Freiberg: „Das Telefon“ / „Il Tabarro”

Premiere: 02.10.2021

Paarbeziehungen am Fluss

Lieber Opernfreund-Freund,

gleich zwei Kurzopern hatten gestern in Freiberg Premiere. Das Opernensemble des Mittelsächsischen Theaters stellt in seiner ersten Premiere der neuen Spielzeit Puccinis Mantel dem Telefon von Giancarlo Menotti zur Seite. Ralf-Peter Schulze gelingt in seiner letzten Spielzeit als Intendant dabei ein packender Musiktheaterabend in der dem Theater gegenüber liegenden Nikolaikirche, der nicht nur mit eindrucksvollen Bildern überzeugt.

Auf den ersten Blick haben Puccinis wahrscheinlich düsterste Oper Il Tabarro und Menottis nur 25 Minuten dauerndes Telephone(in Freiberg wird es auf Deutsch gesungen) wenig Gemeinsamkeiten. Schulze lässt Menottis Kurzoper aber an einem Fluss spielen und schafft so den Link zum Drama um den Seineschiffer Michele und seine Frau Giorgetta. Dazu hat ihm Tilo Stadte einen täuschend echt wirkenden Überseecontainer auf die Bühne der Nikolaikirche gestellt, der scheinbar an einem Haken hängt und dadurch fast etwas Leichtes hat. DochLeichtigkeit ist es nicht, was Puccinis Tabarroprägt; vielmehr teilen alle Protagonisten ein hartes Los, sei es bei der knochenaufreibenden Arbeit als Hafenarbeiter oder als desillusionierte Frau an der Seite eines alten Patriarchen, die allzufrüh das gemeinsame Kind und damit jede Hoffnung auf Glück verloren hat. Das glaubt sie im Löscher Luigi zu finden, plant gar eine Flucht zusammen mit ihm. Doch Michele wittert den Plan und vereitelt ihn auf grausamste Weise. Giorgetta fügt sich nach dem Mord an ihrem Geliebten offenbar wieder in ihr Schicksal und lässt sich von ihrem despotischen Mann regelrecht in ihr altes Leben abführen. Das ist nicht das einzige starke Bild, das Schulze mit seiner stringenten Erzählweise gelingt: die geschundenen Arbeiter, die nur durch Giorgettas Aufmerksamkeit ins Leben zu finden scheinen, sind ein anderes.

Vor den starken Eindrücken von Puccinis Einakter, der aus seinem Trittico stammt, gerät am Ende des Abends die kleine Opera buffa, die den Abend eröffnet hat, fast in Vergessenheit. Ben hat seine Freundin Lucy zu einem Picknick geladen, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Doch die hängt pausenlos am Telefon, so dass der verzweifelt Werber selbst zum Hörer greift, um Lucy anzurufen und um ihre Hand zu bitten. Ein köstlicher musikalischer Schwank, den Menotti 1947 als Curtainraiser für sein Medium da ersonnen hat und in dem die hinreißende Lindsay Funchal ihren reinen Sopran voller strahlender Höhen ebenso präsentieren kann, wie ihr humorvolles Talent.

Der junge Bariton Uli Bützer legt die Partie des Ben fast zu liedartig an, macht aber fehlende Bühnenroutine durch komödiantisches Timing und große Spielfreude wett. Dazu verfügt er über einen klangschönen, farbenreichen Bariton, der Lust auf mehr macht.

Dramatischer wird es – auch stimmlich – bei Puccini. Leonora Weiß-del Rio fügt ihrem weiten Repertoire eine weitere Facette hinzu, gestaltet die Giorgetta voller Inbrunst und Leidenschaft, satter Mittellage und immensem Ausdruck. Da kann das Theater sich glücklich schätzen, solch eine exquisite Sängerdarstellerin in den Reihen des Ensembles zu haben. Nicht ganz mithalten kann Frank Unger als Luigi. Die Partie scheint zu hoch für seinen an sich kraftvollen und strahlenden Tenor, in den gefühlvollen Passagen mit weniger Forte gefällt er mir da ausnehmend besser. Durch die Bank überzeugend ist Elias Han als Michele. Ihm gelingt mit seinem wuchtigen, durchdringenden Bassbariton das Kunststück, dem despotischen Schiffer so viel Seele einzuhauchen, dass er dem Publikum bisweilen fast sympathisch wird. Auch darstellerisch ist der aus Korea stammende Sänger eine Wucht, ist allein durch sein eindrucksvolles Auftreten schon Bedrohung. Überraschung des Abends ist für mich der junge Murilo Sousa,der den versoffenen Tinca ebenso überzeugend darstellt, wie den lyrisch-schmalzigen Liedverkäufer. Sein weicher Tenor ist eine Ohrenweide, sein Farbenreichtum macht Eindruck. Der Talpa ist beim samtenen Bariton von Grzegorz Rozkwitalski in den besten Händen, stimmlicher Gegenpart ist seine Frau Frugola, die von Dimitra Kalaitzi-Tilikidou mit saftigem Mezzo präsentiert wird.

GMD Jörg Pitschmann spornt die Musikerinnen und Musiker der Mittelsächsischen Philharmonie, die im Telefon von der Pianistin Hui Won Lee virtuos unterstützt werden, zu Höchstleistungen an. Das Orchester ist hinter dem erwähnten Container platziert und lässt beim Puccini doch nichts von klanglicher Präsenz und orchestraler Wucht, bei Menotti nichts von musikalischem Witz und Esprit vermissen. Ein rundum empfehlenswerter Abend geht nach nur 80 Minuten zu Ende. Mir hat es so gut gefallen, dass ich gerne sitzen geblieben und das Ganz noch einmal erlebt hätte. Die Chance dazu haben nun aber Sie, lieber Opernfreund-Freund.

Ihr

Jochen Rüth

03.10.2021

Die Fotos stammen von Jörg Metzner.