Berlin: „Der Rosenkavalier“

Zum Zweiten

16.02.2020

Prominent besetzt ist sie, die fiktive Benefizvorstellung zugunsten des österreischen Waisen- und Witwenfonds von Richard Strauss‘ DER ROSENKAVALIER vom 9. Februar 1917, welche André Heller und sein österreichisches Inszenierungsteam quasi als Verortung und Rahmen für ihre Neuinszenierung an der Staatsoper Berlin gewählt haben. Auf dem Programmzettel von 1917, der auf den Zwischenvorhang projiziert wird, prangen so wohlklingende Namen wie Lotte Lehman (Marschallin), Maria Jeritza (Octavian), Selma Kurz (Sophie) oder Richard Tauber (Sänger) unter der Leitung von Franz Schalk. Die als Schirmherrin waltende Fürstin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe gab es tatsächlich, und sie verfügte auch über die Mittel, um so einen Event zu organisieren – in der Dämmerungszeit der Donaumonarchie, ein luxuriöser Abgesang auf die Zeit, die nie mehr wiederkommen wird. Auch die Staatsoper Berlin verfügte anscheinend über genügend Geld und Beziehungen, um eine Luxusbesetzung und eine überwältigende Ausstattung für dieses Meisterwerk zu ermöglichen und löste damit das ein, was der Librettist der Oper, Hugo von Hofmannsthal, in seinem „Ungeschriebenen Nachwort“ 1911 als Zielsetzung von der Musik zum ROSENKAVALIER erwartete: „Die Eintracht des Lebendigen sich ergiessen zu lassen, allen Seelen zur Freude.“ (Der Text wurde auf den Zwischenvorhang zum dritten Akt projiziert.) Denn wie die Musik an diesem Abend aus dem Graben und von der Bühne in den Saal strömte, war schlicht und ergreifend von überragender Qualität – und auch wenn dies mit einer Aufführungsdauer von 4 Stunden 50 Minuten – inklusive zweier Pausen – der längste ROSENKAVALIER meines Lebens war.

Zubin Mehta am Pult der Staatskapelle Berlin, deren Ehrendirigent er ist, holte unfassbar differenzierte Töne und Zwischentöne aus der Partitur heraus, malte mal mit breitem Pinsel, wo nötig, aber vor allem mit dem feinen, um die zarten Klänge wunderbar transparent aufzufächern. Geradezu von sensationeller Durchhörbarkeit geprägt war das Vorspiel zum dritten Akt, welches Gott sei Dank nicht durch Aktionismus auf der Bühne „bebildert“ wurde. Der bald 84jährige Maestro und die Staatskapelle Berlin wurden am Ende denn auch (wie alle Mitwirkenden) frenetisch gefeiert, zu Recht! Sicher, seine gewählten Tempi waren stellenweise sehr behutsam, eine Hast kannte er nicht. Die Staatskapelle folgte seinen Intentionen mit bestechender Präzision, die von einigen Kritikern anlässlich der Premiere bemäkelten Hörner spielten in der von mir besuchten Vorstellung die schwierigen Passagen im Vorspiel mit exzellenter Qualität. Die von Zubin Mehta differenziert ausmusizierten Passagen waren berückend schön, verlangten von den Sängern allerdings einen grossen Atem (dafür konnten sie ohne jegliches Forcieren über und im Orchesterklang schwelgen). Die Besetzung liess keine Wünsche offen: Camilla Nylund sang eine fantastische Marschallin, wunderbar rund, schlank und zart im Klang, fein intoniert, intelligent gestaltend, gerade in ihrem Monolog und der Zeit-Arie von herausragender Textdeutlichkeit, Schönheit und dezente Wehmut evozierend. Michèle Losier vermochte als erfrischend und glaubhaft agierender Octavian zu begeistern, ihr in der Höhe sehr schön aufblühender Mezzosopran ist ebenfalls wunderbar schlank geführt, mit dem notwendigen androgynen Touch und herrlich schräger „Mariandl“- Stimme. Nadine Sierra war als Sophie alles andere als ein Dummchen, sie sang mit wunderschön timbrierter, sicherer Stimmführung und überragenden Höhen und spielte jenseits aller Soubrettenhaftigkeit eine junge Frau, die sich energisch gegen die Zwangsehe mit dem Grapscher Baron Ochs auf Lerchenau von Günther Groissböck auflehnte. Günther Groissböck ist der heutzutage wohl führende Interpret dieser Rolle. Sein Bass ist mit dem notwendigen tiefen Fundament ausgestattet, wirkt aber nie zu schwer, bleibt immer agil und irgenwie auch ein klein wenig sympathisch (wobei man sich das in der heutigen Zeit der „Weinstein“ und anderer Hysterien kaum mehr zu sagen oder schreiben wagt). Dass der erste Akt viel länger war, als man es sich gewohnt war, lag nicht so sehr an Zubin Mehtas Tempi, sondern daran, dass man auch die umfangreiche, meist gestrichene, anzügliche Mägde-Erzählung des Ochs spielte. Groissböck war darin ein Erlebnis – man möchte diese Passage gar nicht mehr missen!!!

