PR am 28.9.13
Verdi-Rarität am Niederrhein
Ein besonders heikles Kapitel innerhalb der Operngeschichte ist die Zensur. Im Zusammenhang mit Verdi sind die entsprechenden Vorfälle bei „Ballo in maschera“ wohl am bekanntesten. Aus politisch kleinkrämerischen Bedenken der Obrigkeit heraus wurde aus dem schwedischen König Gustav III. ein Gouverneur in Boston namens Richard. Jahre zuvor war bereits die Handlung des „Stiffelio“ komplett in die Rittergeschichte „Aroldo“ umfunktioniert worden. Die Zwischenfassung „Guglielmo“ Wellingrode“ hielt sich nur ganz kurz. Verdis „Stiffelio“-Partitur verschwand, erst 1968 tauchten Abschriften auf, wie ein Beitrag im kleinen, aber materialreichen Programmheft mitteilt (die Piper-Enzyklopädie spricht lediglich von „Rekonstruktion“). Das Milieu der Originalfassung hat heute natürlich mehr Aussagekraft als das des etwas staubigen Ritterepos.
Bei dieser Überzeugung setzt in Mönchengladbach die Inszenierung von HELEN MALKOWSKY an. Die Regisseurin begründet ihre Interpretationsidee extrem wortreich. Zum Verständnis der Vorgänge würde es freilich genügen zu sagen: hier der verhärtete Absolutheitsanspruch im Rahmen christlicher Ethik, dort die humane Bereitschaft zum Verzeihen von dem, was gemeinhin als Sünde gilt. Hierzu ringt sich Verdis Titelheld, ein Geistlicher, zuletzt auch durch. Ob er protestantisch ist oder nicht, tut eigentlich nicht viel zur Sache. Verdis Oper auf einen Piave-Text steigt mit ihrer Handlung ohnehin erst dort ein, wo bei der Schauspielvorlage der 3. Akt beginnt. Damit fallen einige vor allem psychologisch nicht unwesentliche Dinge unter den Tisch.
Das könnte eine Inszenierung, zum Teil wenigstens, auffangen. Helen Malkowsky versucht, zur Musik der Ouvertüre, die längst zurückliegende und auch eher halbherzige Affäre von Stiffelios Frau Lina mit Raffaele von Leuthold zu vergegenwärtigen, was man schnell begriffen hat. Die Schuld steht Lina so sehr ins Gesicht geschrieben, dass man meinen könnte, sie sei mit dem Teufel im Bunde gewesen, habe ihr Kind ermordet oder sonst etwas Abgrundtiefes verbrochen. Den Chor als mahnendes Kollektiv zu zeigen, ist durchaus sinnvoll, aber auch hier verkehrt sich Deutungsintensität schon mal in das Gegenteil des Komischen um.
Recht schlimm steht es auch um die Figur Stankars, Linas Vater, der vor Ehrpusseligkeit schier ausflippt. Sein Soldatenrock mit Ehrabzeichen gibt zwar Einiges an Erläuterung her, aber die exaltierte Spielweise kommt irgendwie aus Opas Regiekiste. JOHANNES SCHWÄRSKY macht freilich das Beste daraus und beglaubigt die eifernde Figur auch mit expressivem Gesang, welcher Ausdruck und Belcantolinie auf einen überzeugenden Nenner zu bringen versteht.
HARTMUT SCHÖRGHOFERs Ausstattung fasst die Szene mit hohen, hellen Wänden ein – das wenig individuelle Dekor eignet sich zur Wiederverwendung. Ab und zu wird im Hintergrund eine gefächerte Wand herabgelassen oder hinaufgezogen. Zu Beginn des 2. Aktes (die verzweifelte Lina am Grabe ihrer Mutter) teilt sie sich und lässt mit den frei werdenden Flächen ein Kreuz entstehen. Das Symbol stimmt, die Wirkung weniger. Die Kostüme stammen von SUSANNE HUBRICH; sie sind modern, mehr kann man zu ihnen nichts sagen.
Das Premierenpublikum vermochte sich mit alledem jedoch offenkundig anzufreunden. Sei’s denn. Den Jubel über die musikalische Ausführung, vor allem die der Sänger, kann man hingegen nur voll bejahen. Selbst der etwas unauffällige Federico (Linas Cousin) ist mit ANDREY NEVYANTSEV aus dem Opernstudio Niederrhein extrem gut besetzt. Mit der Cousine Dorotea, gleichfalls eine Minipartie, vermag EVA MARIA GÜNSCHMANN nicht zu punkten, aber man hat ja noch ihren flammenden Adriano im Ohr. HAYK DÈINYAN (Gemeindevorsteher Jorg – im Schauspiel ist er Stiffelios Adoptivvater) bestätigt sein bekanntes solides Niveau. Dem Raffaele gibt MICHAEL SIEMON ausreichend Tenorschmelz. Freilich ist ihm MICHAEL WADE LEE weit über, nicht nur wegen des größeren Umfangs der Titelpartie. Der amerikanische Sänger verfügt über ein weich gerundetes, aber doch festes Organ mit gesunder, unforcierter Höhe, artikuliert empfindsam, wobei das religiös Eifernde von Stiffelio keineswegs zu kurz kommt. Ganz superb ist wieder einmal (nach ihrer Marija in „Mazeppa“) IZABELA MATULA mit ihrem leicht metallischen Sopran, der in der oberen Lage regelrecht gleißt. So wird Lina zu keiner abgehärmten Leidensfigur, ihre Demut im letzten Akt entbehrt alles Kriecherischen. Hinreißend die lyrische Intensität bei der Arie am Grab (eine der wenigen wirklichen Belcanto-Szenen der Oper) und die in mühelosem Piano bewältigten Oktavsprünge in der großen Preghiera.
GMD MIHKEL KÜTSON unterstreicht mit den gut präparierten Niederrheinischen Sinfonikern vor allem die innovativen Momente von Verdis Musik, die sich vom traditionellen Nummernschema immer wieder entfernt, lässt aber auch Dramatik mächtig pulsieren. Der von URSULA STIGLOHER einstudierte Chor hat große Momente.
Christoph Zimmermann
Dank an Matthias Stutte für die schönen Bilder