Dresden, Konzert: „Haydn, Mahler“, Dresdner Philharmonie unter Donald Runnicles

Nur wenige Städte können sich mit zwei Orchestern von internationalem Rang schmücken. Dresden hat neben der Staatskapelle die Dresdner Philharmonie, ein Orchester mit mehr als 150-jähriger Tradition, gegründet als bürgerliches bzw. bürgerlich getragenes  Orchester, das sehr schnell auch im Ausland sehr gefragt war und bereits 1909 als eines der ersten deutschen Orchester auf eine Tournee durch die USA ging. Bis heute ist die Dresdner Philharmonie auf den Podien der Welt sehr willkommen. Die Wiederbelebung des gemeinsamen historischen Kulturraums Sachsen, Tschechien und Polen ist dabei für das Orchester ein besonderes Anliegen, das sich auch in der Programmgestaltung, den Künstlerengagements und gegenseitigen Gastspielen zeigt.

Intendantin Frauke Roth eröffnet die neue Konzertsaison und spricht vom Zauber des Anfangs der Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Chefdirigenten.

Sir Donald Runnicles, noch Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, ein hochgeschätzter Interpret des romantischen und spätromantischen Repertoires mit langjährigen Verbindungen zu den besten Orchestern und Opernhäusern der Welt, ist Designierter Chefdirigent des Orchesters, der sein Amt mit der Spielzeit 2025 / 2026 antritt. Er leitet bereits in dieser Saison drei der thematisch wichtigsten Konzerte, so auch das Eröffnungskonzert am 30. August im großartigen Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes.

© Simon Pauly

Joseph Haydn ( 1732 – 1809 ) Sinfonie D – Dur, Hob. I Nr. 101 ( Die Uhr )

Die Sinfonie, die am Beginn des Konzertes steht, ist ein Meisterwerk der Wiener Klassik. Sie ist Teil der zwölf Londoner Sinfonien, die Haydn für seine beiden Reisen nach England 1791 – 1792 und 1794 – 1795 schreibt. Die Sätze zwei, drei und vier der Sinfonie entstehen noch in Wien, der erste Satz wird in London komponiert. Unter Leitung des Komponisten am Piano Forte wird die Sinfonie am 3. März 1794 uraufgeführt. Der Beiname Die Uhr stammt übrigens nicht von Haydn, sondern von einem Wiener Verleger, der eine Klavierfassung des zweiten Satzes mit der tickenden Begleitung unter dem Titel Rondo. Die Uhr herausgibt.

Der erste Satz beginnt mit einem etwas düsteren Adagio in Moll, das in ein Presto in D – Dur führt. Haydn strich bewusst im Manuskript das ursprünglich ergänzende ma non troppo. Der Satz zeichnet sich aus durch eine großartige, vielfältige motivische Gestaltung des Hauptthemas. Den spannungsreichen zweiten Satz eröffnet eine Achtelfigur der Pizzicato – Streicher und Fagotte. Auf dieser Basis wird eine dreiteilige liedhafte Melodie variantenhaft wiederholt, durch Zwischenspiele miteinander verbunden. Dem folgenden kraftvollen Menuett verleiht ein von Holzbläsern getragenes scherzhaftes Trio einen besonderen Effekt. Das Finale ist ein lebendiges Rondo, das durch eine interessante kompositorische Verarbeitung des Hauptthemas eine wirkungsvolle Geschlossenheit erreicht. Ein Fugato am Beginn der Durchführung, eine überraschende Wendung nach Moll kurz vor dem Schluss, im glanzvollen Finale zeigt sich noch einmal die große Kompositionskunst Joseph Haydns.

