Aachen: „La forza del destino“

Colourblocking in Aachen

Premiere 09.09.2018

Lieber Opernfreund-Freund,

„Endlich geht es wieder los!“ hab‘ ich mir gedacht, als ich gestern für Sie einen Ausflug nach Aachen gemacht habe, um die dortige Premierenproduktion der neuen Spielzeit in Augen- und Ohrenschein zu nehmen. Diese „Macht des Schicksals“ ist nämlich gleich in mehrerlei Hinsicht besonders. Zum einen wird die Urfassung, 1862 in St. Petersburg uraufgeführt, gespielt, die ein paar Minuten länger ist als die sieben Jahre später erstmals in Mailand gezeigte Umarbeitung und zudem durch Alvaros Freitod einen weniger hoffnungsvollen Schluss bietet als die heute gängige Version. Zum anderen präsentierte sich gestern erstmals Aachens neuer GMD Christopher Ward dem dortigen Opernpublikum. Dass der sich nicht so ganz schlecht geschlagen hat, können Sie schon anhand der Überschrift erahnen, da aber das Licht schneller ist als der Schall, will ich mich zuerst mit den optischen Eindrücken befassen.

Mit Farben kann man trefflich spielen. Die machen die Bühne bunt, werden mit verschiedenen Attributen assoziiert und bieten so natürlich wunderbar Raum, mit Symbolismen und Bedeutungen zu spielen. Weiß zum Beispiel ist ein Sinnbild für Reinheit, gepaart mit einem transluzent erscheinenden Silbergrau kommt noch etwas Edles, Unnahbares hinzu. Man könnte also beispielsweise eine Glaubensbruderschaft in diese Farbe hüllen. Rot stet für Zorn und Liebe und Blut und Macht und stünde damit dem Adel gut zu Gesicht. Wenn jetzt eine Adelige nicht ganz so will wie der Rest des Adels, bietet sich die Komplementärfarbe Grün an. Und schwarz wie der Teufel kommt natürlich die Sünde in Form des Verführers daher. Wer aber ein die Augen schmerzendes Gelb fürs kampfeslüsterne Volk ausgesucht hat und warum? Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Fragen könnten wir Jarg Pataki, der für diese Farbkonzept verantwortlich zeichnet – und den Rest der Szene auch. Und vielleicht könnte er uns ein wenig darüber erzählen, der Rest seiner Inszenierung ist nämlich schlicht nichtssagend. Da wird herumgestanden wie auf Votivtafeln. Von Interaktion, geschweige denn Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Beziehungen der Protagonisten zueinander, keine Spur.

Das einzige, was sich ab und an bewegt, ist das an sich originelle Bühnenbild von Mathias Baudry, das sich dreht und die Bühne in mehrere von Arkadenbögen voneinander abgetrennte Räume teilt, die nach und nach verfallen. Dadurch aber wird der Raum noch enger, zu eng für ausladende Chorszenen – und davon gibt es bei Giuseppe Verdi ja bekanntlich nicht wenige. Bedauerlich, dass von den vielen Facetten dieses Stückes – Liebe, Verrat, Mord, Verbannung, Freundschaft, Ehre – kein einziges so richtig beleuchtet wird. Und da sind wir schon beim nächsten Thema. Auch das Licht, das irgendwie alles im Dunkeln lassen soll, ist selten auf den Punkt – oder besser, die Sänger stehen nicht selten daneben. Die einfarbigen Kostüme scheinen aus Faschingsseide geschneidert (Sandra Münchow hat sie entworfen), so schimmern sie wenigstens auch dann schön, wenn jemand nicht richtig platziert ist. Szenisch ist also noch Luft nach oben in dieser Spielzeit – und doch schicke ich Sie gerne in westlichste Theater Deutschlands zu dieser Produktion, denn die musikalische Seite des Abends ist phänomenal.

Seit 1. August ist Christopher Ward neuer GMD in Aachen. 1980 in London geboren, hat er sich nach Stationen in Kassel, München und Saarbrücken gegen 80 Mitbewerber um dieses Amt durchgesetzt und hat in den wenigen Wochen offensichtlich schon einen intensiven Zugang zu den Musikerinnen und Musikern des Sinfonieorchesters Aachen gefunden. Zwar wählt er bei seiner Interpretation von Verdis „Forza“ mitunter recht gemäßigte Tempi, doch gelingt ihm ein vollendetes Austarieren des reichen Verdiklanges, selbst bei zum Mitwippenden einladenden Chorszenen hält er die Zügel fest, dirigiert stringent und genau und breitet so einen vollendeten Klangteppich aus, der Lust auf das macht, was da kommen mag, wenn Orchester und Orchesterchef sich erst einmal noch besser kennen.

Und auch gesungen wird weitestgehend wie aus goldenen Kehlen. Irina Popova ist wie immer eine Bank. Ihre Leonora glüht in allen Farben, die Bulgarin gestaltet ihre Figur voller Verve und Darstellungskraft und ist auch weit über das famos dargebotene „Pace, pace mio Dio“ eine Leonora wie aus dem Bilderbuch. Arturo Martín hatte sich sicherheitshalber noch ansagen lassen und sang in der ersten Hälfte des Abends auch noch ein wenig zaghaft. Nach der Pause allerdings gelingt dem mexikanischen Tenor ein wunderbar kraftvoller, nuancierter Alvaro, der vor allem in den Duetten mit seinem Freund und Gegner Don Carlo zu Höchstform aufläuft. Dessen Darsteller Hrólfur Saemundsson bietet ebenfalls alles auf, was die Rolle verlangt, gibt gekonnt den von Rache getriebenen Bruder Leonoras, kann aber darstellerisch nicht so überzeugen wie seine Mitstreiter. Bei der Figur der Preziosilla verhält es sich genau anders herum: Julia Mintzer verfügt über eine unglaubliche Ausstrahlung und eine darstellerische Präsenz, die ich mir von ihr auch stimmlich ein wenig mehr gewünscht hätte. Woong-jo Choi ist ein Ehrfurcht gebietender Padre Guardiano mit profundem Bass, die Figur des Frau Melitone ist von der Regie zwar leider jeglichen komödiantischen Aspektes beraubt, findet aber im niederländischen Bassbariton Martijn Sanders einen idealen Gestalter. Aus dem Heer an tadellos auftretenden kleineren Rollen ragt der junge Koreaner Soon-Wook Ka hervor, der als Trabuco überzeugt.

Der Chor ist glänzend disponiert, Karl Shymanovitz und Jori Klomp haben ihn bestens auf seine umfangreiche Aufgabe vorbereitet. Das Publikum im ausverkauften Haus ist mehr als zufrieden, applaudiert frenetisch, beklatscht und bejubelt natürlich vor allem seinen neuen GMD – und das zu Recht. Ein überzeugender Einstand mit einem fulminanten, spannenden Verdi ist gelungen.

Ihr
Jochen Rüth

10.09.2018

Die Bilder stammen von Wil van Irsel.