Premiere am 9.4.2017
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Grandiose Rigoletto-Modernisierung in Wuppertal
Dieser RIGOLETTO ist die mit Abstand beste Produktion der neuen "Ära" Berthold Schneider in Wuppertal. Endlich schafft es ein Regisseur die Unzulänglichkeiten, Fragen und Unlogik des abstrusen Handlungsschemas (pars pro toto: blinde Beteiligung an der Entführung der eigenen Tochter, warum ist Gilda weggesperrt, das Singen im Sack bzw. die Wiedererweckung nach der Ermordung…) in relativ logische Perspektiven einer hochspannenden Geschichte zu setzen. Der Rezensent ist so begeistert, wie das Premierenpublikum. Das ist zeitgemäßes Musiktheater par excellence. Und wenn jede (!) Partie gut bis trefflich besetzt ist, dann liegt ein Verdi-Rigoletto-Ausnahmeabend vor für den unser OPERNFREUND sogar noch seine rare und begehrte Auszeichnung, nämlich den "Opernfreund-Stern" verleiht.
Liebe Konservativisten, diese Modernisierung ist ausgesprochen gelungen und keine Werkverfremdung! Die Geschichte hat einen logischen roten Faden und ist bis aufs Feinste dramaturgisch ausziseliert und durchdacht. Bitte anschauen, auch wenn Sie Freunde des Opernmuseums der Wiener Staatsoper sind (Achtung: Ironie ;-).
Liebe Jugendliche, Oper ist weder langweilig noch uncool. Sie kann ganz toll und hochspannend sein, wie ein Kinokrimi. Dies ist nicht immer der Fall – was ich zugebe – aber hier ist es so. "Geile" Story und wunderbare Melodien, die ihr auch als Rammstein-Fans auf dem Heimweg noch im Ohr haben werdet. Bitte reingehen! Euer Bild von "Oper" wird sich ändern – versprochen! Tauscht doch mal einen Kinoabend gegen Oper ein.
Die Geschichte spielt im einem fiktiven autoritären Kleinstaat namens "Mantua". Man trifft sich in der edlen Stammkneipe der Einheitspartei "Mantua United", die gleichzeitig als Wahlfeierlokal und Organisationsbüro dient, denn die Wahlen haben soeben stattgefunden. Den erwarteten Sieg verkündet der omnipräsente Regionalsender Rigoletto-World-TV. Natürlich wurde der einzige Kandidat mit 100 Prozent gewählt (woran erinnert mich das eigentlich gerade aktuell…?). Opposition gibt es nicht lange. Widerspruch wandert staatlich sanktioniert in den Knast.
Rigoletto ist diesmal kein Pausenclown, sondern ein ernsthafter Agitator als Talkmaster und Meinungsmacher im staatlichen Fernsehn. Auch ist er so eine Art inoffizieller Wahlkampfleiter der Partei. Bei den Parteigenossen allerdings äußerst unbeliebt. Seine Tochter Gilda wurde von ihm in die Psychiatrie weggesperrt, wo er sich dennoch regelmäßig um sie kümmert…
Ich möchte nicht mehr dieser ungeheuer spannenden Geschichte verraten – vor allem nicht den Schluß-Coup. Nur soviel: Es gibt keine Leiter! Und fangen Sie bitte nicht sofort an zu klatschen oder zu buhen, wenn der hoffentlich bekannte letzte Ton verklungen ist…
Zum Thema Zwischenapplaus: Mir ist es unbegreiflich, wie man in einer so emotional bewegenden Geschichte einer dermaßen ans Herz gehenden Story und mitreißenden Interpretation exemplarischen – eigentlich keine Unterbrechung zulassenden Musiktheater (!) – alle 15 Minuten, wie das altbekannte Klatschäffchen von Steiff, quasi emotionslos in die Geschichte reinklatschen oder bravieren kann; auch wenn die Musik – so ist er eben der Verdi – nach den bekannten Highlights kurze Generalpausen einlegt. Muß man da wirklich klatschen???
