Hannover: „Der fliegende Holländer“

Premiere am 11. Februar 2017

Rätselhaft

Stefan Adam

Im Nachbarland Sachsen-Anhalt gibt es den „Holländer“ in dieser Spielzeit gleich dreimal: In der schon 2011 in Wuppertal gezeigten Inszenierung von Jakob Peters-Messer wird in Dessau die romantische Story in relativ schlichter Umgebung erzählt; in Halle sind die Zuschauer in der Raumbühne HETEROTOPIA mitten drin im Geschehen (Florian Lutz), während Vera Nemirova in Magdeburg deutlich macht, wie Senta aus der sie beengenden Gesellschaft auszubrechen versucht.

Und nun in der niedersächsischen Landeshauptstadt die Neuinszenierung von Bernd Mottl: Bei dem Wagner-Debüt des vielseitigen Regisseurs blieb so manches rätselhaft, vor allem im Hinblick darauf, was seine offenkundige Kritik an der heutigen oberflächlichen Konsum-Gesellschaft mit dem „Märchen“ vom Fliegenden Holländer und seiner Erlösung durch eine liebende Frau zu tun hat. Wenn der Vorhang nach der höchst wirkungsvoll musizierten Ouvertüre aufgeht, blickt man auf ein erheblich beschädigtes Gebäudeteil, das nach dem Programmheft eine Shopping-Mall sein soll. In das erste Stockwerk führt eine nicht in Betrieb befindliche Rolltreppe, darunter gibt es eine Treppe ins Tiefgeschoss (Bühne: Friedrich Eggert). Auf der aus dem ersten Stock herausragenden Plattform liegt der Kadaver eines schwarzen Stiers (warum?). Aus dem Hintergrund kommen Männer mit Mundschutz und Taschenlampen, um sich dann auszuruhen. Nur dem Text der Obertitel ist zu entnehmen, dass es sich um Matrosen handelt – bis zu den albern überdrehten Matrosenchören im 3.Akt gibt es nicht eine Spur von nautischen Merkmalen irgendwelcher Art, wenn man von der Puppe eines Piratenhauptmanns mit Augenklappe, Holzbein und Eisenhaken statt einer Hand absieht (später dient dieser Senta als das Abbild des Holländers). Der panische Steuermann nimmt bei seinem Lied (angenehm klarstimmig Pawel Brozek) eine Schaufensterpuppe auseinander, bis der Holländer in schwarzer mittelalterlicher Gewandung auftritt (Kostüme: Doey Lüthi). Zum Holländer-Monolog kommen ebenso dunkel gekleidete geisterhafte Gestalten aus dem Hintergrund, die sich im Zeitlupen-Tempo ins Tiefgeschoss begeben.

Kelly God/Stefan Adam

Im 2.Akt sieht man natürlich keine Spinnräder, sondern die mit blonden Einheitsfrisuren versehenen Chordamen in Pelzen und mit Designer-Einkaufstaschen kommen offenbar gerade von einer ausgiebigen Shopping-Tour zurück (aha: Konsumkritik!). Mary (stimmlich ungewohnt unterbelichtet Julie-Marie Sundal) bemüht sich um Senta, die wegen ihrer Aufmachung der Gothic-Szene zuzurechnen ist. Zwischen dem Holländer und Senta entwickelt sich im folgenden Duett keinerlei Zuneigung; vielmehr geht bei Senta die pubertäre Schwärmerei fürs Dunkle weiter, indem sie die zuvor bei der Piratenpuppe stehenden Lichter jetzt um den Holländer drapiert. Im 3.Akt gibt es uniformierte Matrosen und passend dazu gekleidete Frauen en masse; Chor und Extrachor treten nun tänzerisch gekonnt (Choreographie: Anastasiya Bobrykova) wie in einer Musik-Show auf. Aus dem Tiefgeschoss mischt sich die Holländer-Mannschaft ein, bis eine brennende Fackel hinein geworfen wird. Konsequent begeben sich der Holländer und ihm folgend auch Senta die Treppe herunter – ob es eine Erlösung gibt, bleibt optisch und musikalisch offen, denn das Erlösungsmotiv erklingt nicht.

Kelly God/Shavleg Armasi/Stefan Adam

Die musikalische Verwirklichung war mehr als nur solide; stimmlich konnte man im Ganzen zufrieden sein. Mit schön ausgesungener Lyrik auf der einen Seite und mit stahlhart herausgeschleuderten Höhen andererseits imponierte Kelly God als Senta, die sie glaubhaft als mit ihrer Umgebung unzufriedene, junge Frau darzustellen wusste. Dagegen hatte der Holländer von Stefan Adam so gar nichts Dämonisches an sich; auch stimmlich konnte er nicht recht überzeugen. Bei gleichmäßiger Stimmführung blieb seine Ausdruckspalette reichlich eindimensional; dabei wirkten das Aufstampfen oder die nach vorn gereckten Arme eher hilflos. Auch waren im oberen Drittel seines hellen Baritons die Töne häufig verschwommen und nicht hinreichend fokussiert. Shavleg Armasi gab einen lebhaften Daland, der seine Tochter mit Freude an den Fremden verschacherte. Sein im italienischen Fach ausdrucksvoller Bass kam hier nicht so gut zur Geltung; Wagner scheint nicht für ihn geeignet zu sein. Bei seinem ersten Auftritt musste Robert Künzli als Erik aus einem auf dem Rücken getragenen Tank Desinfektionsmittel an die Hausecken spritzen (eher ein Kammerjäger als Jäger!). Mit seiner durchschlagskräftigen Stimme verbreitete er beeindruckenden tenoralen Glanz.

Mit meist ausgewogenen, stets prächtigen Klängen unterstrichen Chor und Extrachor die wieder sorgfältige Einstudierung von Dan Ratiu. Die musikalische Leitung lag bei Ivan Repušić in guten Händen, der das in allen Gruppen ausgezeichnete Staatsorchester sehr aufmerksam und sicher führte.

Das Publikum im ausverkauften Haus bejubelte Sängerinnen, Sänger, Orchester und Dirigenten, während es beim Regieteam reservierter reagierte.

Gerhard Eckels
12. Februar 2017

Bilder von Thomas M. Jauk

Weitere Vorstellungen: 15.,18.2.+1.,4.,19.,24.,26.3.+7.,19.,31.5.+18.6.2017