Die Sinfonie bildet den schwungvollen Auftakt des Konzertes. Dabei zeigt sich von Beginn an ein gegenseitiges Vertrauen zwischen Musikern und Dirigent. Sir Donald Runnicles übernimmt einen von seinem Vorgänger Marek Janowski hervorragend geschulten und aufeinander eingestimmten Klangkörper. So kann Runnicles oft auf fordernde Gesten verzichten und den Spielern Raum geben für eigenen Gestaltungswillen. Der stimmungsvolle Beginn mit dem folgenden rasanten Presto gelingt sehr gut, sehr gut auch im Zusammenspiel, in Artikulation und Phrasierung. Die tickende Uhr im zweiten Satz, die Variationen des Themas werden genussvoll ausgespielt. Im reizvollen Trio des Menuetts brillieren Solo – Flöte und Solo – Fagott, das Finale mit seinem kompositorischen Einfallsreichtum, durchsichtig und mit Elan musiziert, entlässt das Publikum erwartungsvoll in die Pause.  

© Oliver Killig

Gustav Mahler (1860 – 1911) Sinfonie Nr. 5

„Es bedarf nicht des Wortes, alles ist rein musikalisch gesagt.“ Das sagt Gustav Mahler über seine 5. Sinfonie. Während die ersten vier Sinfonien geprägt sind durch Verweise auf programmatische Inhalte, auf die Wunderhorn – Lieder, in den Sinfonien zwei bis vier zusätzlich durch Einbeziehung der menschlichen Stimme, verzichtet er in seiner Fünften auf bestehende Liedvorlagen. Die Sinfonie bekommt den Charakter absoluter Orchestermusik. Die verschiedenen Orchestergruppen erlangen eine eigenständige Bedeutung, an die Solospieler werden höchste Anforderungen gestellt. Auffällig sind die überaus sorgfältigen und akribischen dynamischen Vorschriften für die einzelnen Instrumentengruppen und die sehr differenzierten Tempo – und  Phrasierungsanweisungen in der Partitur. Erst durch deren aufmerksame Beachtung erschließt sich dem Zuhörer der kompositorische Reichtum der Musik. „Dass sich nicht einmal etwas wiederholen darf, sondern alles aus sich heraus sich weiter entwickeln muss“ (Gustav Mahler).

Auch in seiner 5. Sinfonie gibt es Reminiszenzen an die Vokalwerke, an die Kindertotenlieder und die Wunderhorn – Lieder, aber bestimmend und neuartig wird die polyphone Vielfalt mit Fugati und Imitationen. Das bedeutet in ihrer konsequenten Umsetzung oft auch klangliche Härten und Reibungen. „Unsagbar ist, was ich von Bach immer mehr und mehr lerne“ (Gustav Mahler). Die ersten Entwürfe stammen aus dem Jahr 1901, ein Jahr, in dem er neben ersten Erfolgen seiner Wiener Operndirektion, er ist auch Erster Kapellmeister der Wiener Hofoper, eine zunehmende Anerkennung seiner kompositorischen Arbeit erfährt. Im gleichen Jahr durchlebt er eine gesundheitliche Krise und begegnet zum ersten Mal Alma Maria Schindler, der Liebe seines Lebens. Das Jahr bedeutet für Mahler einen Umbruch in seinem musikalischen Schaffen. 1902 vollendet er eine erste Fassung seiner 5. Sinfonie, doch schon zur Uraufführung 1904 im Kölner Gürzenich legt er eine völlig veränderte Partitur vor. Nach einer Aufführung 1905 in Hamburg notiert Mahler: „Meine 5. Sinfonie  ist ein verfluchtes Werk. Niemand kapiert sie.“ In den folgenden Jahren ändert und verbessert Mahler immer wieder. 1911 schreibt er schließlich „Die 5. Sinfonie habe ich fertig. Sie musste faktisch völlig uminstrumentiert werden, da ein neuer Stil eine neue Technik verlangt.“  So gibt es nicht weniger als drei Fassungen dieser Sinfonie. Die Gründe liegen im Ringen um die bestmögliche Instrumentation „im Dienste der Deutlichkeit“ (Bruno Walter). Die Tonartangabe cis – Moll für die Sinfonie hat Mahler selbst verworfen.

