Hannover: „Lot“, Giorgio Battistelli

(Premiere der Uraufführung am 01.04.17)

Starkes Alttestamentarisches Musiktheater

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Giorgio Battistelli gehört sicherlich zu den erfolgreichsten, modernen Opernkomponisten, die bewiesen haben, daß sie ihr Metier beherrschen; in guter Erinnerung blieben vor allen "Die Orchesterprobe" nach Fellinis Film, die effektvolle Shakespeare-Vertonung "Richard III" oder die Oper "Die Entdeckung der Langsamkeit" nach dem Roman von Stan Nadolny, belanglos das Musiktheater "Fashion", was zeigt, daß eine gute Oper eben auch eine gute Vorlage benötigt. Im Opernhaus Hannover jetzt der biblische "Lot". Das Libretto von Jenny Erpenbeck gefällt durch die strikte Handlung und die klare Sprache, die dem uralten Stoff auch aktuelle Aspekte abgewinnt. Gleich einer Klammer wird die Lot-Handlung von Szenen mit Abraham gerahmt. Abraham diskutiert mit Gott über dessen zornige Haltung gegenüber den Gerechten, die die Vernichtung Sodoms mit sich führt, den alten Menschen Abraham und Sarah wird ein kindlicher Schöpfergott gegenübergestellt, ganz wunderbar kontrastieren die reifen Sängerpersönlichkeiten von Renate Behle und Franz Mazura ( seine dreiundneunzig Jahre will man ihm nicht abnehmen) mit der Sprechpartie des jungen Nathan Ngamen, wie im Finale Abraham, Sarah und der kleine Isaak den leicht vertierten, inzestuösen Nachkommen Lots und seiner Töchter gegenüber stehen.

Dazwischen die Lot-Handlung: zwei Engel betreten die Stadt Sodom, um die Gerechten zu erkennen, der hedonistischen Bevölkerung Sodoms in ihren goldfarbenen Kostümen (Gabriele Rupprecht) stellt sich Lot vor die Fremden, die in ihrer ärmlichen Erscheinung nicht in die Wohlstandsbevölkerung Aufnahme finden soll. Lot ist sogar bereit seine Töchter und sich selbst der Menge hinzugeben ,um dem Gebot des Gastrechts genüge zu tun, was Lots Familie schockiert, hier rupfen die patriarchalischen Züge des Alten Testaments doch arg an unserem heutigen denken; so ist Lots Frau mitsamt Töchtern schockiert, noch mehr als man Wohlstand und Sicherheit verlassen muß, um die Vernichtung zu überleben. Lots Frau geht lieber mit Sodom unter, wie sich Lot und seine Töchter schließlich nach der finalen Katastrophe entschließen ethische Grundsätze zum Fortbestand der Menschheit hintanzustellen. Hier schleicht sich als Logikfehler ein, daß Lot und Töchter als die letzten überlebenden Menschen betrachten. Frank Hilbrich findet in seiner Inszenierung in der Bühne Volker Thieles stringente Bilder und erzählt die Handlung verständlich nach, ohne bei den Aktualitäten zu sehr auf das Tagesgeschehen einzugehen, streift dabei sogar ironische Ansätze, so der Papierkorb Gottes für die Menschenproben.

Battistellis Musik nimmt schnell gefangen, für die Gottesathmosphäre gleißende Klänge voller Imagination, für die Sänger ist die Musik vom kantablen Gestus nicht ganz so ergiebig, wie für das Orchester, da überwiegt mehr eine Art Sprachgesang, in wenigen Momenten weitet sich der Gesang zu ariosen Verdichtungen wie bei den großen Szenen von Lots Frau und der ersten Tochter. Nichtsdestotrotz läßt sich die Musik auch für die Liebhaber der konventionellen Opern goutieren, denn Battistelli beherrscht sein Handwerk, die Chorepisoden imponieren, die musikalischen Kontraste werden gut bedient, da finden sich sogar Annäherungen an Naturklänge, mehr sei nicht verraten. Der musikalische Gestus erinnert mich vor allem in der Orchesterbehandlung, denn im Gesang an die Symphonien Gustav Mahlers.

Neben den bereits genannten Gästen erweist sich das Hannöversche Ensemble, wie schon bei Henzes "Englischer Katze" als äußerst kompetent, ja schönklingend, im Bereich der modernen Musik. Brian Davis besticht durch Persönlichkeit und starkem Bariton in der Titelpartie. Mehr sanglichen Effekt tragen die weiblichen Partien der Familie, Khatuna Mikaberidze als zutiefst berührende Frau, die sich von ihrem vorigen Leben nicht verabschieden kann, Dorothea Maria Marx als selbstbewußte, erste Tochter mit rebellischem Charakter und leuchtenden Sopranklängen, Stella Motina als passivere zweite Tochter, die sich anrührend in den Wahnsinn flüchtet. Die imposanten Engel von Seun-keun Park und Amar Muchala. Die Solopartien aus Sodoms Bürgern in den besten Kehlen von Latchezar Pavtchev, Frank Schneiders, Mareike Morr und Michael Dries. Der engagierte Chor unter der Leitung von Dan Ratiu. Auch Niedersächsische Staatsorchester unter Mark Rohde bleibt der gediegen modernen Partitur nichts schuldig. Wirklich mal eine neue Oper , die sich mit ihren eindreiviertel Stunden Spieldauer ( ohne Pause) gut ansehen und anhören läßt. Mal sehen, ob ein anderes Haus das Werk nachspielen wird, das Potential dazu hätte es.

Martin Freitag 14.4.2017

Fotos (c) Jörg Landsberg