Wunderbar besetzt, wie es sich für ein Haus dieses Renommées auch gehört, waren die mittleren und kleineren Rollen mit dem wohlklingenden Roman Trekel (Faninal), mit Anna Samuil (Leitmetzerin) und Karl-Michael Ebner und Katharina Kammerloher als Intrigantenpaar Valzacchi und Annina. Wunderbaren Belcantogesang liess Atalla Ayan als Sänger im dezent gehaltenen Lever der Marschallin erklingen. Das ist überhaupt das, was die Personenführung von André Heller und seinem Mitarbeiter Wolfgang Schilly auszeichnet: Intelligente Zurückhaltung, nie billig überbordend, geschmackvoll und präzise die Emotionen und Situationen schildernd. Von atemberaubender Schönheit war die Bühne der österreichsichen Malerin Xenia Hausner: Der erste Akt im Schlafzimmer der Marschallin strahlte die Atmosphäre des Japonismus aus, das Streben nach der – vermeintlich – heilen Welt Japans, welches ab der Jahrhundertwende eingesetzt hatte. Das Innere das Palais des neureichen Faninal im zweiten Akt wurde von Gustav Klimts Beethoven-Fries dominiert, welches er für die Ausstellung der Wiener Secession 1902 geschaffen hatte. Klimt und seine Gefährtin Emilie Flöge mischten sich denn auch zur Überreichung der Rose unter die Gäste im Saal. Ja, diese Gäste waren eine Augenweide! Sie – und natürlich alle anderen Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne – wurden eingekleidet vom österreichischen Modedesigner Arthur Arbesser. Wunderbare Stoffe, herrliche Muster, phantasievolle Schnitte. Klasse! Den dritten Akt schliesslich liessen Heller und sein Team nicht in einem heruntergekommenen Vorstadt-Beisl spielen, sondern in einem eine schwüle Atmosphäre verbreitenden Palmenhaus, wie es vom Adel anscheinend geschätzt wurde. Das war zwar alles schön anzusehen (die Idee ist auch nicht ganz neu, schon Bechtolf in Zürich stellte etwas ähnliches auf die Bühne), macht aber mit Verlaub angesichts des verarmten und geizigen Ochs nicht gerade viel Sinn. Nach dem berühmten und – wie immer wenn gut gesungen wird – Gänsehaut erregenden Terzett (Marschallin, Octavian, Sophie) und dem finalen Duett blieb noch die Frage zu lösen, wie man mit dem kleinen schwarzen Diener verfährt, der am Ende das Taschentuch der Marschallin aufheben soll. Hellers Lösung war überzeugend: Der Schwarze ist ein Marokkaner, etwa im Alter Octavians. Schon im ersten Akt hat er das Frühstück hochfahren lassen und Blüten auf das Bett der Marschallin gestreut. Nun also liess die Marschallin das Taschentuch wie üblich fallen, ging mit Faninal ab. Octavian will es aufheben, doch Sophie verbietet es ihm, sie will nicht, dass er quasi noch ein Fetisch-Andenken an seine Verflossene bei sich trägt. Da kommt der junge Marokkaner, hebt das Tuch auf und saugt freudig erregt dessen Düfte ein. Die Marschallin scheint einen Ersatz für Octavian gefunden zu haben … .

Ein grossen Kompliment gebührt der Dramaturgieabteilung der Staatsoper für das ausgesprochen schön und informativ gestaltete Programmheft, welches nicht mit überintellektualisierten Texten, sondern mit sehr produktionsbezogenen Beiträgen und fantastischem Bildmaterial aufwartet. Lohnt sich zu kaufen!

Bilder (c) Ruth Walz

Kaspar Sannemann, 17.2.2020