DVD: „Tosca“, Giacomo Puccini – Barrie Kosky, Dutch National Opera

Um das Fazit vorwegzunehmen: Diese vorzügliche, bei dem Label NAXOS jüngst erschienene DVD von Puccinis im Jahre 2022 an der Niederländischen Nationaloper aufgezeichneten Tosca ist uneingeschränkt empfehlenswert! Szenische, musikalische und gesangliche Aspekte fügen sich zu einer phantastischen Symbiose zusammen, die in ihrer Gesamtheit voll überzeugt. Eine Meisterleistung erbringt bereits Regisseur Barrie Kosky. Er hat das Werk von allem konventionellen Ballast entkleidet und bringt hoch modernes, dabei aber überaus ansprechendes Musiktheater auf die Bühne. Mit dem fein geschliffenen szenischen Seziermesser dringt er gekonnt bis in die tiefsten Tiefen der menschlichen Seele vor und präsentiert dabei ein brillantes, tiefgehendes Kammerspiel mit enormem psychologischem Einschlag. Selten hat man bei diesem Werk die zwischenmenschlichen Beziehungen derart akribisch ausgefeilt und spannend erlebt, wozu auch Koskys ausgezeichnete, stringente Personenregie in hohem Maße beiträgt.

Koskys Anliegen ist es, mit sämtlichen traditionellen Sehgewohnheiten gehörig aufzuräumen. So hat er von Bühnenbildner Rufus Didwiszus nicht verlangt, ihm im ersten Akt einen sakralen Kirchenraum zu bauen. Eine Madonna gibt es in dieser Produktion ebenfalls nicht. Der Bühnenraum ist fast leer. Lediglich die Staffelei Cavaradossis sowie ein Blumenbouquet sind zu sehen. Zu Beginn bricht sich Angelotti seinen Weg durch den hölzernen Boden. Die Holzreste werden später vom Mesner weggekehrt. Der von Klaus Bruns im ersten Akt in einen schicken grauen Anzug gekleidete Scarpia und seine ähnlich gewandeten Schergen weisen mafiose Züge auf. Einen gewaltigen Eindruck hinterlässt das Finale des ersten Aktes, in dem Kosky mit einem im Hintergrund erscheinenden, lebendig gewordenen Altarbild beeindruckt. Die Choristen stecken ihre Köpfe durch Löcher dieses Triptychon-Gemäldes. An dieser Stelle wartet der Regisseur mit einem gehörigen Schuss Psychoanalyse auf. Diese Köpfe sind allesamt als Scarpias frühere Opfer zu deuten, die ihm in einer gleichsam schwarzen Messe gnadenlos seine Grausamkeiten vorwerfen. Das geht unter die Haut! Ein grandioser Regieeinfall! Dieser Scarpia, der dem gefolterten Cavaradossi später kurzerhand die Finger abhacken lässt, hat indes nicht nur eine grausame, sadistische Seite. Zusätzlich zu seinem offensichtlichen Hang zur Romantik – er steckt sich im ersten Akt eine blaue Blume in die Anzugtasche – kann er sich auch ausgesprochen höflich und zuvorkommend zeigen, so wenn er Tosca im zweiten Akt in seiner steril anmutenden Designerküche ein Glas Weißwein kredenzt. Bereits zuvor hatte er, jetzt etwas legerer gekleidet, sich mit einem Messer Lachs zurechtgeschnitten, den er anschließend genüsslich verspeiste. Mit demselben Messer, mit dem er den Fisch tranchiert hat, wird er am Ende des zweiten Aktes auf dem Küchentisch von der jetzt nur noch ihr Unterkleid und ihre Schuhe tragenden Tosca getötet. Mehrmals sticht sie vehement auf ihn ein und lässt das Messer schließlich in seinem Rücken stecken. Darauf legt sie ihm ihre mit einem Kreuz versehene Kette auf die Brust. Dem toten Mann, den sie zuerst verfluchte, lässt sie jetzt Vergebung zukommen. Der dritte Akt wird von einer riesigen grauen Wand mit Treppenfluchten eingenommen, vor denen der zum Tode verurteilte Cavaradossi kauert. Zum Schuss, nachdem sich Tosca zu Tode gestürzt hat, dreht sich die Wand und gibt den Blick frei auf ihre Leiche, die neben dem toten Körper ihres Liebsten liegt. Das alles macht einen ungeheuren Eindruck und zeugt nachhaltig von Koskys enormer Meisterschaft. Seine Inszenierung der Tosca, gehört zum Besten, was die Rezeptionsgeschichte dieser Oper zu bieten hat.

Am Pult animiert Lorenzo Viotti das beherzt aufspielende Niederländische Philharmonische Orchester zu einem äußerst intensiven und eindringlichen Klang. Es sind schon manchmal recht langsame Tempi, die der Dirigent anschlägt. Diese tragen indes einer hervorragenden Transparenz Vorschub. Da werden zahlreiche Einzelheiten hörbar. Die musikalische Essenz von Puccinis Partitur wird von Viotti und den Musikern aufs Beste hörbar gemacht. Es ist ein Hochgenuss, ihnen zuzuhören.

Freude bereiten die gesanglichen Leistungen. Die Tosca von Malin Byström zeichnet sich durch einen trefflichen italienisch geschulten Stimmfluss und viele schöne Zwischentöne aus. Joshua Guerrero ist ein sehr verletzlich wirkender Cavaradossi, dem er mit seinem gut sitzenden, weichen und hellen Tenor auch stimmlich ein treffliches Profil gibt. Selten hat man E luccevan le stelle so leise, zart und innig gehört. Einen mit profundem Baritonklang und enormer vokaler Intensität mächtig auftrumpfenden Scarpia gibt Gevorg Hakobyan. Er erbringt eindeutig die beste Leistung auf dieser DVD! Eine sonore Bass-Bariton-Stimme bringt Martijn Sanders für den Angelotti mit. Sein profund intonierender Stimmfachkollege Federico de Michelis gefällt als Mesner. Lucas van Lierop verfügt in der kleinen Partie des Spoletta nur über einen äußerst dünnen, alles andere als klangvollen Tenor. Da gefällt Maksym Nazarenkosvoll und rund singender Sciarrone schon besser. Nichts auszusetzen gibt es an dem Schließer von Alexander de Jong. Gut klingt der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Chor der niederländischen Nationaloper

Ludwig Steinbach, 20. April 2023


„Tosca“

Giacomo Puccini

Inszenierung: Barrie Kosky

Bühnenbild: Rufus Didwiszus

Kostüme: Klaus Bruns

Musikalische Leitung: Lorenzo Viotti

Chor und Orchester der Niederländische Nationaloper

NAXOS

Best.Nr.: 2.110752

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