Leon de Graaf und Dance Captian Hannah Moana Paul) genannt. Da es im puritanischen England Frauen aber nicht erlaubt war, auf der Bühne aufzutreten, sowie wegen einiger weiteren Verstöße, auf die eigentlich die Todesstrafe stehen sollte, wird die Truppe in einer absurd komischen Gerichtsverhandlung des Landes verwiesen, so dass das Musical letztendlich dort seinen Siegeszug antreten wird, wo es auch tatsächlich entstehen sollte: In Amerika.
Regisseur Matthias Davids, Leiter der Musicalsparte des Linzer Landestheaters, hat für seine flotte Inszenierung eine dynamische, toll singende, spielende und tanzende Besetzung ausgewählt. Beginnend mit „Willkommen in der der Renaissance“, angeführt vom Spielmann/Minnesänger (Enrico Treuse) taucht man sofort in das London der Shakespeare-Zeit ein, in der zuweilen die Beulenpest regiert, aber auch die Puritaner ein Wörtchen mitzureden haben. Verkörpert werden letztere durch den gestrengen Bruder Jeremiah (Karsten Kenzel), in dessen Tochter Portia (Valerie Luksch) sich der sensible Dichter Nigel verliebt. Dazu kommen viele dem Theater und seiner Repräsentation in der Person William Shakespeares verfallene Leute.
Christian Fröhlichs William ist bei seinen Auftritten ungemein fesselnd. Sexy in schwarzer Kleidung (Kostüme Adam Nee) und mit arrogantem Gehabe schlägt er alle in seinen Bann. Frauen kreischen und fallen in Ohnmacht. Ein Künstler, aber auch ein eitler, egoistischer Schurke, der sich zudem geschickt als Plagiator betätigt (eine interessante Antwort auf die ewige Frage, ob der Schauspieler aus Stratford upon Avon tatsächlich der alleinige Schöpfer all dieser ihm zugeschriebenen Theaterstück gewesen sein kann).
Dieses kunterbunte, unterhaltsame elisabethanische Pasticcio, das vor Witzen und parodistischen Einlagen, die Schlag auf Schlag serviert werden, nur so überquillt, ist schwer auf die Bühne zu bringen und könnte leicht unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Doch Regisseur Davids und der Choreographin Kim Duddy gelingt es grandios, die Spannung in der überraschungsvollen, oft urkomischen und absurden Handlung aufrechtzuerhalten. Die zehn Hauptdarsteller und die zwölf Ensemblemitglieder, die im Schnellwechsel ihre Kostümierung ändern müssen, um flugs wieder neue Charaktere darzustellen, sind erstklassig eingesetzt, die Texte und Dialoge klar verständlich und die sekundenschnellen musikalischen Parodien so brillant serviert, dass man sie gut nachvollziehen und von Herzen lachen kann. Die erheiternde Rivalität der beide so verschiedenen Brüder, die romantischen Nebenhandlungen und absurde Einschübe tragen dazu bei, das Interesse an der Geschichte aufrechtzuerhalten.
Die stimmige, im Sinne der Globe-Tradition recht sparsam gehaltenen Bühne von Andrew D. Edwards, setzt aber auch ein paar kühne Akzente. Dazu gehört, dass die Schilder, die auf die in einem Winkel der Stadt betriebene Gewerbe hinweisen, zur Abwechslung einmal auch hell leuchtende Neonreklamen sein können. Und vor dem Haus Nicks steht eine prächtige Milchkuh. Bea Bottom weiß eben, sich und ihrem Mann zu helfen.
Gernot Romic als älterer Bruder Nick Bottom ist so theaterbesessen und überzeugt davon, dass der Durchbruch gelingen wird, dass man gerne mit ihm sympathisiert und mitfühlt. Ein hervorragender Sänger und exzellenter Schauspieler, der unermüdlich für Unterhaltung sorgt. Lukas Sandmann als sein jüngerer Bruder Nigel Bottom ist ihm als Tänzer und Sänger ebenbürtig. Als Dichter etwas zart besaitet und empfindsam, aber auch charmant und hinreißend, besonders in den romantischen Szenen mit seiner puritanisch erzogenen, bezaubernd unschuldsvollen Freundin Portia (Valerie Luksch), die es dennoch wagt, auszubrechen und ihrem Geliebten zu folgen. Obwohl es in diesem Stück nur drei wichtige weibliche Rollen gibt, ist Something rotten ein Musical der starken Frauen. Sanne Mieloos Bea, die Frau von Nick Bottom, ist nicht nur eine pragmatische handelnde Ehefrau, die zu ihrem Mann hält und ihn tatkräftig unterstützt, sondern auch eine resolute, charismatische Vorläuferin der modernen Feministin. Unvergessen die Szene, wenn sie, als Mann verkleidet, Schwerarbeit leistet, um den Haushalt über Wasser zu halten.
Ein Ausbund komödiantischer Darstellungskunst ist Daniela Dett, als Wahrsagerin Nancy Nostradamus, die die Zukunft des Theaters so überzeugend voraussagt, dass dagegen keine Zweifel erhoben werden. Und das, obwohl sie mit der Verwechslung von Hamlet mit Omelett folgenschweren Unsinn verzapft, der aber immerhin in einen grotesken Eiertanz mündet. Mit urkomischen Auftritten als Lady Clapham, die in der Doppelrolle als Mäzenin von Nicks Theatertruppe und als Richterin für Heiterkeit sorgt, bereichert Alexandra-Yoana Alexandrova die Szene. Max Niemeyer ist der theaterversessene jüdische Geldverleiher Shylock, der so gerne Theatersponsor werden möchte, was in England damals jedoch noch verboten war. In Amerika angekommen, kann er diesen Plan aber endlich verwirklichen und avanciert so zum Urtyp aller umtriebigen Broadway-Musicalproduzenten
Tom Bitterlich am Pult der im Hintergrund der Bühne, in höheren Regionen angesiedelten, dynamischen Band The Rotten Eggs leitet einen schwungvollen Abend, an dem es so gut wie alle musikalischen Moden des Musicals in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts buchstückhaft zu hören gibt. Something Rotten könnte also durchaus auch als Musical aller Musicals verstanden werden. Das große komische Musical ist es letztlich aber doch nicht geworden. Es wird zwar versucht, an die lässige Albernheit des monty-pythonesken Vorbilds Spamalot heranzukommen, etwa im Probegalopp „Der Schwarze Tod“ für ein geplantes, von Nick aber alsbald verworfenes Musical. Der Abstand aber bleibt. Ein paar erfrischend freche Reime, melodische Einfälle und stellenweise witziges Geplänkel genügen dazu doch nicht, obwohl Regie und das Ensemble ihr Bestes geben und das Optimum aus der Vorlage herausholen. Unterhaltsam und massentauglich ist das Ganze aber allemal. Und das ist auch schon was. Das Publikum ist jedenfalls zufrieden und klatscht begeistert. Denn rotten ist hier auch tatsächlich nichts
Manfred A. Schmid, 30. November 2024
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Something Rotten!
Buch: Karey Kirkpatrick und John O’Farrell
Musik: Karey and Wayne Kirkpatrick
Landestheater Linz
Zweite Vorstellung der deutschsprachigen Erstaufführung am 19. November 2024
Premiere am 16. November 2024
Regie: Matthias Davids
Choreographie: Kim Duddy
Musikalische Leitung: Tom Bitterlich
The Rotten Eggs