Die 5. Sinfonie ist dreiteilig gegliedert, die Teile bilden inhaltliche Einheiten. Ein Trompetensignal eröffnet den Trauermarsch „Streng. Wie ein Kondukt“. Ein klagendes Hauptthema wechselt in ein „Plötzlich schneller. Leidenschaftlich wild“, um dann wieder in das Tempo des Anfangs zurückzukehren. Der 2. Satz, ein „Stürmisch bewegt“, ist eine Durchführung des vorangegangenen Satzes. Das thematische Material des ersten bestimmt weitestgehend den 2. Satz. Ein Choral vor der abschließenden Coda erklingt hier zum ersten Mal. Der zweite Teil ein Scherzo, ist der längste Satz der Sinfonie. Er ist komponiert wie ein Sonatensatz, bestimmt durch Ländler und Walzer. (Man ahnt schon den, aber erst 1911 uraufgeführten, Rosenkavalier  von Richard Strauss). Die Coda endet mit einer kontrapunktischen, kompositorischen Meisterleistung, vier Themen laufen gleichzeitig ab. Der Satz endet furios. Der dritte Teil beginnt mit dem Adagietto, Mahlers Liebeserklärung an Alma, heute durch Viscontis Film „Tod in Venedig“ allgegenwärtig. Das Adagietto bildet eine Art Präludium zum letzten Satz, dem kunstvoll gearbeiteten Rondo – Finale. Dem Zitat des satirischen Lob des hohen Verstandes aus den Wunderhorn – Liedern am Beginn (zweifelt Mahler etwa selbst immer noch an seinem Werk?) folgen Themen und Motive der vorangegangenen Sätze als kompositorische Grundsubstanz. Die Teile werden meisterhaft, oft mit großem kontrapunktischen Einfallsreichtum, verarbeitet. Ein Choral vor dem feierlichen Schluss in strahlendem D – Dur krönt den letzten Satz der Sinfonie.

Die Programmzusammenstellung, die zunächst zufällig wirkt, erweist sich bei aufmerksamer Betrachtung als klug und überlegt. Haydn und Mahler sind Wegbereiter für einen Aufbruch in eine jeweils neue musikalische Stilepoche, Haydn zu Ludwig van Beethoven und Mahler zur modernen zeitgenössischen Musik, zu Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern, zu Dmitri Schostakowitsch.

© Simon Pauly

Die differenzierte und kraftvolle Darbietung der monumentalen 5. Sinfonie Gustav Mahlers wird zum verdienten Höhepunkt des Abends. Dirigent und Orchester sind in ihrem Element. Die große Besetzung des Werkes fordert beide auf besondere Art. Es gilt, die gewaltige, kontrapunktisch vielschichtige und instrumental höchst anspruchsvolle Komposition dem Publikum durchhörbar und erlebbar zu machen. Das gelingt auf eindrucksvolle Weise. Nach dem düsteren Trauermarsch und dem quälend schmerzhaften zweiten Satz wird das Scherzo heiter und witzig ausgekostet. Streicher und Harfe korrespondieren im folgenden Adagietto wunderbar homogen und agogisch sensibel. Das Finale fordert noch einmal die Kräfte und das Können aller Musiker. Der Schlusschoral bildet den großartigen Abschluss dieses Konzertes. Das Orchester glänzt in allen Bereichen. Hervorheben möchte ich dennoch die Leistung der Solobläser. Besonders dem Solo – Hornisten ein Bravo!

Der Abend findet den begeisterten Beifall des Publikums. Man darf gespannt sein und sich freuen auf die nächsten Vorhaben von Sir Donald Runnicles und seiner Dresdner Philharmonie.

Bernd Runge, 31. August 2024


Joseph Haydn: Sinfonie D – Dur Hob. I Nr. 101 (Die Uhr)
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5

Eröffnungskonzert der Konzertsaison 2024/25
Konzertsaal im Kulturpalast Dresden

30. August 2024

Dirigent: Sir Donald Runnicles
Dresdner Philharmonie