Sind wir emotional schon so abgebrüht. Mich persönlich stimmt so etwas traurig… Na wenigstens kein DaCapo nach den Sterbeszenen, wie an vielen ganz ganz großen Häusern, wo dann der Tote wieder aufsteht und seine Sterbearie noch einmal singt. Oder ist es schon die Umpolung des Schmieren-TV gewohnten Zuschauers, wo an der spannendsten Stelle immer eine Werbeunterbrechung folgt.
Und wenn Einige mir jetzt sagen, dass die Künstler dieses Zwischengeschrei wollen, dann ist das hier ein Irrtum, denn die darstellerische Leistung – vor allem vom sensationellen Pavel Yankovsky (Rigoletto) und einem bis an die Grenzen gehenden erschütternden Spiel von Rudslana Koval (Gilda) – wird erheblich in ihrer Konzentration gestört. Dass beide diese Partie auch noch traumhaft singen und die teuflischen Schwierigkeiten des vertrackten Verdi-Gesangs – gerade in den Frühwerken – meistern ist uns einen Opernfreund-Stern wert.
Sangmin Jeon (Herzog) ist für mich auch eine besondere Entdeckung; kraftvoll, lyrisch und mit akzeptablen hohen c ausgestattet, brilliert er als Bösewicht mit Vorliebe für Verkleidungen jedweder Art. Le Roi s´amuse – ganz im Sinne der Vorlage.
Da man auch alle Comprimarii so trefflich besetzt vorfindet, ist wirklich eine Ausnahme im Opernalltagsgeschäft zu konstatieren. Alle stürzen sich begeistert in ihre Rollen und singen furios. Daher ist es ehrlich verständlich, wenn nach dem Schlussbeifall der Regisseur jeden Einzelnen herzt und abküsst.
Johannes Pell dirigiert das makellos aufspielenden Opernorchester (Sinfonieorchester Wuppertal) mit feurigen Tempi und hochkonzentriert – das ist Verdi-Feuer vom Feinsten. Sehr gute Leistung auch vom bestens disponierten Chor unter der Leitung von Markus Baisch.
Timofej Kuljabin (Regie) hat mit seinem Team einen in jeder Hinsicht überwältigenden Opernabend auf die Bretter, die in Wuppertal nun endlich wieder die Welt bedeuten, hin gelegt. Dafür ein großes "Bravo" & "Bravi" an alle so engagiert Beteiligten.
Peter Bilsing / 10.4.2017
Bilder (c) Oper Wuppertal / Wil van Iersel
Ergänzende Credits
Inszenierungsteam (Timofej Kuljabin/Inszenierung, Oleg Golovko/Bühne, Galya Solodovnikova/Kostüme, Varvara Timofeeva/Bild-Design, Denis Solntsev/Licht, Ilya Kukharenko/Dramaturgie
Thomas Dickmeis (Video), Lucia Lucas (Graf von Monterone), Oliver Picker (Graf von Ceprano), Simon Stricke r (Marullo), Mark Bowman-Hester (Borsa), Sebastian Campione (Sparafucile), Catriona Morison (Maddalena), Ute Teminzel (Giovanna), Javier Horacio Zapata Vera (Gerichtsdiener), Banu Schult (Page)
PS 1
Bitte scrollen Sie bis 21,10 Min vor. Dann bleibt Ihnen der ganze Kappes vorher erspart, den man uns sonst zwingt zu schauen, denn der große WDR schafft es augenscheinlich nicht den Beitrag separat (!) zu verlinken. :-((( Aber Vorsicht "Spoilergefahr"! Wenn Sie noch reingehen wollen und auch die Spannung genießen möchten, dann bitte erst nach dem Besuch der Oper anschauen, denn es wird im Beitrag zuviel verraten…
PS 2
"Schlage dem Gotteslästerer ins Gesicht" (Welt, 2015)
Regisseur und Opernchef Timofej Kuljabin wg. provokanter Operninszierung von Tannhäuser in Nowosibirsk gefeuert.