DVD: „Eine Winterreise“, Franz Schubert

Bei der vorliegenden DVD aus dem Hause NAXOS handelt es sich, das sei vorweggenommen, um eine recht beachtliche Angelegenheit. Insbesondere Liebhabern der Lieder Franz Schuberts sei sie wärmstens empfohlen. Regisseur Christof Loy hat am Theater Basel in Zusammenarbeit mit der Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter, dem Bühnen- und Kostümbildner Herbert Murauer und dem Pianisten Kristian Bezuidenhout großartige Arbeit geleistet, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Schubert hat seinen berühmten Liederzyklus Winterreise genannt. Loy und sein Team betiteln ihn mit Eine Winterreise. Was dieses Vorgehen bedeuten soll, wird schnell klar, wenn man sich die einzelnen musikalischen Titel dieser im Februar 2022 im Theater Basel live aufgezeichneten Vorstellung einmal vor Augen führt. Es ist nämlich nicht die gesamte Winterreise, die man hier vernimmt. Ausschnitte aus dieser stellen nur einen Teil der hier versammelten Titel dar. Ausschnitte aus Die schöne Müllerin und Schwanengesang sind ebenso vertreten wie sonstige Lieder Schuberts, die keinem seiner famosen Liederzyklen angehören, und Klaviermusik des Komponisten. Alles in allem haben wir es hier mit einem interessanten musikalischen Gemisch zu tun.

Christof Loy erteilt in seiner gelungenen Inszenierung jedem Konkreten eine klare Absage und stellt stark das assoziative Element in den Vordergrund. Wenn sich der Vorhang öffnet, erblickt man ein Ballhaus aus der Schubert-Zeit, das indes schon bessere Tage gesehen hat. Es wirkt etwas marode und heruntergekommen und das Dach bedarf dringend einer Reparatur. Am Rand des Gebäudes sind zahlreiche Stühle aufgestapelt. Im Garten des Hauses sieht man den Lindenbaum, auf den es auch einmal schneit. Noch vor Einsetzen der Musik kommt das lyrische Ich, das hier Er genannt wird und zur Hosenrolle mutiert, auf die Bühne und nimmt von dem Raum Besitz. Nacheinander erscheinen der Pianist, der Doppelgänger, Schuberts Freund Schober, Viola und die Kurtisane ebenfalls und assistieren Er bei ihren Liedern. Sie sind fast alle stumm und werden von Schauspielern und Tänzern verkörpert. Das lyrische Ich Er ist gleichsam Schubert im hier angenommenen vorgerückten Alter. Der fiktive alte Schubert blickt zurück auf sein Leben, wobei er sich mit seinem jüngeren Alter Ego, dem Doppelgänger, konfrontiert sieht. Das lyrische Ich Er träumt sich in eine seiner Schubertiaden zurück, bei denen er einigen Freunden seine neusten Lieder vorführt. Das ist ein historischer Fakt. Konkret ist hier, wie bereits gesagt, aber nichts. Vielmehr handelt es sich um surreale Traumbilder, in denen Themen wie Erinnerung, Vergänglichkeit und Todesangst eine große Rolle spielen. Die Musik Schuberts bringt neues Leben in den Raum und inspiriert die verschiedenen Personen, die allesamt mit Schuberts Biographie zusammenhängen. Gleich einem Kaleidoskop beleuchtet die Produktion den Komponisten, sein Leben und seine Epoche und nimmt dabei einen universellen Charakter an, der weit über diverse Einzelschicksale hinausgeht. Bezeichnend ist, dass das Gesamtgepräge nicht schwermütiger Natur ist, was man insbesondere am ersten und letzten Lied der Inszenierung merkt. Zu Beginn wird der Sommernacht gehuldigt. Am Ende steht anstelle des Liedes Der Leiermann der Schlussgesang Des Baches Wiegenlied aus der Schönen Müllerin. Das sind Gesänge, die der Einleitung und dem Ende etwas die Schwermut nehmen und die Beteiligten mehr in sanfte als in dramatische Träume fallen lassen. Mit diesem Ansatzpunkt des Regisseurs lässt es sich leben.

Auf der gesanglichen Seite überzeugt Anne Sofie von Otter, die mit sauber sitzendem, weich und geschmeidig geführtem sowie nuancenreichem Mezzosopran die Lieder des Er recht geradlinig singt. Dabei bereitet ihr Kristian Bezuidenhout am Hammerflügel stets die richtige musikalische Stimmung. Insgesamt klingt Bezuidenhouts Spiel sehr nostalgisch und wenig romantisch, was aber an dem Flügel liegen dürfte. Einen eindrucksvollen Geiger gibt Claudio Rado. Als Doppelgänger ist der hervorragende Nicolas Franciscus zu erleben. Schober befindet sich in den bewährten Händen von Kristian Alm. Als Viola und Kurtisane gefallen Giulia Tornarolli und Matilda Gustafsson.

Ludwig Steinbach, 23. Februar 2023


DVD: „Eine Winterreise“

Franz Schubert

Theater Basel

Inszenierung: Christof Loy

Bühnenbild und Kostüme: Herbert Murauer

Er: Anne Sofie von Otter

Pianist: Kristian Bezuidenhout

Basel 2022

Best.Nr.: 2.110751

NAXOS

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