Frankfurt: „Madama Butterfly“, Giacomo Puccini

Ein Jahr nach dem vielbeachteten Premierenzyklus hat die Oper Frankfurt „Madama Butterfly“ wiederaufgenommen. Der Premierenerfolg beruhte auf dem Dreiklang von optisch radikal reduzierter Bühne, akustisch ebenso radikal entfettetem Orchesterklang und einer vollständig in ihrer Rolle aufgehenden Sängerin in der Titelpartie. Zumindest im Hinblick auf Dirigat und Titelpartie schien die Aufführung derart auf die Künstler zugeschnitten zu sein, daß man gespannt sein mußte, was von dem außerordentlichen Eindruck beim Übergang in den Repertoirebetrieb mit Umbesetzungen übrig bleiben würde. Die Antwort ist noch bis Mitte Juli zu besichtigen: Unvermindert intensives und hochklassiges Musiktheater. Das liegt zum einen an Corinne Winters als neuer Cio-Cio-San.

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Von Heather Engebretson, der Premierenbesetzung, hatten wir seinerzeit geschrieben: „Die Cio-Cio-San mag schon saftiger oder kulinarischer oder pathetischer gesungen worden sein, nie aber wahrhaftiger.“ Corinne Winters nun verfügt über die saftige Stimme, die man bei ihrer Rollenvorgängerin doch ein wenig vermissen konnte. Schon die ersten Töne lassen aufhorchen, und dann kann man sich nicht satthören an diesem zugleich jugendlich-schlanken und doch warm leuchtenden Sopran. Auch sie ist eine große Tragödin, die in ihrer Rolle vollständig aufgeht. Dabei legt sie die Partie anders an als ihre Vorgängerin. Mit Heather Engebretson hatte Regisseur R. B. Schlather Aktionen erarbeitet, bei denen die innere Aufgewühltheit sich in motorischer Energie Luft verschaffte. Da gab es manisches Im-Kreis-laufen und stuntreife Stürze. Darauf verzichtet Corinne Winters nun fast vollständig. Ihre nicht minder intensive Interpretation nutzt das breite Repertoire konventionellerer Gesten und Blicke, das sie mit phänomenaler Bühnenpräsenz einsetzt. Bei den Salzburger Festspielen hatte sie im vergangenen Jahr Publikum und Kritiker als Kátja Kabanová hingerissen. Seitdem gibt es international von der New Yorker Met bis zur Wiener Staatsoper kein Opernhaus von Rang, das sie nicht für die kommenden Spielzeiten verpflichtet hätte. Bereits ihretwegen lohnt sich ein Besuch dieser Wiederaufnahme.

© Barbara Aumüller

Aber auch das Orchester zeigt sich in unvermindert guter Form. Pier Giorgio Morandi hat die Grundhaltung seines Pultvorgängers im Hinblick auf Klarheit und Durchhörbarkeit übernommen. Er läßt die Musik aber organischer fließen. Es ist eine Freude, ihm beim Dirigieren zuzusehen, wie entspannt und doch hoch aufmerksam er die motivierten Musiker durch diese farbige Partitur führt, gefühlvoll, doch ohne Sentimentalität. Auch der Chor zeigt sich von seiner besten Seite. Die Frauenstimmen erfreuen in ihrem ersten Auftritt mit klarer und ungefährdeter Höhe, der berühmte Summchor (voci misteriose a bocca chiusa) am Ende des zweiten Aktes mischt sich stimmungsvoll mit dem Orchester.

Die Besetzung der übrigen Partien läßt kaum Wünsche offen. Der Pinkerton liegt Rodrigo Porras Garulo weitaus besser als zuletzt der Don Carlo in Wiesbaden. Einen tadellosen Eindruck hinterläßt Liviu Holender als Konsul Sharpless. Bianca Andrew hat wunderbar warme Mezzo-Töne für die Suzuki. Abraham Bretón wirbt als Fürst Yamadori um Cio-Cio-San mit jugendlich-strahlendem Tenor, so daß man überhaupt nicht verstehen kann, warum sie ihn zurückweist. Michael McCown gibt mit hellem Charaktertenor einen angemessen zwielichtigen Goro. Lediglich Alfred Reiter geht als Onkel Bonzo bei seinem kurzen Auftritt akustisch in den Orchesterwogen unter.

Premierenfoto / © Barbara Aumüller

Zudem sind sämtliche Sänger daneben fabelhafte Darsteller, welche die von Johannes Leiacker radikal entrümpelte Bühne intensiv bespielen. R. B. Schlathers Regie im Verbund mit den punktgenau gesetzten Lichteffekten von Olaf Winter erweist sich auch in der Wiederaufnahme als tragfähig. Spannend und plausibel wird der Kern der Handlung ohne Mätzchen herausgearbeitet. Das ist pures, energiegeladenes Theater.

Noch vier Vorstellungen gibt es bis zum Spielzeitende von dieser rundum überzeugenden Produktion, alle mit der außerordentlichen Corinne Winters in der Titelpartie.

Michael Demel, 25. Juni 2023


Giacomo Puccini: „Madama Butterfly“

Oper Frankfurt

Besuchte Vorstellung am 18. Juni 2023 (Premiere am 22. Mai 2022)

Inszenierung: R. B. Schlather
Musikalische Leitung: Pier Giorgio Morandi
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Weitere Vorstellungen am 1., 8., 13. und 19. Juli

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